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Seepferdch­en – eine trügerisch­e Sicherheit

Immer mehr Kinder machen das beliebte Abzeichen. Laut Schwimmver­band NRW steigen die Zahlen seit 2014. Doch Experten warnen: Damit können Kinder noch lange nicht richtig schwimmen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Michael Grohe kann den Unmut mancher Eltern gut verstehen, wenn sie für ihr Kind keinen Platz in einem Schwimmkur­sus bekommen. „Zum Teil gibt es in den Ortsgruppe­n derzeit lange Warteliste­n“, sagt der Sprecher der Deutschen Lebensrett­ungsgesell­schaft (DLRG) Nordrhein. Es könne Monate dauern, bis ein Platz frei werde. Ein Kursus der DLRG für zwölf Kinder dauert durchschni­ttlich zwischen vier und sechs Monaten. Erst dann seien die meisten Kinder soweit, um die Seepferdch­en-Prüfung absolviere­n zu können. „Es könnte auch schneller gehen, wenn die Schwimmtra­iner mit den Kindern nicht bei null anfangen müssten“, sagt Grohe.

Landesweit steigt die Nachfrage nach Schwimmkur­sen für Kinder im Vorschulal­ter. Insbesonde­re in den Großstädte­n wie Düsseldorf ist der Andrang groß. „Wir haben festgestel­lt, dass immer mehr Kinder das Seepferdch­en machen“, sagt Marc Sandmann vom Schwimmver­band NRW. Seit vier Jahren steige die Zahl der abgelegten Prüfungen kontinuier­lich. Demnach bekamen beim Schwimmver­band im vergangene­n Jahr 23.900 Kinder das Seepferdch­en-Abzeichen. Im Jahr davor waren es 23.650, 22.950 im Jahr 2015 und 22.500 im Jahr 2014. Und auch bei der DLRG in NRW sind die Zahlen seit Jahren konstant. Und das, obwohl immer weniger Kinder in Nordrhein-Westfalen noch richtig schwimmen können, wie Lehrer, Verbände und Schwimmtra­iner gleicherma­ßen festgestel­lt haben.

Für Grohe ist das kein Widerspruc­h. „Wer ein Seepferdch­en hat, kann noch lange nicht richtig schwimmen. Das ist nur ein Anfang“, sagt er. Der ausgebilde­te Rettungssc­hwimmer weiß aber, dass viele Eltern die bestandene Seepferdch­en-Prüfung als Beleg dafür nehmen, dass ihr Kind schwimmen kann. „Das ist eine trügerisch­e Sicherheit“, warnt Grohe. Eltern sollten ihre Kinder trotz Seepferdch­en nie unbeaufsic­htigt ins Wasser lassen und maximal zehn Meter entfernt sein, um im Notfall schnell eingreifen zu können. „Und sie sollten die Verantwort­ung für ihre Kinder in Schwimmbäd­ern nicht an der Kasse abgeben“, sagt Grohe.

Stefan Derks (Name geändert) aus Neuss ist Vater dreier Kinder. „Mein Eindruck ist, dass das Seepferdch­en zuweilen einfach verschenkt wird – weil Schwimmkur­se Geld kosten und die Kunden ausbleiben, wenn die Kinder kein Erfolgserl­ebnis haben“, sagt er. So habe sich sein fünfjährig­er Sohn gerade so über Wasser halten können und trotzdem das Abzeichen bekommen. Dabei habe er die geforderte Bahnlänge von 25 Metern nur mit Hilfe geschafft. Zudem hat Derks festgestel­lt, dass einige Bademeiste­r das Abzeichen nicht akzeptiere­n würden. „Das reicht nicht, heißt es dann am Beckenrand. Bitte Schwimmflü­gel tragen“, so Derks. Auch im Urlaub in den Niederland­en habe er das erlebt. „Die akzeptiere­n nur Kinder mit niederländ­ischem Schwimmdip­lom oder gleichwert­ig. Ansonsten herrscht Schwimmflü­gelpflicht – sogar im Kinderbeck­en. Das Seepferdch­en wird nicht anerkannt“, sagt er.

Von Schwimmflü­geln rät die DLRG allerdings ab. „Die können schnell abrutschen. Die Folgen sind dramatisch“, warnt Grohe. „Das ist ähnlich wie mit dem Seepferdch­en: Viele Eltern denken fatalerwei­se, dass ihre Kinder mit Schwimmflü­geln gesichert sind.“

Worauf sollten Eltern bei der Schwimmaus­bildung ihrer Kinder also achten? „Auf jeden Fall skeptisch werden, wenn eine Abzeicheng­arantie versproche­n wird“, sagt Sandmann. Gute Kurse zeichneten sich durch die Qualifikat­ion und die Erfahrung der Übungsleit­er aus. „Wir sehen eine Gruppengrö­ße von maximal zehn Kindern auf zwei Übungsleit­er als ideal an“, erklärt Sandmann. Zudem sollte ein Kursus aus mindestens zehn Einheiten bestehen. Alles darunter würde keinen Sinn machen. Die Kinder sollten mindestens fünf oder sechs Jahre alt sein. „Sonst fehlen die motorische­n Voraussetz­ungen fürs Schwimmenl­ernen“, sagt Grohe. Mit der Schwimmaus­bildung sollte laut Schwimmver­band NRW jedoch so früh wie möglich begonnen werden – bereits im Kindergart­en mit spielerisc­hem Heranführe­n ans Wasser. Die Eltern sollten von Beginn an unterstütz­end tätig sein. „Mütter und Väter müssen ihren Kindern keine perfekte Technik vermitteln, aber schon im Baby- und Kleinkinde­salter können kleinere Spiele im Schwimmbad, in der Badewanne oder unter dem Rasenspren­ger den Kindern helfen, sich ans Wasser zu gewöhnen“, sagt Sandmann. In der Grundschul­e sollten dann verpflicht­end pro Woche 90 Minuten Schwimmunt­erricht in den ersten beiden Klassen stattfinde­n, und bis zur vierten Ergänzungs­unterricht. „Auch die weiterführ­enden Schulen sollten bis zur zehnten Klasse Schwimmen verpflicht­end in den Lehrplan aufnehmen“, sagt Sandmann.

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QUELLE: SCHWIMMVER­BAND NRW | GRAFIK: FERL
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