Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Los von Rom
Südtirol wählt einen neuen Landtag. Die Separatisten fühlen sich im Aufwind, wie vielerorts in Europa. Die Mitte-rechts-Regierung in Wien hat mit einem Doppelpass-Vorstoß die Unruhe noch verstärkt.
er ist für Knoll ein erster Hebel, um die Autonomie zu überwinden und letztlich zum großen Ziel der Selbstbestimmung zu gelangen. „Sind wir als ethnische Minderheit in Italien sicher?“, fragt er.
Drei von 35 Abgeordneten stellt die Südtiroler Freiheit bisher im Landtag, es könnten mehr werden am Sonntag. Vor allem die junge und ländliche Bevölkerung zeigt sich empfänglich. Angereichert wird das emotionale Amalgam mit der Angst vor Fremden, obwohl die rund 530.000 Südtiroler derzeit gerade einmal 1500 Asylbewerber aufnehmen müssen. Man müsse heute auf alles Rücksicht nehmen, aber die eigene Sprache und Kultur, also die deutsche, gerate in Vergessenheit, schimpft eine Sitzungsteilnehmerin.
So klingt das auf dem Trauma der nie verwundenen Abspaltung von Österreich gründende Südtiroler Lamento: Auf den Ämtern, bei Gericht, in den Arztpraxen werde immer häufiger nur Italienisch gesprochen, obwohl die deutsche Sprache der italienischen offiziell gleichgestellt ist. Auch sei man der Unberechenbarkeit Italiens, gerade in Finanzangelegenheiten, ausgeliefert, lautet ein anderes Argument, das nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen ist.
Die Grenze zwischen echten historischen Verletzungen und ihrer politischen Instrumentalisierung verschwimmt allerdings. Die Zwangsitalianisierung zur Zeit des italienischen Faschismus, aber auch vom Deutschen Reich unter Hitler geplante und umgesetzte Massenumsiedlungen und schließlich der Bombenterror, der trotz der Autonomieverhandlungen bis in die 80er Jahre anhielt, schwingen mit. Andererseits kann man auch den Eindruck gewinnen, vielen wäre es am liebsten, die Vergangenheit endlich mal Vergangenheit sein zu lassen.
Hannes Obermair spricht daher vom „geschichtsblinden Südtirol“. Der Historiker steht in der Abenddämmerung am Bozner Gerichtsplatz. Fledermäuse sausen waghalsig an den Monumentalbauten aus der Mussolini-Zeit vorbei. Hier, vor dem ehemaligen Lokalbüro der faschistischen Partei, provozierten Sven Knoll und Eva Klotz vor Jahren einen Eklat, als sie mit Sympathisanten Italien symbolisch mit Besen aus Südtirol herauskehrten. Beide wurden wegen „Schändung der italienischen Flagge“verurteilt. Jahrelang benutzten Südtiroler Nationalisten Orte wie den Gerichtsplatz oder das Siegesdenkmal, um ihren Opfermythos zu pflegen. „Ohne Not überlässt die kollektive Verdrängung die Deutungshoheit den patriotisch-konservativen Gruppierungen“, stellt Obermair fest.