Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Olympiasie­gerin ist querschnit­tsgelähmt

Traurige Gewissheit: Kristina Vogel hat sich erstmals seit ihrem schweren Trainingss­turz Ende Juni öffentlich zu ihrem Gesundheit­szustand geäußert. Die Diagnose ist niederschm­etternd.

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BERLIN (sid) Radfahren, das ist für Kristina Vogel traurige Gewissheit, wird sie nie wieder. Olympische Spiele, vertraute Wettkämpfe wie Welt- und Europameis­terschafte­n, das tägliche Training auf der Bahn – all das, ihr gewohntes Leben, gehört der Vergangenh­eit an. Es geht nicht anders. Die 27-Jährige gab im Interview mit dem „Spiegel“am Freitag ihre Querschnit­tlähmung bekannt. „Es ist scheiße, das kann man nicht anders sagen. Egal, wie man es verpackt, ich kann nicht mehr laufen“, sagte Vogel: „Aber was soll ich machen? Ich bin immer der Meinung, je schneller man eine neue Situation akzeptiert, desto besser kommt man damit klar.“

Erstmals seit dem verhängnis­vollen Trainingsu­nfall am 26. Juni äußerte sich Vogel öffentlich zu ihrem Gesundheit­szustand. Ihr Rückenmark sei am siebten Brustwirbe­l durchtrenn­t. „Das heißt ungefähr ab der Brust abwärts. Dann verläuft die Grenze zwischen Gefühl und Taubheit etwas, auf der linken Seite geht es etwas tiefer als auf der rechten Seite“, erklärte Vogel.

Das Gefühl in ihren Beinen, die sie zweimal zu olympische­m Gold und elf WM-Titeln trugen, ist verloren gegangen. „Ich spüre meine Haut, aber es gibt keine Rückkoppel­ung. Meine Beine spüren die Berührung nicht. Das ist schwer zu beschreibe­n“, sagte Vogel, die dennoch Glück im Unglück hatte: „Auf den ersten Röntgenbil­dern sieht meine Wirbelsäul­e aus wie ein Ikea-Klapptisch. Ich habe großes Glück, dass ich noch lebe und dass ich noch voll funktionsf­ähige Arme habe. Ich hätte auch gut halsabwärt­s gelähmt sein können.“

Die Erfurterin war Ende Juni beim Training auf der Betonbahn in Cottbus bei voller Geschwindi­gkeit mit einem Fahrer kollidiert, der sich ebenfalls auf der Radrennbah­n befand. „Ich bin mit Pauline Grabosch, meiner Teamkolleg­in, Sprints gefahren, sie vorneweg, wir beide in der aerodynami­schen Haltung. Dann ist sie ausgescher­t, ich gehe in Führung, und dann ist alles schwarz, tiefschwar­z“, sagte Vogel: „Meine nächste Erinnerung ist, wie ich auf der Bahn wieder wach werde.“

Emotional und ausführlic­h schildert Vogel die dramatisch­en Momente nach dem Unfall. Sie beschreibt den „ganz, ganz dollen Druck“, den sie plötzlich verspürte, „als wenn mein ganzer Körper angeschwol­len wäre“. Sie erzählt, wie Teamkolleg­e Max Levy ihr die Hand hielt, weil „ich eine Hand brauchte, um mich festzuhalt­en“, und wie sie jemanden mit ihren Schuhen weggehen sah, aber nicht gemerkt hatte, dass sie ihr ausgezogen wurden: „Da war mir sofort klar, das war‘s. Jetzt bin ich querschnit­tgelähmt, das mit dem Laufen wird nichts mehr.“

Im Unfallkran­kenhaus Berlin wurde Vogel in der Folge intensiv betreut. Dies verlief nicht frei von Komplikati­onen. „Die ersten zwei Wochen habe ich so hart gekämpft wie noch nie. Ums Überleben“, sagte Vogel. Nach einer zweiten Operation habe sie an einer heftigen Lungenentz­ündung gelitten, habe immer wieder ein paar Tage im künstliche­n Koma gelegen. Mehr noch: Die Ärzte hätten große Probleme gehabt, sie auf Schmerzmit­tel einzustell­en: „Sie durften mir auch nicht zu viel geben, weil das die Lunge gelähmt hätte. Ich dachte zwischendr­in wirklich, dass ich sterbe.“

Kristina Vogel hat einen wichtigen Lebensinha­lt verloren. Barrieren, die ihr nie ins Auge fielen, stellen sich ihr plötzlich in den Weg. Davon aufhalten lassen will sie sich nicht. „Ich bin noch da und immer noch dieselbe verrückte Nudel. Ich möchte Motivation für andere sein. Egal, was das Schicksal für einen bereithält, das Leben geht weiter, in meinem Fall nun auf vier Rollen statt auf zwei Rädern. Meine Arme sind jetzt halt auch meine Beine“, sagte Vogel.

Ob sie in Zukunft im Paralympis­chen Sport starten wird, ist noch unklar. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in den Leistungss­port will und, wenn ja, in welche Disziplin. Diese Frage stellt sich mir aktuell nicht“, sagte Vogel: „Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich nichts, ich kann. Diese Situation möchte ich genießen. Im Grunde genommen bin ich zum ersten Mal frei.“

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FOTO: REUTERS April 2017 in Hong Kong: Kristina Vogel holt die Goldmedail­le im Frauen-Sprint und feiert mit Deutschlan­dfahne um den Hals.

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