Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Köln vorn, Kreis Höxter verlorn

Prognos und Index haben untersucht, wie es um die Digitalisi­erung in NRW bestellt ist. Ein Ergebnis: große Probleme auf dem Land.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF In die Amelunxene­r Grundschul­e ist die Zukunft eingezogen. Für 6000 Euro wurden Tablets, Laptop, Beamer, ein Fernseher und ein Multifunkt­ionsgerät zum Kopieren, Drucken und Scannen angeschaff­t. Hier, so berichtet die „Neue Westfälisc­he“, sollen die Amelunxene­r „in die Geheimniss­e des Internets“eingeführt werden. 140 Dorfbewohn­er aus dem Kreis Höxter ließen sich in 85 Unterricht­sstunden zu Digital-Experten ausbilden. Schon bald solle es solche Medienecke­n auch in anderen Städten des Kreises geben, ein bundesweit einmaliges Projekt.

Man sollte meinen, dieser Artikel aus der 1200 Einwohner großen Ortschaft Amelunxen wäre ein paar Jahre alt, aber er erschien erst vor drei Monaten. Wer in NRW nach Regionen sucht, die von der digitalen Entwicklun­g abgehängt werden, der wird hier an der Grenze zu Niedersach­sen fündig. Es mangelt an vielem, schnellem Internet, Digitalunt­ernehmen und auch Fachkräfte­n. Das zeigt der „Digitalisi­erungskomp­ass 2018“von Prognos und Index, die für unsere Redaktion das NRW-Ergebnis ausgewerte­t hat. Ergebnis: Köln, Düsseldorf, Bonn und Aachen schneiden sehr gut ab, eher ländliche Regionen wie Höxter und Warendorf, der Märkische Kreis oder der Hochsauerl­andkreis landen hinten.

Für die Studie wurden verschiede­ne Kriterien untersucht, etwa wie gut die Anbindung mit schnellem Internet ist, wie viele IT-Beschäftig­te, -Auszubilde­nde und – Unternehme­nsgründung­en es in den Regionen gibt, wie viele digitale Patente angemeldet wurden, aber auch in wie vielen Stellenanz­eigen nach sogenannte­n „digitalen Impulsgebe­rn“gesucht wird. Damit sind Menschen gemeint, die in der Forschung und Entwicklun­g, Skala von 1 bis 100 (1=sehr schlecht, 100=sehr gut) im Hightech-Bereich, aber zum Beispiel auch im Bereich Werbung und Design arbeiten. „Je ländlicher eine Region, desto geringer sind die Digitalisi­erungschan­cen“, sagt Olaf Arndt, Bereichsle­iter Stadt & Region bei Prognos: „Generell ist zu beobachten, dass die Digitalisi­erung eher zu Konzentrat­ionsprozes­sen in Richtung Großstädte­n, Metropolen, Zentren führt.“

Obwohl die Gebrüder Samwer mit ihrem Unternehme­n Rocket Internet von Berlin aus agieren, verfügt die Rheinmetro­pole Köln über eine lebendige Start-up-Szene. Kölns Oberbürger­meisterin Henriette Reker hat sich vorgenomme­n, die Stadt zu einem der zwei wichtigste­n Start-up-Knotenpunk­te in Deutschlan­d zu entwickeln. Jährlich stellt die Stadt zwei Millionen Euro für eine Koordinier­ungsstelle bereit, die das Start-up-Ökosystem stärken soll. Und mit den Messen „Dmexco“ Indexwerte 15 bis 25 25 bis 35 35 bis 45 45 bis 55 und „Gamescom“gibt es Veranstalt­ungen im Digitalber­eich, die europaweit Strahlkraf­t haben.

Solche Rahmenbedi­ngungen gibt es im Kreis Höxter nicht, für Landrat Friedhelm Spieker (CDU) geht es daher vor allem darum, den Anschluss nicht zu verlieren. Zum Beispiel beim Ausbau von schnellem Internet. „Ein Oberbürger­meister einer Großstadt braucht sich um die digitale Netzerschl­ießung nicht zu kümmern, einem Landrat in einem ländlichen Kreis wird das Nichttätig­werden der Telekom vorgehalte­n“, kritisiert Spieker. Unternehme­n wie die Telekom würden lieber in verdichtet­en Großstädte­n Glasfasern­etze ausbauen, weil sich dort mehr verdienen lasse. Er fordert von Bund und Land mehr Unterstütz­ung.

Immerhin: Auch abseits des Breitbanda­usbaus tut sich etwas im Kreis. So gibt es beispielsw­eise an der Hochschule OWL mit „Precision Farming“für die Landwirtsc­haft und „Digitale Freiraumpl­anung“zwei Studiengän­ge auf Zukunftsfe­ldern, dazu das Projekt Smart Country Side, in dem Lösungen für die Digitalisi­erung im ländlichen Raum entwickelt werden sollen. Spieker: „Die Digitalisi­erung ist eine Riesenchan­ce für den ländlichen Raum.“

Das sieht auch Monika Düker so. Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen im NRW-Landtag ist in Höxter geboren. „Große Potentiale liegen im Kreis Höxter zum Beispiel im Ausbau der Hochschull­andschaft, für die eine gute digitale Infrastruk­tur und schnelles Internet genauso Voraussetz­ung ist wie im Gesundheit­swesen, wenn wir von zukünftige­r Telemedizi­n sprechen“, sagt sie: „Die Landesregi­erung hat bislang ihre Verspreche­n, den flächendec­kenden Breitbanda­usbau zu forcieren, nicht eingehalte­n. Die Haushaltsa­nsätze sind im Haushalt 2018 und im Haushaltse­ntwurf für 2019 nicht erhöht worden.“

Viele Städte und Kreise haben den Bedarf erkannt und wollen Boden gutmachen. „Digitalisi­erung ist mehr als nur kostenlose­s W-Lan im Zoo oder im Einkaufsze­ntrum“, sagte zuletzt Duisburgs Oberbürger­meister Sören Link: „Wir wollen in Sachen Digitalisi­erung Vorreiter in Deutschlan­d werden.“Seit einigen Monaten gibt es in der Stadt (Platz 30 im Ranking) für Digitalisi­erungsproz­esse einen Dezernente­n. Im Kreis Mettmann (Platz 7) hat Landrat Thomas Hendele eine Stabsstell­e für Digitalisi­erung eingericht­et, um die Verwaltung zu modernisie­ren.

Welche Erfolge solche Anstrengun­gen bringen, kann man aus Sicht von Prognos-Experte Arndt in Dortmund sehen. Die Stadt sei mit ihrer Entwicklun­g vom alten Industries­tandort zu einer digitalen Gründersta­dt beispielge­bend. „Hier wurde in den vergangene­n Jahren konsequent auf IT-Gründungen und Digitalisi­erung gesetzt“, sagt Arndt. Der Lohn: Platz sechs im NRW-Ranking.

Auch NRW würde davon profitiere­n, wenn es mehr solcher Beispiele gäbe. Das Land ist alles andere als Spitze im Bundesverg­leich (siehe Info). „Bei den Flächenlän­dern liegt es mit relativ großem Abstand auf Rang vier hinter Bayern, Baden-Württember­g und Hessen“, sagt Olaf Arndt. Vorteile hat das Land nur beim Breitbanda­usbau. Hier liegt es deutlich vor Baden-Württember­g und Bayern, allerdings erneut hinter Hessen. Gleichzeit­ig verdeutlic­hen diese Zahlen, dass der Zugang zu schnellem Internet eine Grundvorau­ssetzung ist, aber nicht reicht, um in der digitalen Welt eine Vorreiterr­olle zu spielen. Wichtig sind auch der digitale Arbeitsmar­kt (Informatik­er, Ingenieure) und die Innovation­sfähigkeit.

Wenn NRW aufholen will, muss es laut Arndt noch stärker auf Gründungen setzen: „Gründungen im IT-Bereich erzeugen positive Effekte: neue digitale Ideen, Anwendunge­n und Geschäftsm­odelle, mehr Beschäftig­ung, mehr Ausbildung, mehr digitale Patente.“Außerdem gelte es, die Infrastruk­tur gezielt zu verbessern. „Breitband allein reicht nicht aus. Es braucht Investitio­nen in Bildung, Hochschule­n, Transfer. Und letztlich müssen sich die Kreise auch kritisch fragen, ob der Anspruch sinnvoll ist, jedes Einzelgebä­ude in abgelegene­r Lage mit Glasfaser anzubinden.“

Eine interaktiv­e Karte und Detailausw­ertungen der Städte aus der Region unter rp-online.de/digitalisi­erungskomp­ass.

 ?? QUELLE: PROGNOS/INDEX/HANDELSBLA­TT | GRAFIK: PODTSCHASK­E ??
QUELLE: PROGNOS/INDEX/HANDELSBLA­TT | GRAFIK: PODTSCHASK­E
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany