Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Köln vorn, Kreis Höxter verlorn
Prognos und Index haben untersucht, wie es um die Digitalisierung in NRW bestellt ist. Ein Ergebnis: große Probleme auf dem Land.
DÜSSELDORF In die Amelunxener Grundschule ist die Zukunft eingezogen. Für 6000 Euro wurden Tablets, Laptop, Beamer, ein Fernseher und ein Multifunktionsgerät zum Kopieren, Drucken und Scannen angeschafft. Hier, so berichtet die „Neue Westfälische“, sollen die Amelunxener „in die Geheimnisse des Internets“eingeführt werden. 140 Dorfbewohner aus dem Kreis Höxter ließen sich in 85 Unterrichtsstunden zu Digital-Experten ausbilden. Schon bald solle es solche Medienecken auch in anderen Städten des Kreises geben, ein bundesweit einmaliges Projekt.
Man sollte meinen, dieser Artikel aus der 1200 Einwohner großen Ortschaft Amelunxen wäre ein paar Jahre alt, aber er erschien erst vor drei Monaten. Wer in NRW nach Regionen sucht, die von der digitalen Entwicklung abgehängt werden, der wird hier an der Grenze zu Niedersachsen fündig. Es mangelt an vielem, schnellem Internet, Digitalunternehmen und auch Fachkräften. Das zeigt der „Digitalisierungskompass 2018“von Prognos und Index, die für unsere Redaktion das NRW-Ergebnis ausgewertet hat. Ergebnis: Köln, Düsseldorf, Bonn und Aachen schneiden sehr gut ab, eher ländliche Regionen wie Höxter und Warendorf, der Märkische Kreis oder der Hochsauerlandkreis landen hinten.
Für die Studie wurden verschiedene Kriterien untersucht, etwa wie gut die Anbindung mit schnellem Internet ist, wie viele IT-Beschäftigte, -Auszubildende und – Unternehmensgründungen es in den Regionen gibt, wie viele digitale Patente angemeldet wurden, aber auch in wie vielen Stellenanzeigen nach sogenannten „digitalen Impulsgebern“gesucht wird. Damit sind Menschen gemeint, die in der Forschung und Entwicklung, Skala von 1 bis 100 (1=sehr schlecht, 100=sehr gut) im Hightech-Bereich, aber zum Beispiel auch im Bereich Werbung und Design arbeiten. „Je ländlicher eine Region, desto geringer sind die Digitalisierungschancen“, sagt Olaf Arndt, Bereichsleiter Stadt & Region bei Prognos: „Generell ist zu beobachten, dass die Digitalisierung eher zu Konzentrationsprozessen in Richtung Großstädten, Metropolen, Zentren führt.“
Obwohl die Gebrüder Samwer mit ihrem Unternehmen Rocket Internet von Berlin aus agieren, verfügt die Rheinmetropole Köln über eine lebendige Start-up-Szene. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat sich vorgenommen, die Stadt zu einem der zwei wichtigsten Start-up-Knotenpunkte in Deutschland zu entwickeln. Jährlich stellt die Stadt zwei Millionen Euro für eine Koordinierungsstelle bereit, die das Start-up-Ökosystem stärken soll. Und mit den Messen „Dmexco“ Indexwerte 15 bis 25 25 bis 35 35 bis 45 45 bis 55 und „Gamescom“gibt es Veranstaltungen im Digitalbereich, die europaweit Strahlkraft haben.
Solche Rahmenbedingungen gibt es im Kreis Höxter nicht, für Landrat Friedhelm Spieker (CDU) geht es daher vor allem darum, den Anschluss nicht zu verlieren. Zum Beispiel beim Ausbau von schnellem Internet. „Ein Oberbürgermeister einer Großstadt braucht sich um die digitale Netzerschließung nicht zu kümmern, einem Landrat in einem ländlichen Kreis wird das Nichttätigwerden der Telekom vorgehalten“, kritisiert Spieker. Unternehmen wie die Telekom würden lieber in verdichteten Großstädten Glasfasernetze ausbauen, weil sich dort mehr verdienen lasse. Er fordert von Bund und Land mehr Unterstützung.
Immerhin: Auch abseits des Breitbandausbaus tut sich etwas im Kreis. So gibt es beispielsweise an der Hochschule OWL mit „Precision Farming“für die Landwirtschaft und „Digitale Freiraumplanung“zwei Studiengänge auf Zukunftsfeldern, dazu das Projekt Smart Country Side, in dem Lösungen für die Digitalisierung im ländlichen Raum entwickelt werden sollen. Spieker: „Die Digitalisierung ist eine Riesenchance für den ländlichen Raum.“
Das sieht auch Monika Düker so. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im NRW-Landtag ist in Höxter geboren. „Große Potentiale liegen im Kreis Höxter zum Beispiel im Ausbau der Hochschullandschaft, für die eine gute digitale Infrastruktur und schnelles Internet genauso Voraussetzung ist wie im Gesundheitswesen, wenn wir von zukünftiger Telemedizin sprechen“, sagt sie: „Die Landesregierung hat bislang ihre Versprechen, den flächendeckenden Breitbandausbau zu forcieren, nicht eingehalten. Die Haushaltsansätze sind im Haushalt 2018 und im Haushaltsentwurf für 2019 nicht erhöht worden.“
Viele Städte und Kreise haben den Bedarf erkannt und wollen Boden gutmachen. „Digitalisierung ist mehr als nur kostenloses W-Lan im Zoo oder im Einkaufszentrum“, sagte zuletzt Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link: „Wir wollen in Sachen Digitalisierung Vorreiter in Deutschland werden.“Seit einigen Monaten gibt es in der Stadt (Platz 30 im Ranking) für Digitalisierungsprozesse einen Dezernenten. Im Kreis Mettmann (Platz 7) hat Landrat Thomas Hendele eine Stabsstelle für Digitalisierung eingerichtet, um die Verwaltung zu modernisieren.
Welche Erfolge solche Anstrengungen bringen, kann man aus Sicht von Prognos-Experte Arndt in Dortmund sehen. Die Stadt sei mit ihrer Entwicklung vom alten Industriestandort zu einer digitalen Gründerstadt beispielgebend. „Hier wurde in den vergangenen Jahren konsequent auf IT-Gründungen und Digitalisierung gesetzt“, sagt Arndt. Der Lohn: Platz sechs im NRW-Ranking.
Auch NRW würde davon profitieren, wenn es mehr solcher Beispiele gäbe. Das Land ist alles andere als Spitze im Bundesvergleich (siehe Info). „Bei den Flächenländern liegt es mit relativ großem Abstand auf Rang vier hinter Bayern, Baden-Württemberg und Hessen“, sagt Olaf Arndt. Vorteile hat das Land nur beim Breitbandausbau. Hier liegt es deutlich vor Baden-Württemberg und Bayern, allerdings erneut hinter Hessen. Gleichzeitig verdeutlichen diese Zahlen, dass der Zugang zu schnellem Internet eine Grundvoraussetzung ist, aber nicht reicht, um in der digitalen Welt eine Vorreiterrolle zu spielen. Wichtig sind auch der digitale Arbeitsmarkt (Informatiker, Ingenieure) und die Innovationsfähigkeit.
Wenn NRW aufholen will, muss es laut Arndt noch stärker auf Gründungen setzen: „Gründungen im IT-Bereich erzeugen positive Effekte: neue digitale Ideen, Anwendungen und Geschäftsmodelle, mehr Beschäftigung, mehr Ausbildung, mehr digitale Patente.“Außerdem gelte es, die Infrastruktur gezielt zu verbessern. „Breitband allein reicht nicht aus. Es braucht Investitionen in Bildung, Hochschulen, Transfer. Und letztlich müssen sich die Kreise auch kritisch fragen, ob der Anspruch sinnvoll ist, jedes Einzelgebäude in abgelegener Lage mit Glasfaser anzubinden.“
Eine interaktive Karte und Detailauswertungen der Städte aus der Region unter rp-online.de/digitalisierungskompass.