Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Sehe keine Notwendigkeit für Koalition“
Die SPD-Chefin über bezahlbaren Wohnraum, das Forum Wasserturm und den Lkw-Verkehr in Meerbusch.
Frau Niederdellmann-Siemes, wenn Sie zurückblicken: Sind sie zufrieden mit den politischen Beschlüssen, die in diesem Jahr bisher getroffen wurden?
Niederdellmann-Siemes Ja, ich denke, dass in der letzten Ratssitzung mit der Entscheidung für das Interkommunale Gewerbegebiet, aber auch mit der zum Forum Wasserturm wichtige Entscheidungen getroffen worden sind. Das sind Weichenstellungen für unsere Stadt, und ich denke,dass wir damit auf einem guten Weg sind.
Beide Themen wurden kontrovers diskutiert. Durch die Mehrheit aus SPD und CDU fiel die Entscheidung für ein gemeinsames Gewerbegebiet mit Krefeld. Wo sehen Sie die Vorteile der interkommunalen Zusammenarbeit?
Niederdellmann-Siemes Dadurch haben wir eine viel größere Chance, Clusterbildung zu realisieren, also einen Schwerpunkt herauszuarbeiten, welche Unternehmen wir ansiedeln wollen. Krefeld ist ein Hochschulstandort, gemeinsam wollen wir innovative Unternehmen überzeugen, dass Wirtschaft und Wissenschaft stärker zusammen gehören. Ein großer Vorteil ist, dass die beiden Städte nicht gegeneinander um die besten Unternehmen kämpfen müssen, sondern dass wir das gemeinsam machen.
Welche Unternehmen wünschen Sie sich denn für den Standort?
Niederdellmann-Siemes Wir sehen zum Beispiel Unternehmen aus dem Bereich Biotechnik oder dem Gesundheitswesen. Wir müssen uns als Stadt aber auch für unsere eigenen Handwerksunternehmen aufstellen. Wir haben keine Flächen mehr, wenn sich jemand vergrößern möchte. Jetzt liegt viel Arbeit vor uns, das sind vor allem Fragen der Organisation, der Vermarktung, der Rechtsform. Wenn die Zusammenarbeit mit Krefeld gut gelingt, könnte das auch in anderen Bereichen funktionieren.
In welchen denn?
Niederdellmann-Siemes Ich denke besonders an den Bildungsbereich. Wir haben immer noch die Situation, dass wir an unserer Gesamtschule viele Kinder ablehnen müssen, aus eigener Kraft können wir aber keine zweite Gesamtschule etablieren. Es ist ein Stück weit ein Blick in die Zukunft, aber wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert, wäre vielleicht eine gemeinsame Gesamtschule eine Lösung. Es geht jetzt erstmal um Vertrauensbildung, um uns dann auch für andere Themenfelder öffnen zu können und kommunale Herausforderungen regional anzugehen. Ich denke da auch an den ÖPNV, Verkehr und Lärm.
Aber gerade beim Thema Verkehr gab es doch eher Differenzen: Der Lkw-Verkehr fließt vom Krefelder Hafen durch Meerbusch ab ... Niederdellmann-Siemes Das stimmt, aber ich habe mit Benedikt Winzen von der Krefelder SPD-Fraktion gesprochen, und er hat mir versichert, dass Krefeld Grundstücke erworben hat, um die Erschließung auf eigenem Gebiet hinzukriegen, da nehme ich ihn auch beim Wort. Es kann so nicht sein, dass sich eine Stadt entwickelt und die Probleme, die damit zusammenhängen, auf ihre Nachbarkommune abwälzt. Das gilt im Übrigen auch für unsere gemeinsame Stadtgrenze zu Neuss und Düsseldorf. Der Laacher Weg wird - gerade auf der Strecke vor dem neuen Kindergarten- auch von Lkw benutzt, die auf dem Weg zum Gewerbegebiet Bataverstrasse sind. Auch dafür ist die interkommunale Zusammenarbeit wichtig, um die gegenseitige Sensibilität zu erhöhen.
Kommen wir mal zum Forum Wasserturm. Warum war die SPD gegen
die Einsparungen, die die Verwaltung für den Umbau des Foyers vorgeschlagen hatte?
Niederdellmann-Siemes Wir haben uns in der Fraktion damit auseinandergesetzt, ob die Einsparungen nicht langfristig zu erhöhten Kosten führen würden, und waren der Meinung, das wäre der Fall. Wir geben jetzt zwar mehr Geld aus, aber dadurch sinken die Unterhaltungskosten.
Andere Fraktionen sehen den Sanierungsbereich eher im Innenbereich.
Niederdellmann-Siemes Dass im Außenbereich Handlungsbedarf besteht, war allen klar. Aber auch wir sind der Meinung, dass das Vordach alleine nicht ausreicht, um die Attraktivität des Theaters weiter aufrecht zu erhalten. Das Programm ist immer super, doch die Toiletten sind zum Beispiel nicht in Ordnung. Wir wollen also auch im Innenbereich entsprechende Sanierungen anstoßen. Es gibt verschiedene Förderprogramm auf Landesebene, um kulturelle Einrichtungen zu sanieren. Das haben wir jetzt noch mal bei der Stadtverwaltung angeregt.
Sie haben sich vor kurzem an Bundesumweltministerin Svenja Schulze gewandt, konnten Sie sie auf das Fluglärm-Problem in Meerbusch aufmerksam machen?
Niederdellmann-Siemes Ja, die Bundesumweltministerin hat uns geantwortet. Uns war klar, dass das nicht ihr originärer Beritt ist. Aber sie hat es ans Verkehrsministerium weitergereicht, und wir bleiben mit ihr im Gespräch. Es geht darum, vermeidbaren Lärm in Meerbusch zu verhindern. Dafür müssen wir ein politisches Signal setzen und brauchen die Unterstützung der Bundespolitik. Sollte die Kapazitätserweiterung kommen, bekommen wir in Meerbusch noch größere Probleme. Wir sind froh, dass es den Flughafen gibt, aber er muss sich an das halten, was vertraglich vereinbart wurde. Das ist insbesondere die Nachtruhe, die eingehalten werden muss. Und wenn die Menschen in ganz Meerbusch durch ein verändertes Startverfahren entlastet würden, wäre das ein gutes Signal.
Was sind andere Themen, die Sie in Meerbusch vorantreiben wollen?
Niederdellmann-Siemes Uns liegt der Wohnungsbau am Herzen. Meerbusch ist dadurch gekennzeichnet, dass die Grundstücke ziemlich teuer sind. Wir wollen aber preisgünstigen Wohnraum anbieten, der auch für Normalverdiener erreichbar sein soll. Deswegen ist die Baulandbevorratung wichtig, wir haben im Haushalt immer wieder Mittel eingestellt, damit die Verwaltung Grundstücke erwerben kann, die wir dann weiterentwickeln können.
Aktuell beginnt die Planung für das Neubaugebiet am Kamper Weg. Niederdellmann-Siemes Genau, die Verwaltung will dort einen Wettbewerb initiieren, das ist ein guter Ansatz. So kann man die Bürger mitnehmen, sie können sich bei der Entwicklung beteiligen und verschiedene Architekturbüros bringen verschiedene Denkansätze. Das Neubaugebiet muss auf der einen Seite einen Bedarf decken – der ist besonders bei Mietwohnungen gegeben – es soll aber auch zur Struktur von Osterath passen.
Sie wohnen ja auch dort– welche Struktur hat denn Osterath?
Niederdellmann-Siemes Osterath hat etwas kleinstädtisches, ist aber auch noch dörflich. Es ist ein schönes, angenehmes Wohnen hier, man kennt sich, und das soll so erhalten bleiben. Die Osterather sollen nicht das Gefühl haben, dass sich der Ortsteil komplett verändert. Da muss man behutsam herangehen.
Ein Thema, das die Osterather noch mehr beunruhigt, ist der Konverter. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben?
Niederdellmann-Siemes Nein, wir sind noch nicht an dem Punkt, dass wir nicht mehr wissen, was wir noch dagegen tun sollen. Amprion muss am 15. September den Antrag bei der Bundesnetzagentur einreichen, dann wissen wir, mit welchen Standorten Amprion in das Verfahren hineingeht. Ich bin tief enttäuscht darüber, dass die Mehrheit aus CDU und FDP im Regionalrat und insbesondere der Vorsitzende des Regionalrats, der Landrat des Rhein-Kreises Neuss, Hans-Jürgen Petrauschke, nicht in der Lage gewesen sind, den Weg frei zu machen, damit die Bundesnetzagentur zwei Flächen hat, die auch wirklich miteinander vergleichbar sind. Das planungsrechtliche Hindernis auf der Dreiecksfläche – die Kiesbindung – hätte mit einem Beschluss auf Antrag der SPD herausgenommen werden können.
Was ärgert Sie am meisten?
Niederdellmann-Siemes Das Hinund Herschieben von Verantwortung in dieser Sache ist erbärmlich. Wir sind beim Konverter mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr darum geht, mit sachlichen Argumenten den besten Standort hervorzubringen. Es scheint nur noch um Gesichtswahrung, um Schwarzer-Peter-Spiel und um fehlende Verantwortung zu gehen. Keiner möchte schuld sein, dass der Konverter am Ende an einem Standort steht. Das finde ich unwürdig. Ich habe aber immer noch Hoffnung, dass es gelingt, dieses Monstrum nicht nach Osterath zu bringen.
Wer könnte da noch helfen?
Niederdellmann-Siemes Ich bin erstaunt darüber, dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf seiner „Tour de Strom“nicht nach Meerbusch gekommen ist – das ist ein Unding. Er hatte angekündigt, in den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit alle kritischen Stellen anzugucken, die im Zusammenhang mit der Energiewende zu betrachten sind. Und das Thema Standortsuche für den Konverter ist meiner Meinung nach ein sehr kritisches Thema. Da muss man sich seiner Verantwortung stellen, und das erwarte ich insbesondere vom zuständigen Bundesminister.
Anderes Thema: Die Grünen haben ja vor der Sommerpause die Kooperation mit der CDU gekündigt. Ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten im Stadtrat?
Niederdellmann Siemes Ich denke schon, es schafft neue Möglichkeiten für unterschiedliche Mehrheiten. Das wird eine aufregende Zeit, es wird wieder mehr um Inhalte gehen. Wenn die Machtsituation nicht mehr so klar ist, geht es darum, die besten Argument zu bringen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Für ein demokratisches Gremium ist das durchaus spannend.
Warum schließen Sie eine Koalition mit der CDU zurzeit aus?
Niederdellmann-Siemes Dazu sehe ich keine Notwendigkeit. Wir werden als SPD weiter Anträge stellen und um Unterstützung werben. Ich bin sicher, dass wir mal die Unterstützung von der CDU bekommen und dann wieder andere Unterstützer finden.
Die VHS bietet ein Politisches Schüler-Tutorial an. Wie wichtig ist es, schon Schüler an Kommunalpolitik heranzuführen?
Niederdellmann-Siemes Das ist sicher ein guter Weg, direkt an junge Leute zu kommen. So können sie für sich entdecken, wie Demokratie funktioniert, wie man sie mit Leben füllen kann und seine eigenen Vorstellungen und Erwartungen und Wünsche für die Zukunft der Stadt nach vorne bringen kann. Die Hoffnung ist natürlich auch, dass der ein oder andere Spaß daran findet und sagt: Das mache ich weiter.
Gibt es denn in der SPD Meerbusch genügend Nachwuchs?
Niederdellmann-Siemes Unsere Juso-Gruppe hat eine große Bandbreite. Da sind einige, die stehen schon im Berufsleben und sind schon ziemlich etabliert und andere, die gehen noch in die Schule. Wo wir immer wieder Probleme haben, ist der Übergang von Schule zum Studium. Da wechseln viele die Stadt, ziehen nach Düsseldorf oder noch weiter, nach Berlin zum Beispiel. Das ist für die Jugendlichen schön, aber wir verlieren dadurch oftmals junge Talente. Wir haben auch jetzt zwei junge Menschen in die Fraktion aufgenommen, und im Hinblick auf die nächsten Kommunalwahlen bin ich auch zuversichtlich, dass wir es schaffen, einige junge Kandidaten aufzustellen.
Was kann getan werden, um junge Menschen in Meerbusch zu halten?
Niederdellmann-Siemes Das ist auch eine Frage des bezahlbaren Wohnraums. Wir müssen da auch die Siedlungs- und Mobilitätsentwicklung zusammen denken: Junge Menschen, die sich kein Auto leisten können, müssen einen Wohnraum finden, der in der Nähe zum ÖPNV liegt, um zur Ausbildungsstelle oder zur Universität zu kommen. Wir haben in Meerbusch einfach unterschiedliche Bedarfe von alten Menschen, jungen Menschen, Familien. Es ist eine herausfordernde Aufgabe, das bei der Stadtentwicklung miteinander zu verbinden.
Bald starten die Haushaltsberatungen. Welche Themen werden dort wichtig sein?
Niederdellmann-Siemes Der Kamper Weg, beispielsweise. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Sportstättenbedarfsplanung, die momentan noch tagt. Die Ergebnisse werden Anfang Oktober vorgestellt. Ich bin der festen Überzeugung, dass Sport und vor allem Sport im Verein eine wichtige Funktion für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt hat, und bin gespannt, welche Forderungen es bei Vereinen und Privatpersonen gibt. Es ist uns ein Anliegen, das umzusetzen und entsprechende Weichen zu stellen.
Bei der Stadt herrscht eine hohe Fluktuation. Spüren Sie das bei der Umsetzung Ihrer Beschlüsse?
Niederdellmann-Siemes Mir ist es natürlich wichtig, dass wir die Ursachen der Fluktuation kennen und dass die Personaldecke bei der Verwaltung hinreichend groß ist, um die von der Politik verabschiedeten Aufgaben auch zu erfüllen. Gerade wenn man sich das Thema Stadtentwicklung anguckt, ist es wichtig, dass die Abteilung ausreichend mit Mitarbeitern besetzt ist. Es ist natürlich schwierig, weil wir hier in einem Bereich sind, in dem viele attraktive Städte um Personal werben. Aber daran werden wir weiter dran arbeiten und entsprechende Forderungen stellen.
TANJA KARRASCH FÜHRTE DAS INTERVIEW.