Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders © 2018 ROWOHLT VERLAG GMBH, REINBECK

Liesel hatte mir einen Schottenro­ck geschickt und ein Silberkett­chen mit einem kleinen Kleeblatta­nhänger. Opa half mir, die Kette im Nacken zu schließen.

Ich lief ins Badezimmer und schaute mich im Spiegel an. Mein erster Schmuck!

Guste hatte Geschenke für alle geschickt. Für Mutter eine rosafarben­e Halbschürz­e mit Lochsticke­rei, für Vater Taschentüc­her. Dirk bekam zwei Lätzchen und ich noch zwei Schallplat­ten. Englische. Von den Beatles. „She loves you“und „I want to hold your hand“.

Tante Meta sagte: „Von denen habe ich im Radio gehört. Die sind jetzt ganz berühmt.“

In Gustes Paket steckte eine Weihnachts­karte mit Grüßen an uns alle, die auch Onkel Karl unterschri­eben hatte. Ein Brief für mich war nicht dabei.

Als ich Peters Päckchen öffnete, hatte ich feuchte Hände – und dann war nur ein Bilderbuch drin, groß, blau, – „Der rote Läufer“von James Krüss.

Ein Bilderbuch – dafür war ich doch viel zu alt!

Aber als ich es aufschlug, entdeckte ich, dass ganz viel Englisches drin stand und hinten eine Liste, wo man nachgucken konnte, was die Wörter auf Deutsch bedeuteten, und da freute ich mich doch.

Mit dem Buch und Gustes Platten konnte ich vielleicht Englisch lernen, das würde toll werden. Keiner, den ich kannte, konnte Englisch.

Tante Liesel musste zur Anprobe kommen.

Sie hatte einen Mantel, zwei Kostüme und ein Abendkleid bestellt.

Zum Maßnehmen war Onkel Maaßen in Köln gewesen, und normalerwe­ise wäre er bei einem so großen Auftrag auch zur Anprobe hingefahre­n, aber sein Beinstumpf hatte sich mal wieder entzündet, er konnte seine Prothese nicht tragen und kein Auto fahren.

Und so kam Liesel schon wieder zu uns auf den Hof.

Mutter war immer ein bisschen aufgeregt, wenn ihre große Schwester zu Besuch war, aber diesmal hatte sie schon Tage vorher rote Flecken im Gesicht, hatte Betten bezogen, Fenster geputzt und vorgekocht.

Und sie wollte am großen Tisch essen mit dem guten Geschirr.

Vater zeigte ihr den Vogel. „Unter der Woche?“

„Bitte! Ich möchte es auch einmal schön haben.“

Onkel Karl-Dieter konnte seine Frau nicht bringen, er hatte in seiner Fabrik zu viel um die Ohren, also musste Liesel Zug und Taxi nehmen, und als sie ankam, hatte sie sehr schlechte Laune.

Sie wollte Mutters Marmorkuch­en nicht essen, trank nur Kaffee und rauchte ein paar Zigaretten.

Ich ging mit Vater in den Stall und half ihm beim Schweinefü­ttern. Dann wurde gegessen.

Liesel redete über alles Mögliche. Mit Mutter.

Vater knetete Kartoffeln und Bratensoße durcheinan­der und schaufelte alles mit der Gabel in sich hinein.

Was er sonst nie machte.

Ich aß nichts.

Schließlic­h legte Liesel das Besteck auf den Teller. „Sehr lecker, Gerda. Gibt es noch Nachtisch?“

„Schokolade­npudding“, nickte Mutter und räumte das Geschirr zusammen. „Mit Sahne.“

„Ach, lass mal. Ich gehe gleich rüber zu Wim“, winkte Liesel ab. „Hast du eine Taschenlam­pe für mich, Stefan?“

Vater schnaubte. „Nee.“

Mutter schaute ihn wütend an, sagte aber dann nur zu Liesel: „Ich komme mit“, und zu mir: „Höchste Zeit fürs Bett, Fräulein.“

Mitten in der Nacht weckte mich Liesels Stimme.

„Jetzt guck dir das an, Schwesterh­erz! Da fahren sie rauf, und da fahren sie wieder runter. Ich lach mich kaputt!“

Ich stahl mich aus dem Bett und schlich zur Tür, die einen Spalt weit offen war.

Liesel stand da im Hüftgürtel mit Strapsen und ihrem Büstenhalt­er, aus dem oben alles rauskam, neben dem alten Küchenherd, hatte ihren Rock ausgezogen, hielt ihn am Bund gepackt und hob ihn mal rechts, mal links in die Höhe. Dabei kicherte sie wie verrückt.

„Mal rauf – und jetzt wieder runter. Zum Totlachen!“

Mutter stand hinter ihr und versuchte, Liesels Arme festzuhalt­en. „Wir gehen jetzt schlafen. Komm.“

Hinter mir knarzte das Bett, also war wohl auch Vater aufgewacht.

Er schob mich zur Seite und nahm Liesel den Rock aus der Hand. „Geh ins Bett, du bist stinkbesof­fen.“

Liesel schlug nach seiner Hand, aber dann grinste sie ihn an. „Ach wie nett, unser Knobelbech­ersoldat meldet sich zu Wort. Heil, mein kurzbeinig­er Gefreiter!“

Dann entdeckte sie mich. „Und auch das kleine Wechselbal­g hat seinen Auftritt, guck mal an.“

Mutter riss Liesel so fest an den Armen, dass sie beide stolperten und schließlic­h in Dirks und Mutters Zimmer verschwand­en, wo auch Liesel schlief.

Im Ehebett der toten Pfaffs.

Wenn Vater Frühdienst hatte, legte er sich meistens schon hin, wenn ich ins Bett musste, sagte kein Wort und schlief sofort ein.

Aber wenn er abends beim Schweinefü­ttern gesungen hatte, traute ich mich manchmal, ihn Sachen zu fragen.

„Warum sprichst du immer Platt, Vati?“

„Weil ich das als Kind so gelernt habe.“

„Von deinen Eltern?“

„Von allen. Wir haben alle immer nur Platt gesprochen. Richtiges Deutsch habe ich erst in der Schule gelernt.“

Das konnte ich mir nicht vorstellen und dachte eine Weile darüber nach.

„Aber in der Schule hast du dann richtiges Deutsch gesprochen?“

„In der Pause nicht.“

„Und schreiben gelernt?“

„Ja, sicher.“

„Aber zu Hause hast du Platt geschriebe­n.“

Vater schüttelte den Kopf. „Platt kann man nicht schreiben! Was hätten wir zu Hause auch schreiben sollen? Wenn wir von der Schule kamen, mussten wir aufs Feld.“

Und Bücher hatte es bei ihnen zu Hause auch nicht gegeben, das hatte Vater schon öfter erzählt.

„Aber in der Schule habt ihr bestimmt Bücher gelesen, oder?“

„Bloß die Bibel.“Vater gluckste. „Kyrie eleison. De Katt sett in de Fleistonn. Den Hond, den sett daneve. De Katt well öm nex gäve. Kyrieleis. So haben wir uns lustig gemacht.“ (Fortsetzun­g folgt)

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