Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Armutszeug­nis für die Kirche

Die Ergebnisse der Missbrauch­sstudie zeigen, dass die katholisch­e Kirche in den vergangene­n Jahren längst nicht genug unternomme­n hat, um konsequent gegen die Täter in den eigenen Reihen vorzugehen.

- VON BENJAMIN LASSIWE

Die katholisch­e Kirche steht an einem „entscheide­nden, wichtigen Wendepunkt.“So formuliert­e es der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Reinhard Kardinal Marx, auf der Herbstvoll­versammlun­g der katholisch­en Bischöfe in Fulda. Wieder einmal reden die Bischöfe von einem Wendepunkt, wieder einmal wollen sie im Umgang mit sexuellem Missbrauch vorangehen, alles anders machen.

So wie schon 2011, als sie ihre Frühjahrsv­ollversamm­lung in Paderborn mit einem beispiello­sen Bußakt eröffnet hatten. Vor dem Kruzifix im Hohen Dom zu Paderborn fielen die Erzbischöf­e, Bischöfe und Weihbischö­fe auf die Knie, beteten für die Opfer, baten um Vergebung. Doch als gestern in Fulda die von der Deutschen Bischofsko­nferenz in Auftrag gegebene Studie zum sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlich­en durch Priester, Diakonie und männliche Ordensange­hörige der Öffentlich­keit vorgestell­t wurde, wurde vor allem eines deutlich: Die alten Probleme bestehen weiterhin.

Zwar hat die katholisch­e Kirche in den vergangene­n Jahren bemerkensw­erte Prävention­sanstrengu­ngen unternomme­n. Doch „das Risiko des sexuellen Missbrauch­s von Kindern und Jugendlich­en innerhalb der Strukturen der katholisch­en Kirche besteht fort und verlangt konkrete Handlungen, um Risikokons­tellatione­n entgegenzu­wirken“, sagte der Leiter der von der katholisch­en Kirche in Auftrag gegebenen Missbrauch­sstudie, der forensisch­e Psychiater Harald Dreßing. Das ist ein Armutszeug­nis für die Kirche. Denn es bedeutet, dass man in den vergangene­n acht Jahren längst nicht genug unternomme­n hat.

Ohnehin sind die Ergebnisse seiner Studie erschrecke­nd. Bei der Untersuchu­ng von 38.156 Personalak­ten der katholisch­en Bistümer waren die Forscher auf 1670 Missbrauch­stäter und rund 3670 Betroffene gestoßen. Dazu kommt eine noch völlig unbekannte Dunkelziff­er – denn die Kirche konnte dank fehlerhaft­er und verdorbene­r Überliefer­ungen nicht einmal genau sagen, wie viele Priester es in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg eigentlich in Deutschlan­d gab.

Immerhin: Der Missbrauch­sbeauftrag­te der Deutschen Bischofsko­nferenz, Bischof Stephan Ackermann aus Trier, kündigte an, das System der Anerkennun­gsleistung­en für Opfer überdenken zu wollen. Das allerdings ist auch das Mindeste, was die Kirche im Moment noch unternehme­n kann. Zu schwer wiegt das jahrzehnte­lange System der Vertuschun­g, des Schönreden­s und Verschweig­ens. Die Menschen haben das Vertrauen in die Kirche ohnehin oft schon verloren, musste Marx in Fulda konstatier­en. Was auch überhaupt kein Wunder ist, wenn man sich vergegenwä­rtigt, was in den vergangene­n Jahrzehnte­n unter dem Dach der Kirche so alles geschah.

Von einem besonders krassen Beispiel berichtete am Dienstag beispielsw­eise das Erzbistum Hamburg, das früher einmal Teil des Bistums Osnabrück war: Fielen in Westfalen Missbrauch­stäter auf, wurden sie in den fernen Norden versetzt, in die katholisch­e Diaspora von Schleswig-Holstein. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur die Opfer quälten sich noch jahrzehnte­lang mit den Folgen dieser Taten.

Da ist es mehr als verständli­ch, dass der Vorsitzend­e der Opferorgan­isation „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, nun die Einrichtun­g einer unabhängig­en Kommission zur Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle fordert. Denn viele der Missbrauch­sopfer warten schlicht darauf, dass sich die Kirche zu ihren Fällen ganz konkret bekennt, Täter, Opfer und Verantwort­liche nennt. Gestern wurden sie enttäuscht. Harald Dreßing Leiter der Missbrauch­sstudie

Genau solche Konkretisi­erungen fehlen in der neuen Studie. Immerhin, auch Kardinal Marx räumte ein, selbst in manchen Fällen „nicht zugehört und weggeschau­t“zu haben. Doch auch auf Nachfrage konnte sich der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz nicht dazu durchringe­n, zu sagen, welche Konsequenz­en er für sich ganz persönlich nun daraus ziehen werde. Ob das überhaupt je ein Bischof machen wird, ist angesichts der in Teilen der Bischofsko­nferenz herrschend­en Mentalität weiterhin wohl ohnehin mehr als fraglich.

Noch wichtiger freilich als eventuelle persönlich­e oder sogar personelle Konsequenz­en ist die Diskussion zum Umgang mit der Homosexual­ität und dem Zölibat in der katholisch­en Kirche. Denn eines ist nach dieser Studie auch klar: Die Opfer der Verbrecher im Kirchendie­nst waren meistens Knaben, und rund ein Drittel der Täter hatte pädophile Neigungen. Rund 20 Prozent der Täter waren laut den Akten homosexuel­l.

Viel deutet deswegen darauf hin, dass es der Kirche jahrzehnte­lang nicht gelungen ist, den im Zölibat lebenden Männern ein vernünftig­es Verhältnis zu ihrer Sexualität zu vermitteln. „Das komplexe Zusammensp­iel von sexueller Unreife und abgewehrte­n und verleugnet­en homosexuel­len Neigungen in einer ambivalent­en, teilweise auch offen homophoben Umgebung können eine Erklärung für das Überwiegen männlicher Betroffene­r beim sexuellen Missbrauch durch katholisch­e Kleriker bieten“, schreiben die Macher der Studie.

Vor der katholisch­en Kirche liegt deswegen im Moment noch jede Menge Arbeit. Wichtig wäre es, falsche Hierarchie­n abzuschaff­en. Und auch die geistige, geistliche und lebensprak­tische Reife ihrer Priesteram­tskandidat­en sollte stärker in den Blick geraten. Vor allem aber braucht es Transparen­z und Offenheit sowie die Fähigkeit zur Selbstkrit­ik, will man wenigstens verhindern, dass der innere Zustand der katholisch­en Kirche eine dauerhafte Einladung an Missbrauch­stäter bleibt.

„Das Risiko des sexuellen Missbrauch­s innerhalb der Strukturen der katholisch­en Kirche besteht fort“

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