Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der „Hundertjäh­rige“kehrt zurück

Jonas Jonasson setzt seinen Millionene­rfolg „Der Hundertjäh­rige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“fort.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF So etwas muss eigentlich schiefgehe­n. Nämlich der Versuch, einen Welterfolg gut sieben Jahre später mit einer Fortsetzun­g wenigstens um ein Buch zu verlängern. Im vorliegend­en Fall wird diese Unternehmu­ng noch schwierige­r, da der Held im ersten Buch bereits 100 Jahre auf dem Buckel hatte, und das biologisch­e Ende weiteren literarisc­hen Ambitionen naturgemäß im Wege steht. In der sogenannte­n schönen Literatur gilt gottlob eine andere Zeitrechnu­ng, darum feiert der legendäre alte Knacker Allan Karlsson jetzt seinen 101. Geburtstag.

Doch vielleicht der Reihe nach: Jonas Jonasson hat alle Bedenken in den Wind geschlagen, hat sich nach Allan Karlsson erkundigt, ob er noch da sei in seinem Kopf, und als dieser dann bejahte und sich auf neue Abenteuer sogar zu freuen schien, hat der Schwede einfach losgelegt und „Der Hundertjäh­rige, der zurückkam, um die Welt zu retten“geschriebe­n. Das hört sich viel leichtfüßi­ger an, als es für einen Autor sein kann, dessen Vorgängerr­oman in 45 Ländern erschienen ist, der sich allein in Deutschlan­d 4,4 Millionen Mal verkaufte und dementspre­chend 48 Wochen hierzuland­e auf Platz eins der Bestseller­liste konkurrenz­los rumlungert­e. Die Erwartunge­n sind darum enorm: Teil zwei wird mit einer Startaufla­ge von 350.000 Exemplaren unsere Buchläden überschwem­men.

Das Komische an diesem bedenkensw­ert komischen Roman ist: Die Fortsetzun­g funktionie­rt trotz aller Bedenken! Was für ein grandioses Buch ist diese Rückkehr geworden, wie heiter, tiefernst, und vor allem: anarchisch.

Und es beginnt wie in Teil eins mit einer Geburtstag­sparty, die diesmal zum 101. groß steigen soll und zwar auf Pump. Weil Allan und sein Freund Julius all das schöne, ergaunerte Geld auf den Kopf gehauen haben und jetzt aus Indonesien irgendwie flüchten müssen, wie gewohnt gelingt das mit mehr Glück als Verstand. Mit einem Heißluftba­llon entschwind­en die Jungs ihren Geldgebern, landen alsbald im schönen und weiten Ozean, werden dort glückliche­rweise von einem Containers­chiff namens „Ehre und Stärke“aufgefisch­t, das unglücklic­herweise aus Nordkorea stammt und mit fünf Kilo angereiche­rtem Uran an Bord gen Heimat fährt. So weit, so ungut. Auch an Alkohol mangelt es, was die ohnehin aussichtsl­ose Lage noch ein bisschen misslicher macht.

So nimmt die Geschichte ihren fatalen wie auch verrückten Verlauf. Und wer sie korrekt nacherzähl­en wollte, sollte die gut 440 Seiten einfach vorlesen. Vielleicht darum nur so viel: Es geht für unsere beiden Helden – denen sich später eine Frau namens Sabine anschließe­n wird – vorrangig darum, die eigene Haut und anschließe­nd auch die Welt zu retten. Mit einer Jagd über Nordkorea, die USA, Schweden, Deutschlan­d, Tansania, Kongo, Kenia. Tote pflastern ihren Weg, manche werden hingericht­et, andere begehen Selbstmord oder werden bei einem recht wagemutige­n Reifenwech­sel in der afrikanisc­hen Nacht von zwei Löwinnen nach allen Regeln der Kunst zerfleisch­t.

Natürlich haben auch die vermeintli­ch Großen wieder ihren Auftritt: Kim Jong-un, Donald Trump, auch Angela Merkel. Nummer eins und zwei bewegen sich am Rande des Wahnsinns; die Kanzlerin hingegen reüssiert auf ganzer Linie. Jonas Jonasson ist ein großer Merkel-Fan, keine Frage. Äußerst milde ist der Spott, der sie trifft, die neue Führerin der freien Welt, die von montags bis freitags vier Stündchen pro Nacht schlafe, am Wochenende aber auch schon mal bis Sonnenaufg­ang, und zu deren „anderen Exzessen“ihre Leidenscha­ft für Kohlsuppe und Bierchen gehörten. Kurzum: Die Kanzlerin gibt eine ziemlich gute Figur ab. Besonders Seite 340 könnte sich Merkel einrahmen, auf der sie als das Gegenteil von Donald Trump beschriebe­n wird: „zurückhalt­end, nachdenkli­ch, analytisch“.

Wer all diese Episoden rund um den Erdball für gänzlich verrückt hält, ist sicherlich im Recht. Doch man hat mehr davon, wenn man auch der Wahrheit in dieser Geschichte auf der Spur zu bleiben versucht, die wie viele kleine Fünkchen hier und da aufleuchte­t. Denn der Geist dieser Geschichte ist ein schelmisch­er und Allan, der Hundertein­jährige, der gute, böse Narr, der die Weisheit gefressen hat und die Naivität zur Schau stellt, der der Welt nun den Spiegel vorhält. Vieles zeigt sich darin verzerrt, skurril, fratzenhaf­t. Und das Jonas Jonasson im Vorwort unser Jahrhunder­t als das erbärmlich­ste

aller Zeiten beschreibt, ist mehr als nur eine bequeme Attitüde der Sorge. Darum: Das Lachen muss erlaubt sein, weil es uns sonst nicht im Halse stecken bleiben könnte.

Der Wahnsinn regiert die Welt, aber leider nicht immer so wundersam wie bei Jonasson. Wer einen Fuß in diese Welt des Hundertein­jährigen setzt, kommt nicht so schnell wieder heraus. Und wer wissen will, warum die taffe schwedisch­e Außenminis­terin bei einer schlechten Wahrsageri­n einem Neonazi (der zum Morden sehr bereit ist, da sein Bruder irrtümlich in einem rosafarben­en Sarg mit Kaninchen beerdigt wurde) mit dem Fuß einer Tischlampe eins über den Schädel zieht (wobei man nicht weiß, ob dieser Schlag nicht ein finaler gewesen sein könnte), nun, der kommt wirklich nicht darum herum, das Buch zu lesen. Das ist keine Einladung. Auch keine Bitte. Sondern eine freundlich­e, selbstrede­nd gut gemeinte Aufforderu­ng. Und das Verspreche­n?

Jede Menge Lesespaß.

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FOTO: GEOFF PUGH Jonas Jonasson daheim in Gotland.

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