Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Wochenende des Widerstandes“
Im Hambacher Forst spitzt sich die Lage zu. Immer mehr gewaltbereite Extremisten versammeln sich im Wald. In internen Polizeidokumenten heißt es, die Besetzer seien Teil eines internationalen Netzwerkes.
DÜSSELDORF Es ist 4.47 Uhr am Mittwochmorgen, als sogenannte Raumschutzkräfte zwei verdächtige Frauen im Hambacher Forst aufgreifen, die Rucksäcke bei sich haben. Darin finden die Sicherheitskräfte unter anderem Munition für Zwillen und Gummibänder, die man für die Herstellung der Schleudern benötigt. Eine Frau ist polizeibekannt. Auf richterliche Anordnung werden beide für den Rest des Tages in Gewahrsam genommen, weil man befürchtet, dass sie Straftaten begehen könnten. So steht es in einem internen Polizeibericht, in den unsere Redaktion Einblick nehmen durfte. Es ist der Tag der Räumung der Barrikaden im Hambacher Forst.
Polizeiinternen Unterlagen zufolge gibt es mindestens 50 Baumhäuser in dem 200 Hektar kleinen Wald bei Kerpen, der im Oktober durch Bagger des Energiekonzerns RWE zur Hälfte gerodet werden soll. Im Wald habe sich eine Störerszene etabliert, die Teil eines internationalen Netzwerkes sei, heißt es in dem Lagebericht. Nachweislich würden auch Verbindungen zu Camps in der Lausitz bestehen, wo ebenfalls gegen den Braunkohleabbau protestiert wird.
Der Forst ist von der Polizei zu einem „gefährlichen Ort“ernannt worden, das heißt, dass Personen dort ohne Grund kontrolliert werden können. Die Sicherheitsbehörden haben das Gebiet in sieben Sektoren aufgeteilt und weiträumig abgeriegelt, an Zufahrtsstraßen gibt es Kontrollen. „Dennoch kommen die Extremisten an uns vorbei in den Wald. Das zu überwachende Gelände ist viel zu groß. Außerdem wissen diese Berufskrawallmacher genau, wie wir als Polizei vorgehen“, sagt ein leitender Polizist.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte bereits gewarnt, dass man es im Hambacher Forst mit „extrem gewaltbereiten Linksextremen“zu tun habe, die aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland anreisten. „Diese selbsternannten Umweltschützer wollen nicht Bäume retten, sondern den Staat abschaffen“, sagte Reul.
Für dieses Wochenende zum widerstand und zu Protesten aufgerufen worden. Man werde mit Hunderten in den Wald gehen, sagt ein Sprecher der „Aktion Unterholz“. Möglich seien Sitzblockaden rund um die Baumhäuser und die Blockade von Zufahrtswegen. Außerdem wolle man die Infrastruktur der Baumhausbewohner wieder aufbauen, nachdem diese bei der Räumaktion zerstört worden seien.
Die Räumung, von der er spricht, begann um sieben Uhr morgens. Mitarbeiter von RWE rückten dabei von westlicher und östlicher Richtung unter Polizeischutz in den Wald ein. Schnell wurden sie von Vermummten mit Feuerwerkskörpern beschossen. Die Angreifer flüchteten und zogen sich in den Wald zurück. Die Polizei richtete Sicherheitszonen ein. Den ganzen Tag über kam es zu einer Reihe weiterer Scharmützel. In einem Fall hatte sich eine Person mit Fäkalien eingerieben. Laut Polizeibericht befand sie sich ohne jegliche Sicherung auf einem Baum in zehn Metern Höhe. Die Person wurde wenig später vorläufig festgenommen, nachdem sie alleine heruntergeklettert war.
Für die Polizei verlief der Einsatz erfolgreich: 85 Prozent der Fläche sei „bereinigt“worden. Mehr als 300 Kubikmeter Müll habe man aus dem Wald geschafft. Vier Männer wurden vorläufig festgenommen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung und Körperverletzung.
Immer wieder stößt die Polizei bei Patrouillengängen im Wald auf Erdlöcher und komplette Tunnel. So wurde etwa am 28. August ein 60 mal 60 Zentimeter großes Erdloch an einer Wiese entdeckt, das in einen Tunnel Richtung Wald mündet. Darüber hinaus wurden am selben Tag ganze Tunnelsysteme und Zugänge mit Beton verfüllt, nachdem man sich vergewissert hatte, dass sich keine Personen mehr darin aufhielten.
Wie viele Besetzer sich genau im Forst aufhalten, weiß die Polizei nicht. Und auch nicht, wie viele davon gewaltbereit sind. Man geht von einem harten Kern von 40 Aktivisten aus, die seit sechs Jahren im Wald leben und bis auf Ausnahmen als friedlich eingestuft werden. Unter ihnen würden sich auffällig viele junge Frauen befinden. Hinzu kommen nun die gewaltbereiten Autonomen, die vor „nichts zurückschrecken“würden und keine Probleme damit hätten, Polizisten schwer zu verletzen. Und sogar darauf aus sein sollen. Die Polizei wirft den Gemäßigten vor, diesen Krawallmachern Unterschlupf zu gewähren. „Wir rechnen damit, dass zu Rodungsbeginn rund 300 Personen im Wald sein können“, so ein Polizist.
Neben den gewaltbereiten Extremisten kommen aber auch viele friedliche Demonstranten zum Hambacher Forst. Am Freitag kontrollierte die Polizei an einem Bahnhof nahe des Waldes eine Gruppe von rund 150 Personen. Da der Wald von der Polizei als „gefährlicher Ort“eingestuft worden ist, mussten die Demonstranten ihre Personalien angeben und sich durchsuchen lassen. Das hätten die meisten verweigert und sich am Bahnhof auf den Boden gesetzt, so eine Polizeisprecherin. Polizisten standen um die Gruppe herum. Der Sprecher der Rodungsgegner sprach deshalb von einem Polizeikessel.
„Unser Problem ist, dass sich Krawallmacher unter normale Demonstranten mischen. Und wir können sie nicht voneinander unterscheiden“, heißt es bei der Polizei.