Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Im Wirtshaus ist der Teufel los

Adriaen Brouwer war Spezialist fürs Grobe. In der Blütezeit der niederländ­isch-flämischen Kunst malte er Bauern in ihrem Milieu.

- VON BERTRAM MÜLLER

OUDENAARDE Das einzig bekannte Selbstport­rät zeigt Adriaen Brouwer inmitten von Künstlerfr­eunden in einer Kneipe. Selbstbewu­sst blickt er zum Betrachter, hebt seinen Humpen und verbreitet Tabaksqual­m. Vorn links ragt ein Besen ins Bild, dazu ein Krug und ein Bottich. Im Hintergrun­d steht ein Fenster offen, das den Blick auf eine Person vor flandrisch­er Landschaft freigibt.

In dieser Landschaft kam Brouwer um 1606 zur Welt, vermutlich in Oudenaarde, jener Kleinstadt, die jetzt in ihrem historisch­en Rathaus mit einer Ausstellun­g an ihn erinnert. Das Selbstport­rät ist eigentlich ein Spaß, denn Brouwer hat sich darin mit seinen namentlich identifizi­erbaren Freunden in ein Milieu versetzt,

Adriaen Brouwer zeigt eine Welt ohne Hoffnung auf Besserung

in dem er sonst Bauern als Tölpel vorführte. In kleinen Formaten, kaum größer als 30 mal 25 Zentimeter, gab er das niedere Volk dem Gelächter des wohlhabend­en Bürgertums preis. Das riss dem Maler die Szenen aus den Händen, denn bei ihrem Anblick fiel es nicht schwer, sich etwas Besseres zu dünken.

Moralisch ist das fragwürdig, doch Adriaen Brouwer hat aus den Niederunge­n des Lebens so viel Kapital geschlagen, dass man unwillkürl­ich in den Sog seiner Kunst gerät. Üblicherwe­ise garnieren seine Bilder Ausstellun­gen zur flämischen und niederländ­ischen Malerei des Goldenen Zeitalters und bescheren ihnen damit ein paar Schmunzele­cken. Jetzt aber hat Brouwer erstmals seit 1986, damals in der Alten Pinakothek in München, wieder einen eigenen Auftritt. Von seinen weltweit 70 bekannten Gemälden sind 27 in Oudenaarde zu sehen, dazu Bilder von Zeitgenoss­en.

Das erste von vier Kapiteln feiert Brouwer als „neuen Brueghel“. In einer Szene hat sich um einen Tisch vor einem Wirtshaus rund ein Dutzend schwankend­er Gestalten versammelt. Zwei von ihnen sind sich über einem Kartenspie­l in die Haare geraten, im Hintergrun­d wiederholt sich das Geschehen mit anderen Personen, und wie so oft bei Brouwer schauen aus einem Fenster schwammig konturiert­e Köpfe zu.

Der Reiz solcher Bilder liegt mindestens so sehr in der Farbgebung wie in der Kompositio­n. Brouwer malt Ton in Ton. Das Braun des Wirtshause­s färbt in Nuancen auf die Gesichter der Betrunkene­n ab, auch auf deren Kleidung, auf Stühle und Schemel am Rand. Rottöne mischen sich dazwischen, hier und da weiße Tupfer, die helle Akzente setzen. Und vorn rechts versucht ein Hund, sich mit einem Schwein zu paaren.

Auf anderen Bildern wird nicht geprügelt, sondern operiert. Auf dem Gemälde „Die Operation am Rücken“fährt ein Mann, sichtlich ein medizinisc­her Laie, mit einem Messer einem jungen Mann in den Oberkörper. Der reagiert mit schmerzver­zerrtem Gesicht, während im Hintergrun­d eine alte Frau ihren Spaß daran hat.

Derlei volksnahe, auch grausame Szenen findet man ebenso bei Pieter Brueghel d. Ä. Doch während Brueghel sie als Beispiel sündigen Verhaltens einsetzt, als Mahnung, sich nicht dem Teufel zu ergeben, geht es Brouwer allein um den Effekt. Er zeigt eine Welt ohne Hoffnung auf Besserung, hinter Brueghels Bildern dagegen leuchtet unsichtbar stets das Jüngste Gericht auf und die Warnung, nicht vom rechten Weg abzukommen.

In der zweiten Abteilung der Schau heitert sich das Geschehen auf. Fröhliche Gesellscha­ften bilden nun die Motive, zum Beispiel ein „Interieur mit Lautenspie­ler“. Kräftige, hellere Farben ersetzen das dunkle Ton-in-Ton der vorausgega­ngenen Periode.

Die dritte Abteilung umfasst die sogenannte­n Tronien: Darstellun­gen von Gesichtern, in denen sich Gefühle ausdrücken. Dazu zählt Brouwers Selbstport­rät, aber auch „Die Kartenspie­ler“und „Trinkender Bauer“. Ob Ausgelasse­nheit, diebische Freude oder die verschwimm­enden Gesichtszü­ge eines Betrunkene­n – Brouwer ordnet jeder Gefühlslag­e einen physischen Ausdruck zu. Dabei gelingen ihm Typen, kaum Charaktere.

Rubens und Rembrandt besaßen Werke von ihm, schätzten ihn offenbar. Doch gerade ein Vergleich mit Rembrandt würde zeigen, dass der große Niederländ­er seiner Palette erheblich mehr Empfindung­en abgewann als Brouwer mit seinen rein diesseitig­en Porträts.

Der vierte und letzte Teil der Schau führt eine neue Qualität ein, indem er Brouwer als empfindsam­en Landschaft­smaler vorstellt. „Dünen im Mondschein“skizziert vorn drei kleine, einander zugewandte Gestalten, hinten spiegelt sich im Meer der untergehen­de Vollmond. Andeutunge­n von Häusern und Bäumen begrenzen die stimmungsv­olle Szenerie. Man könnte denken, dass da bereits ein Impression­ist am Werk gewesen sei oder ein Frühromant­iker wie Caspar David Friedrich. Gerade solche Werke von Brouwer standen bei Rubens in hohem Ansehen; barocke Bilder, die hinter der dinglichen, triebhafte­n Welt eine höhere, jenseitige erahnen ließen.

Als Adriaen Brouwer mit 31 oder 32 Jahren in Antwerpen an der Pest starb, hatte er ein, wie man so sagt, bewegtes Leben hinter sich. Aus seiner Heimat war er früh nach Holland übergesied­elt, wechselte dann mit seiner Familie nach Antwerpen, geriet – vermutlich wegen eines politische­n Vergehens – in Haft und malte weiter. Auf das kleine Format hatte er sich wohl deshalb beschränkt, weil es sich leichter verkaufen ließ als großflächi­ge Arbeiten. Er nahm viel ein, gab aber auch viel aus, denn er hatte, wie die Belgier sagen, „Löcher in der Hand“. Die Zeit nach dem Bilderstur­m, in der viel Kunst vernichtet worden war und ein Hunger nach Bildern herrschte, kam ihm zupass. Doch da er wohl einen ähnlichen Lebensstil pflegte wie die Bauern seiner Szenen, verließ er die Welt so arm, wie er sie betreten hatte. Im Schatten größerer Meister behauptet er bis heute einen unverwechs­elbaren Platz als galliger Humorist.

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FOTO: MOU MUSEUM; STAATLICHE KUNSTSAMML­UNGEN DRESDEN Adriaen Brouwers „Rauferei beim Würfelspie­l“ist nun im belgischen Oudenaarde zu sehen.

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