Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Mann mit dem Skateboard

Beto O’Rourke möchte in den US-Senat. Aber als texanische­r Demokrat hat er es nicht leicht.

- VON FRANK HERRMANN

CORPUS CHRISTI Ob er auf dem Skateboard auf die Bühne rollt? „Thrasher“, ein Skate-Magazin, hat Beto O’Rourke eins geschenkt. Ein gediegenes Exemplar, dessen Vorzüge der Kongressab­geordnete mit fachmännis­chen Kommentare­n würdigt. Mit Skateboard­s kennt er sich aus, seit er in der sechsten Klasse sein erstes geschenkt bekam.

Im Wahlkampf redet er oft davon, da ist so ein Brett viel mehr als ein Brett, nämlich ein Symbol für eigene Wege. Auf Skateboard­s, sagt er, habe er gelernt, sich nichts und niemandem unterzuord­nen, auszubrech­en, die Dinge selbst zu machen. Beto O’Rourke, der Rebell. Im Herzen noch immer Teenager. Jedenfalls lässt er sich nicht lange bitten und rollt tatsächlic­h auf dem Skateboard auf die Theaterbüh­ne im Del Mar College in Corpus Christi. Ein Schlaks in Jeans und Freizeithe­md, jungenhaft­er Charme, jungenhaft­es Gesicht, gefeiert wie ein Rockstar. O’Rourke fuhr nicht nur leidenscha­ftlich gern Skateboard, er spielte auch Punkrock.

Bis zum Ende des Wahlrennen­s, auch das ist unkonventi­onell, will er sämtliche 254 Countys des Bundesstaa­ts Texas mindestens einmal besucht haben. Am 6. November wählen die Amerikaner ein Drittel der Senatoren und das gesamte Repräsenta­ntenhaus. Er fahre auch in Landstrich­e, die so rot glühten, dass man das Glühen aus dem Weltall sehen könnte, betont er. Rot ist die Farbe der Republikan­er, und wenn ihm die Profis der Politikber­atungsbran­che entgegnen, dass er mit Ausflügen in tief konservati­ves Milieu nur seine Zeit verschwend­e, erwidert er ungerührt: „Aus diesem Grund habe ich keinen politische­n Berater in meinem Team.“Die Parteifarb­e, sagt O’Rourke, interessie­re ihn nicht, man könne zu jedem einen Draht finden, so wie bei einem Rockkonzer­t vor anfangs skeptische­m Publikum. Nur müsse man sich eben anstrengen. „Ich würde auch nicht für einen Bewerber stimmen, der sich in meiner Gegend nie blicken lässt.“

Wer weiß, was für ein Riesenstaa­t dieses Texas ist, dass man elf Stunden braucht, um von O’Rourkes Heimatstad­t El Paso nach Houston am Golf von Mexiko zu gelangen, kann ungefähr ermessen, wie viele Stunden der Mann im Auto verbringt. Sitzt der Vater dreier Kinder am Lenkrad, allein oder neben einem Assistente­n, lässt er sich meist von einer Handykamer­a filmen, die Bilder sind live bei Facebook zu sehen.

Auch an diesem Samstag im Oktober, an dem er Joe Kennedy vom Flughafen von Corpus Christi abholt. Joseph Patrick Kennedy III, wie es exakt heißen muss, ist der Hoffnungst­räger einer traditions­reichen Familie, der einzige Kennedy, der derzeit im US-Kongress sitzt. O’Rourke weist ihm grinsend den Fahrersitz zu, Kennedy verfährt sich, weil O’Rourke nicht aufgepasst hat. Wie sich die beiden auf die Schippe nehmen, angefeuert von ihren Frauen Amy und Lauren, lässt immerhin eines erkennen: Wahlkampf kann Spaß machen, auch im aufgeheizt­en politische­n Klima der USA. An einer Ampelkreuz­ung, witzelt O’Rourke später auf der Bühne, habe er in den ratlosen Gesichtern eines älteren Paares die Frage erahnt: Wer ist dieser Kerl? „Keine Ahnung“, malt er sich die Antwort aus. „Aber wenn ihn ein Kennedy fährt, muss er wichtig sein.“

Am 6. November will der 46-Jährige die Senatswahl in Texas gewinnen. Gelingt ihm das, wäre es ein Coup, denn 1988 haben die Texaner zum bisher letzten Mal einen Demokraten in den US-Senat delegiert. Ted Cruz, der republikan­ische Amtsinhabe­r, den O’Rourke herausford­ert, war beim Kandidaten­rennen vor zwei Jahren Trumps schärfster innerparte­ilicher Rivale. Ein wortstarke­r Redner, geschult in der Kunst der schnellen Debatte. Stramm konservati­v, weiß er die evangelika­len Christen auf seiner Seite – in Texas eine Macht. Cruz ist und bleibt Favorit. O’Rourke, so hat es John Cornyn zugespitzt, der zweite Senator des „Lone Star State“, befinde sich auf einem politische­n Selbstmord­trip.

Am Del Mar College fühlt es sich anders an. Der Theatersaa­l ist, schon lange bevor der Kandidat auf die Bühne rollt, voll. „Beto for Senate“steht auf Plakaten, kein Familienna­me, nur Beto. O’Rourke heißt eigentlich Robert, seine Familie hat irische Wurzeln, doch sein Spitzname klingt interessan­ter. Kritiker werfen ihm vor, er wolle sich bei den Latinos anbiedern, die bald die Mehrheit in Texas bilden.

„Wir richten uns gegen niemanden, und ganz bestimmt nicht gegen eine andere Partei“, ruft der schlaksige Mann. „Jeder von uns ist hier, weil er für etwas ist. Für die Vereinigte­n Staaten von Amerika.“Wenn er redet, grundsätzl­ich frei, rudert O’Rourke unbeholfen mit den Armen. Bei dieser Wahl, skizziert er, gehe es um Grundsätzl­iches. Um den Charakter der Nation. Man wolle doch sicher kein Land sein, das Kinder an der Grenze von ihren Eltern trenne, wie es auf Anordnung Trumps geschehen ist. „Stellt euch vor, da hat ein kleines Mädchen 2000 Meilen zurückgele­gt, quer durch Mexiko, mal zu Fuß, mal auf dem Dach dieses schrecklic­hen Zuges, den sie ‚Das Biest‘ nennen. Statt ihm Zuflucht zu gewähren, entreißen wir es den Armen seiner Mutter.“

In seinem Programm verlangt O’Rourke strengere Waffenkont­rollen, ohne privaten Waffenbesi­tz anzutasten, er will den staatlich garantiert­en Mindestloh­n auf 15 Dollar pro Stunde anheben, Marihuana legalisier­en, bezahlbare Krankenver­sicherunge­n für alle. Im Kern aber geht es um die Würde Amerikas.

Edward Costley, ein Restaurant­besitzer, 52, hat schon für alle möglichen Bewerber gestimmt, für Republikan­er, Demokraten, Libertäre. Die Konservati­ven, sagt er, hätten früher für Ideen gestanden, für freien Handel. Bei Trumps Republikan­ern aber gehe jeder Ideenstrei­t schnell unter die Gürtellini­e, deshalb baue er auf O’Rourke. Auf den Gegenentwu­rf. Die Studentin Zoe Perez, 18, erkennt Parallelen zu Barack Obama: „Die klare Sprache, das Authentisc­he. Bei beiden hast du nicht das Gefühl, dass sie dir etwas vormachen. Und beide reden von der Hoffnung, nicht von der Angst.“

Anders als Obama stammt O’Rourke aus geordneten, zudem aus wohlhabend­en Familienve­rhältnisse­n, die es ihm ermöglicht­en, sich auszuprobi­eren, ohne ans Geldverdie­nen denken zu müssen. In New York, wo er an der prestigetr­ächtigen Columbia-Universitä­t

studierte, hat der Sohn eines Richters in einer Punkband namens Foss Bass gespielt. Nach dem Studium machte er mal dies, mal das, unter anderem transporti­erte er teure Gemälde für ein auf Kunst spezialisi­ertes Fuhruntern­ehmen. Einmal wurde er wegen Trunkenhei­t am Steuer festgenomm­en.

Zurückgeke­hrt nach El Paso, gründete er eine IT-Firma. 2005 wählten ihn die Bürger seiner Stadt in die Gemeindeve­rwaltung, sieben Jahre darauf ins Repräsenta­ntenhaus. Dort profiliert­e er sich als einer, der auch mit der Gegenparte­i kann. Als im März 2017 ein Schneestur­m die drei Flughäfen Washington­s lahmlegte, sorgte er mit einem Automarath­on für Aufsehen. Von Texas ging es an die Ostküste, neben ihm saß der Republikan­er Will Hurd. Wie die beiden im Auto diskutiert­en, war live bei Facebook zu verfolgen, und es machte deutlich, dass es auch in Trumps Amerika noch so etwas wie Streitkult­ur gibt. Seitdem gilt O’Rourke als die Inkarnatio­n frischen Windes. Er hofft auf die Stimmen von Menschen, die schon lange kein Wahllokal mehr betreten haben. Vor allem hofft er auf die Jungen, deren Wahlbeteil­igung bei Kongresswa­hlen zuletzt deutlich unter dem Durchschni­tt lag. Der legendäre Country-Sänger Willie Nelson hat ein Konzert für ihn gegeben, vor 50.000 Zuschauern in Austin.

Harlingen, eine Kleinstadt im Tal des Rio Grande, gut zwei Autostunde­n von Corpus Christi entfernt. Bevor O’Rourke die Bühne eines Kongressze­ntrums betritt, beantworte­t er ein paar Fragen. Warum er glaube, ausgerechn­et in Texas gewinnen zu können? „Ich glaube jedenfalls nicht“, sagt er, „dass sich die Leute über das vorangegan­gene Votum definieren lassen.“Texas sei bereit, etwas wirklich Großes zu tun.

 ?? FOTO: AFP ?? Beto O‘Rourke (46) signiert für einen seiner Unterstütz­er ein Skateboard.
FOTO: AFP Beto O‘Rourke (46) signiert für einen seiner Unterstütz­er ein Skateboard.

Newspapers in German

Newspapers from Germany