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Zuhause mit Zukunft: Kleine Technik, große Helfer
„Ambient Assisted Living“bezeichnet die Unterstützung älterer oder gesundheitlich beeinträchtigter Menschen im täglichen Leben durch intelligente Technik. Das stellt Selbstständigkeit und Unabhängigkeit her.
Bereits im Jahr 2030 wird die Hälfte der Bevölkerung älter als 48 Jahre sein, und der Anteil der über 80-Jährigen im Vergleich zu heute um über zwei Millionen Menschen ansteigen. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie „Digitalisierung für mehr Optionen und Teilhabe im Alter“der Bertelsmann Stiftung. Zugleich führt dies laut den Studienautoren zu der Frage, wie es für ältere Menschen möglich sein kann, möglichst lange in der eigenen Wohnung zu wohnen und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Die Antwort: mithilfe der Digitalisierung. „Neben der notwendigen barrierearmen Gestaltung und Anpassung von Wohnungen, Stadtvierteln und Regionen kommt seit einigen Jahren auch technischen und zunehmend digitalen Assistenzsystemen eine große Bedeutung zu, um Menschen ein selbstständigeres und unabhängigeres Leben zu ermöglichen. Die Digitalisierung wird für die Teilhabe Älterer eine wesentliche Rolle spielen“, sagt Christine Weiß, Ingenieurin für Biomedizinische Technik am Institut für Innovation und Technik (iit) in der VDI/VDE-IT. Sie gilt bundesweit als führende Expertin für das Thema „Ambient Assisted Living“, also Altersgerechte Assistenzsysteme. Ambient Assisted Living bezeichnet die Unterstützung älterer oder gesundheitlich beeinträchtigter Menschen im täglichen Leben durch intelligente Technik. Die Anwendungsgebiete reichen dabei von reinen Bequemlichkeitsfunktionen wie automatisch abschaltende Küchengeräte oder Beleuchtungen über die Unterstützung im Alltag, um Menschen ein selbstständiges Leben im eigenen Wohnraum zu ermöglichen, bis hin zur Überwachung von Vitalfunktionen und der automatischen Benachrichtigung von Hilfskräften im Notfall.
Christine Weiß nennt auch einige Technologien, mit denen ein Privathaushalt zum funktionsfähigen und zielführenden Gesundheitsstandort ausgebaut werden kann. Der Hausnotruf beispielsweise versorgt heute in Deutschland laut Schätzung der Initiative Hausnotruf mehr als 750.000 Kunden. Die Weiterentwicklung bewege sich in Richtung einer automatischen Sturzund Gefahrenerkennung mittels Smart-HomeSensorik, aber auch der Bedienung über Spracherkennung. Auch die Personenortung finde den Weg in den Markt, betont die Expertin. „Mithilfe eines GPS-fähigen Endgerätes (zum Beispiel Armband oder Anhänger) können desorientierten Bewohnern oder Patienten frei definierbare Bereiche Christine Weiß AAL-Expertin zugeordnet werden. So werden Spaziergänge auf dem eigenen Gelände und auch vor der Einrichtung möglich. Das System meldet und dokumentiert, wenn Personen vorgegebene Bereiche betreten oder verlassen, sodass Angehörige oder Pflegekräfte informiert sind.“
Noch im Forschungsstadium befinden sich übrigens intelligente Matratzen, die aktuelle Liegepositionen von Patienten sensorisch erfasst und bedarfsgerecht anpasst. Solche Systeme werden derzeit in Projekten weiterentwickelt und bieten das Potenzial, künftig in Form von Matratzenauflagen kommerzialisiert zu werden. Das Bundesforschungsministerium wiederum weist auf eine andere Neuentwicklung hin. Sympartner, „der sympathische Hausgenosse für alleinlebende Senioren“, vereint zahlreiche Fähigkeiten, die Ältere für ein selbstbestimmtes Leben nutzen können. Das betrifft eine größer werdende Anzahl an Menschen. Während in der Altersgruppe der 60©\ bis 64©\Jährigen der Anteil der Alleinlebenden 24 Prozent der Frauen und 19 Prozent der Männer alleinleben, sind es in der Altersgruppe 85plus 74 Prozent der Frauen und 34 Prozent der Männer. Der Roboter wurde kürzlich zum ersten Mal in einer europaweiten Langzeitstudie in Haushalten erprobt. Unter anderem steht Sympartner mit seinen umfangreichen Serviceangeboten jederzeit zur Verfügung (Zeitung lesen, Musik hören, Videos gucken, einfacher Internetzugang, Videotelefonie), spricht die Menschen persönlich an und erkundigt sich mehrmals am Tag nach ihrem Befinden, erinnert an Termine, Medikamente und daran, regelmäßig zu trinken und unterstützt kognitive Fähigkeiten, ist aber trotz altersbedingter motorischer oder kognitiver Einschränkungen intuitiv bedienbar. Nun müssen diese Möglichkeiten auch bei Senioren ankommen und wirklich eingesetzt werden. Eine Schwierigkeit, weiß Christine Weiß. „Es ist Aufgabe des Anbieters, die Wirksamkeit und den Mehrwert der Assistenzsysteme erlebbar zu machen und entsprechend tragfähige und nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Hier besteht in vielen Fällen noch Handlungsbedarf, vor allem was die frühzeitige Einbindung der Nutzer in die Produkt- und Dienstleistungsentwicklung betrifft. Denn gerade bei einem so emotional aufgeladenen Thema wie Altersgerechte Assistenzsysteme gilt oft, dass gut gemeint nicht gleich gut gemacht ist.“
Es gilt auch: „Vernetzte Assistenztechnologien erfordern ein Zusammenspiel mehrerer Geräte, die in der Lage sein müssen, Daten auszutauschen und diese korrekt zu verarbeiten. Fehlende Schnittstellen, Normen und Standards, die einen fließenden und gleichzeitig sicheren Datenaustausch ermöglichen, sind immer noch Innovationsbarrieren für die Überführung von Assistenzsystemen in die Breitenanwendung“, kritisiert die Ingenieurin. Es sei wichtig, dass aus vielen Komponenten ein funktionierendes Gesamtsystem entstehe, das den Nutzer mit seinen individuellen Bedürfnissen unterstütze und sich verändernden Wünschen und Anforderungen anpasse.
Dr. Christian Endreß, Geschäftsführer des Wirtschaftsschutzverbandes ASW NRW, betont dabei den Aspekt der Sicherheit. „Je offener und vernetzter wir sind, desto höher werden die Sicherheitsrisiken. Alle Daten und Systeme müssen umfassend geschützt sein, insbesondere bei sensiblen medizinischen Informationen ist dies dringend geboten. Gerade Anbieter der Technologien sind gefragt, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen und jederzeit sicherzustellen, dass ihre Netzwerke absolut geschützt sind.“
„Assistenzsysteme ermöglichen Menschen ein unabhängigeres Leben“