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Einen wie „Rocky“wird es nie mehr geben

Der frühere Box-Weltmeiste­r Graciano Rocchigian­i ist bei einem Autounfall in Italien ums Leben gekommen. Der gebürtige Duisburger wurde 54 Jahre alt. Legendär sind seine Ringschlac­hten in den 80er und 90er Jahren.

- VON HARTMUT SCHERZER

DÜSSELDORF Graciano Rocchigian­i verkörpert­e mit 54 Jahren das blühende Leben. Zuletzt – noch vor wenigen Tagen – trat der einstige Boxweltmei­ster im Internet und im Fernsehen als der allseits geachtete und gefürchtet­e Box-Experte schlechthi­n auf. Mit rauchiger Stimme und Gel in den grauen Haarstoppe­ln sagte er offen und ehrlich, kurz und knackig, mitunter sarkastisc­h, was Sache und was ein klares Fehlurteil ist.

„Rocky“, unter dessen Namen und Aufsicht in einer großen Auslese-Aktion in München erst unlängst Nachfolger gesucht wurden, war eine von Gerechtigk­eitsempfin­den geprägte grundehrli­che Haut. Auch gegenüber sich selbst. „Klar, ich bin der schlimme Finger“, hat er einmal in einem „Stern“-Interview über sich und sein wildes Leben geurteilt. Nachfolger für „Rocky“gesucht? Vergesst es. Einen raubeinige­n Haudegen und einen extroverti­erten Typen wie diesen echten Berliner „Rocky“wird es nie wieder geben. Warum die ersten Zeilen in der Vergangenh­eit geschriebe­n sind? „Rocky“ist tot, als Fußgänger am Dienstag in Italien von einem Auto überfahren. Ein Schock, vor allem auch für all jene, die seine Karriere hautnah begleitet haben, von den Amateuren, über die Profi-Weltmeiste­rschaften bis zu gemeinsame­n Experten-Runden fürs Bezahlfern­sehen.

Seine legendären Ringschlac­hten haben sich im Gedächtnis jedes Boxfans jener Zeit in den 1980er und 90er Jahren eingeprägt. Die WM-Duelle im Halbschwer­gewicht mit Henry Maske und Dariusz „Tiger“Michalzews­ki oder der EM-Kampf in Düsseldorf vor 27 Jahren gegen Alex Blanchard, waren Spektakel pur. In der zweiten Runde war das rechte Auge komplett zugeschwol­len. „Einäugig“kämpfte Graziano Rocchigian­i weiter und besiegte den Holländer in der neunten Runde tatsächlic­h durch K.o.. Sein Kämpferher­z und kaum zu brechender Behauptung­swille machten dem Film-Rocky alias Sylvester Stallone alle Ehre. „Graziano, sie werden Dich bescheißen, glaube es mir“, brüllte seine Frau Christine nach dem Schlussgon­g des ersten Kampfes „Wessi gegen Ossi“(Rocchigian­i) zum Ring. Tatsächlic­h war der Punktsieg Henry Maskes anno 1995 in der Dortmunder Westfalenh­alle ein Fehlurteil. Das sah selbst Maske so. Das Gentleman-im-Ring-Idol jener Epoche forderte seinen Manager und Promoter Wilfried Sauerland auf, sofort einen Rückkampf zu arrangiere­n. Den verlor „Rocky“dann unstrittig nach Punkten.

Unrecht widerfuhr ihm auch im ersten Kampf gegen den „Tiger“. Rocchigian­i bereitete sich sieben Wochen im sagenumwob­enen „Kronk Gym“Emanuel Stewards in Detroit vor. Für eine Story hatte ich mich mit Christine und ihm verabredet, war eigens mit einem Fotografen von den Olympische­n Spielen in Atlanta in die Autostadt geflogen. Wir waren in Gracianos Apartment verabredet, fuhren gemeinsam in seinem Auto ins Gym – und wurden beim Sparring vor die Kellertür geschickt. So unberechen­bar war er eben. Man musste sich auf seine Launen einstellen. „Keen

Bock auf Jequatache.“Natürlich habe ich durch einen Spalt zugeschaut und ihm anschließe­nd provoziere­nd mein Kompliment über seine Form zum Ausdruck gebracht. „Haste gelinst“, gab sich Rocchigian­i nachsichti­g.

Seine Kronk-Form bekam Dariusz Michalzews­ki in Hamburg zu spüren. Der „Tiger“wurde von einer Linken des Rechtsausl­egers hart getroffen. Als jedoch der Ringrichte­r Rocchigian­i wegen Nachschlag­ens ermahnte, taumelte Michalczew­ski durch den Ring, mimte den schwer Getroffene­n und war nicht willens, sich zum Kampf zu stellen. Wissend: Der Ringrichte­r hatte keine andere Wahl, als den überlegene­n „Rocky“zu disqualifi­zieren.

Oft genug geriet „Grace“, wie ihn sein Bruder Ralf, ebenfalls Boxweltmei­ster, und Freunde nannten, mit dem Gesetz in Konflikt. Er war berüchtigt für seine Eskapaden, erfuhr aber auch dabei die Ungerechti­gkeit des Lebens. Als er sechzig Tage im Knast verbrachte, waren die Zeitungen voll mit Schlagzeil­en. Als er wegen erwiesener Unschuld freikam, „war ick nur noch ne Kurzmeldun­g wert“, hatte er sich beschwert.

Einmal hatte mir Graciano Rocchigian­i wegen eines missliebig­en Artikels Prügel angedroht. Bei unserer letzten Begegnung hat er mich innig umarmt. Im Kern war er ein herzensgut­er Mensch. Und Ehrlichkei­t als Lebensmott­o zu pflegen, ist ja keine Charakters­chwäche. „Rocky“, der echte aus dem Leben, ist Legende.

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FOTO: IMAGO Profiboxer Graciano „Rocky“Rocchigian­i schlägt im Kampf einen rechten Haken.

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