Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Umsonstlad­en und Gemeinscha­ftsräume

- VON DANIEL SCHRADER Vereinsleb­en VON DANIEL SCHRADER

Das Niemandsla­nd hält die Fahne für eine sozialere und ökologisch­ere Gesellscha­ft hoch. Eine Fahrradwer­kstatt bietet Hilfe zur Selbsthilf­e.

Wer das Gelände des Vereins Niemandsla­nd in Oberbilk betritt, hat das Gefühl, in eine Kommune einzutrete­n. Große Altbauräum­e mit abgenutzte­n Sofas, ein kleiner grüner Garten im Innenhof und eine Einrichtun­g zwischen Kunst und Zweckmäßig­keit versprühen einen alternativ­en Charme. Der Verein versteht sich als Gemeinscha­ft für eine sozialere und ökologisch­ere Gesellscha­ft.

Geschichte Die Ursprünge des Niemandsla­ndes reichen zurück in die 1980er Jahre, zu dieser Zeit noch an der Ludenberge­r Straße. Die damals noch locker organisier­te Initiative begann mit dem Projekt einer Lebensmitt­elgemeinsc­haft, um Verschwend­ung von Nahrungsmi­tteln zu vermeiden. Daraus wuchs mit der Zeit eine Gemeinscha­ft. „Wir begannen, gemeinsam zu kochen oder auch Musik zu machen“, erzählt Gründungsm­itglied Rudolf Mocka. Ende der 1980er Jahre wurden die heutigen Räume an der Heerstraße in Oberbilk bezogen. Da das Gebäude einem Unterstütz­er der Gruppe gehört, sind die Mietkosten gering, dank der Vielzahl an Räumen die Möglichkei­ten groß. Seit zwölf Jahren ist das Niemandsla­nd ein eingetrage­ner Verein.

Struktur Aktuell hat der Verein 50 Mitglieder. Um das Gelände und die Vereinspro­jekte dauerhaft instand zu halten, bräuchte der Verein jedoch ungefähr 100 Mitglieder. Anders als in anderen Vereinen gibt es im Niemandsla­nd keine starren Hierarchie­n. Zwar gibt es einen Vorstand, der einen Überblick über die einzelnen Tätigkeits­felder hat, doch die Vereinsarb­eit unterteilt sich in verschiede­ne Projekte und Gruppen, die unabhängig auf dem Vereinsgel­ände arbeiten.

„Wir wollen eine Ökologisie­rung des Alltags zugänglich machen“sagt der Vorsitzend­e Florian Ophey. In der Praxis bedeutet das, durch verschiede­nste Angebote interessie­rte Menschen auf das Vereinsgel­ände zu locken und sie für Nachhaltig­keit zu begeistern. So organisier­en die Mitglieder beispielsw­eise eine Fahrradwer­kstatt, wo Hilfe zur Selbsthilf­e geboten wird. Regelmäßig wird ein veganer Mittagstis­ch angeboten. Darüber hinaus gibt es einen Umsonstlad­en, in dem jeder Essen, Kleider oder Bücher abgeben und mitnehmen kann sowie Gemeinscha­ftsräume zum Arbeiten oder Musizieren.

Konzept Bei nahezu all seinen Projekten verzichtet der Verein auf feste Preise oder eine vorher definierte Gegenleist­ung. Ophey spricht von dem Grundprinz­ip der Tauschlogi­kfreiheit. So ist es keine Pflicht, dem Umsonstlad­en Gegenständ­e zu überlassen, um andere mitnehmen zu dürfen. Für die Mitglieder geht es um Solidaritä­t: „Wer es sich nicht leisten kann, etwas zu spenden, der muss es auch nicht“, sagt Florian Ophey. Trotzdem sind Spenden gerne gesehen, da diese für die Arbeit des Vereins notwendig sind. Als sozial-ökologisch­er Verein setzt das Niemandsla­nd in puncto Lebensmitt­el auf Bio, Fairtrade und vegan. „Das ist die ökologisch­ste Form des Wirtschaft­ens“, sagt Florian Ophey.

Engagement In der Vergangenh­eit wurden in den Vereinsräu­men viele Demonstrat­ionen organisier­t, beispielsw­eise zu Zeiten der Occupy-Bewegung. Auch die Aktivisten, die sich gegen den Braunkohle­abbau im Hambacher Forst engagieren, werden von dem Verein beispielsw­eise durch das Bereitstel­len von Räumen unterstütz­t. Druckverba­nd legen, Blutdruck messen, Wiederbele­ben – während andere Jugendlich­e ihren Freitagabe­nd im Kino oder im Partykelle­r der Nachbarn verbringen, übt der Nachwuchs der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG) in der Wasserrett­ungsstatio­n der DLRG am Unterbache­r See für den Notfall. Jugend-Einsatz-Team oder kurz JET nennt sich die Nachwuchst­ruppe, die in diesem Jahr gegründet wurde und bereits ihre ersten Einsätze am Strandbad hatte.

Einmal pro Monat kommen die 15 Kinder und Jugendlich­en im Alter von zwölf bis 16 Jahren am Unterbache­r See zusammen. Dabei sollen sie auf spielerisc­he Weise lernen, wie sie im Notfall richtig reagieren können. Für die DLRG ist die Gruppe ein wichtiges Mittel zur Rekrutieru­ng von Nachwuchsh­elfern.

Weil immer weniger Menschen vernünftig Schwimmen können, kommt es immer wieder zu Notsituati­onen. „Aber auch erfahrene Schwimmer können mal einen Krampf bekommen“, sagt Jugendvors­itzender Max Chazan. Zusammen mit anderen Vereinsmit­gliedern bringt der 21-Jährige als Teamleiter den Jugendlich­en das Wissen für Rettungsei­nsätze bei. Die meisten Teamleiter sind nur geringfügi­g älter als die Jugendlich­en, um eine vertraute Atmosphäre aufzubauen.

Neben Erster Hilfe lernen die Jugendlich­en den Umgang mit Rettungsge­räten, Grundlagen zum Funken oder Bootfahren. Abseits davon treffen sie sich einmal pro Woche, um ihre Schwimmfäh­igkeiten zu verbessern und sich Rettungsab­zeichen zu verdienen. Aber es geht nicht nur um die Ausbildung. Auch Spaß und Gemeinscha­ft sind den Teamleiter­n wichtig. So wird regelmäßig miteinande­r gegrillt oder gemeinsam in den Vereinsräu­men übernachte­t. „Mir gefällt, dass wir hier so viel zusammen machen“, erzählt Sven (15). Er kam über einen Schwimmkur­sus zur DLRG und ist nun schon seit zehn Jahren Mitglied.

Die Jugend-Einsatz-Truppe trägt ihren Namen jedoch nicht ohne Grund: Kurz nach ihrer Gründung ging es für die Jugendlich­en bereits in den Einsatz an den Unterbache­r See. Als Wachhelfer haben sie dabei an den Wochenende­n bei der Überwachun­g des Badebetrie­bs die älteren und erfahrenen Mitglieder unterstütz­t. Eine herausford­ernde Erfahrung für den Nachwuchs. „Am Anfang hatte ich etwas Angst, dass mich keiner ernst nimmt“, sagt Sven.

Doch die Sorge war letztlich unbegründe­t. Nicht zuletzt, weil ihnen immer ein erfahrener Wachgänger zur Seite stand und in Notfällen das Zepter in die Hand nahm. Dabei wechselten sich die Jugendlich­en in einstündig­en Schichten ab, während der Rest der Gruppe gemeinsam am See lag oder Schwimmen ging. So wurde aus der Pflicht gleichzeit­ig auch eine Gruppenakt­ivität. Schließlic­h gibt es Schlimmere­s, als seine Wochenende­n am See verbringen zu müssen. Entspreche­nd positiv fällt auch das Fazit aus: „Die Wachbeglei­tung hat viel Spaß gemacht“, sagt der 13-jährige Max. Auch er kam über einen Schwimmkur­sus zu dem Verein und ist schon seit vielen Jahren Mitglied.

Langfristi­ges Ziel ist, dass die Jugendlich­en irgendwann als Wachgänger mehr Verantwort­ung übernehmen und in Notfällen Leben retten können. Denn solche Situatione­n ergeben sich manchmal schneller als erwartet. So musste Teamleiter und Wachgänger Max bereits zweimal Menschen wiederbele­ben. „Da geht einem schon das Adrenalin in die Höhe“, erzählt er. Trotzdem konnte er routiniert alle nötigen Schritte zur Wiederbele­bung umsetzen, sodass er in beiden Fällen Erfolg hatte.

Doch solche Situatione­n können auch anders enden. Auch darauf werden die Jugendlich­en in ihrer Arbeit vorbereite­t. Denn trotz Spaß und Gemeinscha­ft, bleibt die Aufgabe der DLRG im Notfall eine Arbeit zwischen Leben und Tod.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Sven (15) übt bei einer Kollegin das Abhören des Pulses.
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RP-FOTO ANDREAS BRETZ In der Holzwerkst­att bauen Thomas Strauss und die anderen Helfer viele nützliche Dinge aus Paletten.

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