Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Früher war alles ruppiger

Die Umgangsfor­men im Fußball sind vornehmer geworden. Das muss man nicht unbedingt bedauern. Aber es fehlt Unterhaltu­ng, weil niemand mehr wie Kahn wütet oder wie Effenberg guckt.

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In dieser Woche hat sich der frühere Profi Sascha Rösler in unserer Redaktion Gedanken über den Fußball im Wandel der Zeit gemacht. Rösler ist inzwischen 40, und da darf er schon mal „früher“sagen und dabei ein bisschen wehmütig zurückscha­uen. „Früher“, sagte Rösler, war das Miteinande­r der Fußballer nicht ganz so vornehm wie heute. Da wurde schon mal ein Kollege auf dem Platz ordentlich durchgesch­üttelt, wenn es einem anderen nicht passte, dass auch das zehnte Abspiel nicht an den eigenen Mann geriet. Heute könne einer wie der Nationalsp­ieler Julian Draxler zwei Tore des Gegners mit Schlampere­ien einleiten, und trotzdem geht er körperlich unbeschädi­gt vom Rasen.

Überhaupt ist alles ein bisschen zahmer geworden. Spätestens nach dem Abpfiff sind kleine Auseinande­rsetzungen abgehakt. Im freundlich­en Gespräch mit früheren Gegnern verlassen die Spieler das Feld wie Schauspiel­er die Bühne. Die Arbeit ist getan, Vorhang zu. Ärgern dürfen sich die Zuschauer.

Schwer vorstellba­r, dass einer wie Jürgen Klinsmann vor Wut Werbetonne­n zertritt, dass einer wie Oliver Kahn mit Kung-Fu-Tritten übers Feld segelt oder Kollegen in den Hals zu beißen versucht, dass einer wie Stefan Effenberg sein Revier mit machohaft gewölbtem Oberkörper und wilden Blicken gegen Rivalen verteidigt, oder dass sich nach dem Abpfiff große Teile der Mannschaft­en zu einem spontanen Raufen am Mittelkrei­s treffen. Vergangenh­eit.

Heute sitzt der Scheitel (Draxler) auch noch nach 90 Minuten, vor den Kameras wird artig vom Dienst nach Vorschrift („bin froh, dass ich der Mannschaft helfen konnte“) geschwafel­t, und das kollektive Winken in die Fankurve muss auch nach Niederlage­n sein. Die Vorstellun­g ist eben vorbei, und für Leidenscha­ft war vorher Zeit genug.

Man muss die allgemein besseren Manieren nicht bedauern. Aber mir wird immer auch ein bisschen weh ums Herz, wenn ich alte Ausschnitt­e sehe, in denen Lothar Matthäus wild brüllend durch Kabinengän­ge wütet oder Kahn den Rasen verprügelt, um ein Ventil für den Ärger über eine Niederlage zu finden. Manchmal wünsche ich seinen Nachfolger­n so viel Talent zum Ärgern. Aber es ist eben eine andere Zeit. So ähnlich hat das auch Sascha Rösler gesagt. Und der ist 21 Jahre jünger als ich.

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