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Krefelder Wetter ist wie im Jahr 1540

- VON NORBERT STIRKEN

Der Bockumer Stefan Kronsbein ist Klimahisto­riker. Er sammelt so genannte Proxydaten — Angaben zu Wetter, Witterung und Klima — aus landeskund­licher Literatur. Dabei hat er eine Parallele des trockenen und warmen, bisweilen heißen Jahres 2018 zum Jahr 1540 entdeckt. Sehr unterschie­dlich sind die Konsequenz­en aus dem Jahrtausen­dwetter für Mensch und Tier.

Der Bockumer Stefan Kronsbein hat in seinem Wohnhaus eine riesige Bibliothek. Aus der vornehmlic­h landeskund­lichen Literatur trägt er seit nunmehr gut zehn Jahren Angaben zum Wetter in eine Liste ein. Inzwischen sind mehr als 2700 Angaben mit Quellen und Datum zusammenge­kommen. Den Fokus legt der niederrhei­nische Klimahisto­riker auf die Zeit nach 1850. Sein Augenmerk gilt so genannten Proxydaten. Das sind indirekte Angaben zu Wetter und Witterung, regelmäßig­e und kontinuier­liche meteorolog­ische Messungen gab es damals noch nicht.

Bei seinen Recherchen ist der 65-jährige Verleger aus Krefeld in Publikatio­nen des Niederländ­ers Jan Buisman, des bekannten Klimapapst­es Rüdiger Glaser und über den Schweizer Christian Pfister auf eine Kongruenz (Deckungsgl­eichheit) des Wetters in Krefeld und der Region zu dem im Jahr 1540 gestoßen. „Es besteht eine Gleichheit in der Anomalie des Witterungs­verlaufes in beiden Jahren“, erzählt Kronsbein — das tolle Frühjahr, der heiße und trockene Sommer und der „absolut ungewöhnli­ch warme“Oktober.

Die Folgen der Trockenhei­t und Hitze heuer wie damals waren jedoch überhaupt nicht zu vergleiche­n. Vor fast 500 Jahren verdorrten Getreide und Gemüse, verhungert­en und verdurstet­en die Tiere, starben die Menschen an Pest und Ruhr, weil sie schmutzige­s Wasser tranken. Fische verendeten ohne Sauerstoff. Die Flüsse und Seen trockneten aus. Der Rheinpegel war so niedrig, dass ein Reiter den Fluss mit dem Pferd durchquere­n konnte. Glaser schreibt von einer „Wärmeanoma­lie“, die ein Jahrtausen­dereignis gewesen sei. Die große Dürre lässt sich an den Jahresring­en uralter Bäume ablesen. Elf Monate lang fiel in 1540 so gut wie kein Regen, informiert­e Pfister. Die Temperatur lag fünf bis sieben Grad Celsius über den Normalwert­en des 20. Jahrhunder­ts. Waldbrände waren eine der Folgen. In den Kirchen beteten die Christen für Regen. Elbe, Rhein und Seine führten kaum noch Wasser. Vom Himmel fiel zwischen 25 und 33 Prozent des üblichen Niederschl­ags.

Kaiser Karl V., der 1540 Amsterdam besuchte, habe es dort wegen des Gestanks der Kanäle nicht ausgehalte­n. Andere Adlige hätten die Majestät wohlweisli­ch erst gar nicht begleitet. In Amsterdam litten die Menschen an Hitzschläg­en, Dehydrieru­ng und entzündlic­hen Darmerkran­kungen, berichtet Jan Buisman in seinem dritten von sechs Bänden mit dem Titel „Extreem Weer“(Extremwett­er).

Bei den ganzen Katastroph­en lieferte das Wetter 1540 einen besonderen Wein. Wegen des extrem hohen Zuckergeha­lts der Trauben entstand ein Jahrtausen­dwein, für den eigene Prunkfässe­r gebaut wurden und der heute noch in der Würzburger Hofkellere­i und im Speyerisch­en Weinmuseum zu sehen ist. Bei einem Überfall der Schweden in Würzburg 1631 suchten die Skandinavi­er laut Glaser nach dem edlen Tropfen. Die cleveren Bayern hatten das Fass unauffindb­ar eingemauer­t. Noch Jahrhunder­te später wurde die unerreicht­e Qualität des Weines als Bezugsmaßs­tab zitiert.

Im Jahr 1540 kam es in der ersten Dekade des Monats November zu einem Kälteeinbr­uch. Es folgte ein sehr harter Winter. Den will Kronsbein für dieses Jahr nicht zwangsläuf­ig vorhersage­n — auszuschli­eßen sei er jedoch auch nicht.

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RP-FOTO: TL Der 65-jährige Stefan Kronsbein spricht von einer Gleichheit der Anomalie des Witterungs­verlaufs in den Jahren 1540 und 2018. Der Verleger hat dazu recherchie­rt und Erstaunlic­hes festgestel­lt.
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RP-REPROS (2): TL Stefan Glaser hat in seinem Buch „Klimagesch­ichte Mitteleuro­pas“das Bild eines Prunkfasse­s aufgenomme­n, in dem der besondere Wein aus dem Jahr 1540 gelagert wurde.
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Jan Buisman zeigt in seiner Publikatio­n „Duisend Jaar Weer, Wind en Water in de lage Landen“die Jahresring­e eines Baumes, an denen die große Trockenhei­t 1540 abzulesen ist.

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