Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ein Armutszeugnis für die Kirche
Die Ergebnisse der Missbrauchsstudie zeigen, dass die katholische Kirche in den vergangenen Jahren längst nicht genug unternommen hat, um konsequent gegen die Täter in den eigenen Reihen vorzugehen.
Die katholische Kirche steht an einem „entscheidenden, wichtigen Wendepunkt.“So formulierte es der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, auf der Herbstvollversammlung der katholischen Bischöfe in Fulda. Wieder einmal reden die Bischöfe von einem Wendepunkt, wieder einmal wollen sie im Umgang mit sexuellem Missbrauch vorangehen, alles anders machen.
So wie schon 2011, als sie ihre Frühjahrsvollversammlung in Paderborn mit einem beispiellosen Bußakt eröffnet hatten. Vor dem Kruzifix im Hohen Dom zu Paderborn fielen die Erzbischöfe, Bischöfe und Weihbischöfe auf die Knie, beteten für die Opfer, baten um Vergebung. Doch als gestern in Fulda die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie zum sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester, Diakonie und männliche Ordensangehörige der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, wurde vor allem eines deutlich: Die alten Probleme bestehen weiterhin.
Zwar hat die katholische Kirche in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Präventionsanstrengungen unternommen. Doch „das Risiko des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen innerhalb der Strukturen der katholischen Kirche besteht fort und verlangt konkrete Handlungen, um Risikokonstellationen entgegenzuwirken“, sagte der Leiter der von der katholischen Kirche in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie, der forensische Psychiater Harald Dreßing. Das ist ein Armutszeugnis für die Kirche. Denn es bedeutet, dass man in den vergangenen acht Jahren längst nicht genug unternommen hat.
Ohnehin sind die Ergebnisse seiner Studie erschreckend. Bei der Untersuchung von 38.156 Personalakten der katholischen Bistümer waren die Forscher auf 1670 Missbrauchstäter und rund 3670 Betroffene gestoßen. Dazu kommt eine noch völlig unbekannte Dunkelziffer – denn die Kirche konnte dank fehlerhafter und verdorbener Überlieferungen nicht einmal genau sagen, wie viele Priester es in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg eigentlich in Deutschland gab.
Immerhin: Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann aus Trier, kündigte an, das System der Anerkennungsleistungen für Opfer überdenken zu wollen. Das allerdings ist auch das Mindeste, was die Kirche im Moment noch unternehmen kann. Zu schwer wiegt das jahrzehntelange System der Vertuschung, des Schönredens und Verschweigens. Die Menschen haben das Vertrauen in die Kirche ohnehin oft schon verloren, musste Marx in Fulda konstatieren. Was auch überhaupt kein Wunder ist, wenn man sich vergegenwärtigt, was in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Dach der Kirche so alles geschah.
Von einem besonders krassen Beispiel berichtete am Dienstag beispielsweise das Erzbistum Hamburg, das früher einmal Teil des Bistums Osnabrück war: Fielen in Westfalen Missbrauchstäter auf, wurden sie in den fernen Norden versetzt, in die katholische Diaspora von Schleswig-Holstein. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur die Opfer quälten sich noch jahrzehntelang mit den Folgen dieser Taten.
Da ist es mehr als verständlich, dass der Vorsitzende der Opferorganisation „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, nun die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle fordert. Denn viele der Missbrauchsopfer warten schlicht darauf, dass sich die Kirche zu ihren Fällen ganz konkret bekennt, Täter, Opfer und Verantwortliche nennt. Gestern wurden sie enttäuscht. Harald Dreßing Leiter der Missbrauchsstudie
Genau solche Konkretisierungen fehlen in der neuen Studie. Immerhin, auch Kardinal Marx räumte ein, selbst in manchen Fällen „nicht zugehört und weggeschaut“zu haben. Doch auch auf Nachfrage konnte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nicht dazu durchringen, zu sagen, welche Konsequenzen er für sich ganz persönlich nun daraus ziehen werde. Ob das überhaupt je ein Bischof machen wird, ist angesichts der in Teilen der Bischofskonferenz herrschenden Mentalität weiterhin wohl ohnehin mehr als fraglich.
Noch wichtiger freilich als eventuelle persönliche oder sogar personelle Konsequenzen ist die Diskussion zum Umgang mit der Homosexualität und dem Zölibat in der katholischen Kirche. Denn eines ist nach dieser Studie auch klar: Die Opfer der Verbrecher im Kirchendienst waren meistens Knaben, und rund ein Drittel der Täter hatte pädophile Neigungen. Rund 20 Prozent der Täter waren laut den Akten homosexuell.
Viel deutet deswegen darauf hin, dass es der Kirche jahrzehntelang nicht gelungen ist, den im Zölibat lebenden Männern ein vernünftiges Verhältnis zu ihrer Sexualität zu vermitteln. „Das komplexe Zusammenspiel von sexueller Unreife und abgewehrten und verleugneten homosexuellen Neigungen in einer ambivalenten, teilweise auch offen homophoben Umgebung können eine Erklärung für das Überwiegen männlicher Betroffener beim sexuellen Missbrauch durch katholische Kleriker bieten“, schreiben die Macher der Studie.
Vor der katholischen Kirche liegt deswegen im Moment noch jede Menge Arbeit. Wichtig wäre es, falsche Hierarchien abzuschaffen. Und auch die geistige, geistliche und lebenspraktische Reife ihrer Priesteramtskandidaten sollte stärker in den Blick geraten. Vor allem aber braucht es Transparenz und Offenheit sowie die Fähigkeit zur Selbstkritik, will man wenigstens verhindern, dass der innere Zustand der katholischen Kirche eine dauerhafte Einladung an Missbrauchstäter bleibt.
„Das Risiko des sexuellen Missbrauchs innerhalb der Strukturen der katholischen Kirche besteht fort“