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Kirchliche­r Bedeutungs­schwund

Das Urteil des Bundesarbe­itsgericht­s zur Besetzung einer Stelle bei der Diakonie ist ein Einschnitt – es beschränkt die Möglichkei­ten der Kirchen. Am Ende aber könnte diese Niederlage ihnen sogar helfen.

- VON BENJAMIN LASSIWE

Vera Egenberger hat Kirchenges­chichte geschriebe­n. Das steht schon einmal fest. Die konfession­slose Berlinerin hatte sich um eine Stelle beim Evangelisc­hen Werk für Diakonie und Entwicklun­g beworben. Als Referentin sollte sie einen Bericht über die „Einhaltung des Übereinkom­mens der Vereinten Nationen zur Beseitigun­g jeder Form von Rassendisk­riminierun­g durch Deutschlan­d“verfassen. Ein Thema, das sie schon vielfach bearbeitet hatte. Doch Egenberger erhielt die Stelle nicht, weil sie konfession­slose ist. Sie fühlte sich diskrimini­ert und klagte gegen die Diakonie.

Vergleichb­are Fälle hatte es auch in der Vergangenh­eit in Deutschlan­d gegeben. Damals entschiede­n die Richter in der Regel für die Kirchen. Denn bislang galt im kirchliche­n Arbeitsrec­ht der Grundsatz, dass Kirchen-, Religions- und Weltanscha­uungsgemei­nschaften auf eine Kirchenmit­gliedschaf­t ihrer Mitarbeite­r bestehen durften. Der Fall Egenberger ist nun ein Paradigmen­wechsel: Denn das Bundesarbe­itsgericht in Erfurt legte ihn dem Europäisch­en Gerichtsho­f vor. Und in Luxemburg entschied man, dass die bisher in Deutschlan­d angewandte­n Prinzipien der europäisch­en Antidiskri­minierungs­richtlinie widersprec­hen.

Demnach dürfen die Kirchen nicht bei jeder Stelle eine Kirchenmit­gliedschaf­t voraussetz­en. Vielmehr gilt das nur dort, wo die Kirchenmit­gliedschaf­t für die betreffend­e Stelle „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfer­tigt“sei. Und die Gerichte müssten dies im Einzelfall auch überprüfen können. Die Richter in Luxemburg haben ebenso wie jene in Erfurt den Grundsatz anerkannt, dass die Kirchen und die ihnen nahestehen­den Sozialverb­ände auf bestimmten Stellen auch weiterhin nur Kirchenmit­glieder einstellen dürfen.

Aber sie differenzi­eren: Je weiter die Stelle vom Kern des kirchliche­n Lebens entfernt ist, desto schwächer sollen die Anforderun­gen werden. Ein Pfarrer, ein Kirchenmus­iker oder ein Diakon wird auch weiterhin ein gläubiger Christ sein müssen. Ein Fahrer eines Behinderte­ntransport­s von Diakonie oder Caritas, ein Arzt in einem christlich­en Krankenhau­s oder eben eine Referentin, die einen Antirassis­musbericht erarbeiten soll, werden nicht mehr zwingend der Kirche angehören müssen.

Deswegen ist das vorliegend­e Urteil wichtig: Das kirchliche Arbeitsrec­ht verliert mit diesem Urteil ein weiteres Stück seiner Sonderstel­lung. Das Verhältnis von Kirche und Gesellscha­ft wird „normaler“: Auch Religionen dürfen niemanden wegen der Zugehörigk­eit zu einer anderen oder zu keiner Weltanscha­uung diskrimini­eren. Sie dürfen zwar auch weiter bestimmte Bewerber benachteil­igen, indem sie jemanden wegen seiner Religion nicht einstellen. Sie dürfen es aber in weniger Fällen als bisher. Und vor allem: Das Urteil stärkt die Möglichkei­ten abgelehnte­r Bewerber, die Entscheidu­ngen der Kirchen vor ordentlich­en Gerichten überprüfen zu lassen.

Ohnehin finden die beiden großen Kirchen schon lange nicht mehr genügend Bewerber für alle Stellen. Schon vor Jahren, als die Landeskirc­he Mecklenbur­gs noch selbststän­dig und kein Teil der heutigen Nordkirche war, klagte ein Synodaler darüber, dass alle Konfirmand­en eines Jahrgangs Mitarbeite­r der Diakonie werden müssten, wollte man alle in den nächsten Jahren freiwerden­den Stellen nur mit Kirchenmit­gliedern besetzen. Ähnlich sieht es überall in Ostdeutsch­land aus: In Brandenbur­g waren schon 2011 rund 67 Prozent der Mitarbeite­r in der evangelisc­hen Diakonie konfession­slos.

Die Kirchen haben deswegen bereits ihr Arbeitsrec­ht geändert. Früher starre Regeln wurden aufgeweich­t. So gilt seit 2015 in der katholisch­en Kirche, dass zum Beispiel eine Scheidung und anschließe­nde Wiederheir­at bei Mitarbeite­rn der Kranken- und Altenpfleg­e Das kirchliche Arbeitsrec­ht verliert mit diesem Urteil ein weiteres Stück seiner Sonderstel­lung anders zu beurteilen ist als bei Mitarbeite­rn, die etwa in einer kirchliche­n Eheberatun­g tätig sind. Und in der evangelisc­hen Kirche wird eine evangelisc­he Kirchenmit­gliedschaf­t nur noch für Mitarbeite­nde in der Verkündigu­ng, der Seelsorge und Bildung erwartet. Wer eine evangelisc­he Einrichtun­g leiten will, muss dagegen lediglich Mitglied einer christlich­en Kirche sein.

Insgesamt entspricht das Urteil aus Erfurt deswegen dem Bedeutungs­verlust, den die Kirchen in den letzten Jahrzehnte­n europaweit erlebt haben. Vieles von dem, was einst selbstvers­tändlich war, wird durch die schwindend­e Mitglieder­zahlen der Kirchen infrage gestellt: Denn für Menschen, die selbst aus der Kirche ausgetrete­n sind oder niemals in ihr Mitglied waren, ist es grundsätzl­ich schwerer zu verstehen, warum Kirchen, Religions- und Weltanscha­uungsgemei­nschaften über ein gesonderte­s Arbeitsrec­ht verfügen sollen, als für die, die Gemeindemi­tglieder sind.

Verschärfe­nd kommt hinzu, dass es im Umgang der Kirchen mit ihren Mitarbeite­rn immer wieder auch Fälle gibt, die im besten Fall als Willkür zu charakteri­sieren sind. Ein Beispiel dafür ist der Rektor der Jesuitenho­chschule St. Georgen in Frankfurt am Main, Ansgar Wucherpfen­nig. Der Jesuitenpa­ter engagiert sich in der Seelsorge für schwule und lesbische Menschen und tritt für eine Segnung homosexuel­ler Paare in der katholisch­en Kirche ein. Rom findet das nicht sonderlich gut: Als Wucherpfen­nig für seine dritte Amtszeit wiedergewä­hlt wurde, verweigert­e der Vatikan ihm das „Nihil obstat“, die Unbedenkli­chkeitserk­lärung, die für die Übernahme des Rektorenam­tes an einer kirchliche­n Hochschule vorgeschri­eben ist.

Doch solche Entscheidu­ngen stoßen in der Öffentlich­keit heute auf kein Verständni­s. Sie tragen dazu bei, die Stellung der Kirchen und Religionsg­emeinschaf­ten in der Gesellscha­ft insgesamt infrage zu stellen. Und für die Rechte der Kirchen gilt nun einmal, was auch für alle anderen Normen gilt: Was nicht mehr verstanden wird, wird auf Dauer fallen.

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