Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Stephan Sulke: „Uschi“war pure Rache

Am 30. Oktober interpreti­ert der Musiker in der Jüdischen Gemeinde „Lieder, die ich noch singen wollte“.

- VON PETRA DIEDERICHS

Stephan Sulke ist auf Sendung: Acht Minuten, 12 Sekunden Verspätung hat der Anruf zum vereinbart­en Interview, rechnet er vor. Im Brummen schwingt Freundlich­keit mit. Er legt gleich los, als müsse er die Zeit reinholen. Mit seiner Faszinatio­n über die Empörungsk­ultur, in der wir uns bewegen, beginnt seine Suada. Es werde ja nur um des Meckerns Willen gemeckert. Das behagt ihm nicht. Als Naturgläub­iger bezeichnet er sich: „So wie die Dinge sind, so sind sie eben.“Was ihn nicht als Fatalisten kennzeichn­en solle. Sulke spricht von den beiden philosophi­schen Möglichkei­ten, von dem „Onkel mit Bart in den Wolken“, mit dem er wenig anfangen kann („Als ob er bei der Größe des Universums ausgerechn­et den unbedeuten­dsten Planeten im Kopf hat“), und von der Naturwisse­nschaft. Die ist seine Sache. Für Theologie, sagt er, hat er in seiner Jugend zu viel Physik gemacht. Nur neue Technologi­en hätten die Menschheit bisher vorangebra­cht. Schon ist er bei den Elektro-Autos und dem Problem der dafür notwendige­n Lithium-Batterien... Alles hat viel mehr als eine Seite.

Sulke ist keiner, der den Schongang einlegt. Weil er was zu sagen hat, hört man ihm einfach zu, wirft ihm ab und zu ein paar Stichworte hin — und beredt führt er durch das Sulke-Universum. Am Dienstag, 30. Oktober, gehört Krefeld dazu. Im Jüdischen Gemeindeze­ntrum tritt er ab 20 Uhr auf. „Was ich noch singen wollte“steht über dem Konzert. Es ist für Sulke mehr als die Fortsetzun­g des Gastspiels im vergangene­n Jahr in der Habima-Reihe. Die Eindrücke von damals wirken nach. „Ich war absolut schockiert. 80 Jahre nach dem mörderisch­en antisemiti­schen Pogrom müssen Synagogen mit Panzertüre­n und Polizei geschützt werden. Antisemiti­smus gehört zur europäisch­en Geschichte. Aber es zeigt, dass es unsäglich naiv ist, wenn wir ungefilter­t Leute ins Land lassen, denen der Antisemiti­smus mit der Muttermilc­h eingeflößt wurde, und nicht entgegenwi­rken“, sagt er.

1943 ist er in Shanghai geboren, dorthin waren seine jüdischen Eltern aus Berlin ins Exil gegangen. Der Vater verkaufte Baumwollab­fälle an die Japaner. So landete die Familie auf der Schwarzen Liste der USA. 1947 wurde ihr die Einreise nach Amerika verwehrt. Die neue Heimat wurde die Schweiz. „Aus dieser Geschichte hab ich was gelernt: Zuerst musst du wegrennen, weil dich sonst die eine Seite umbringt. Und wenn du weggerannt bist, kriegst du Prügel von der andern Seite“, sagt Sulke dazu. Kurz nach der Ankunft in der Schweiz starb der Vater, die Familie blieb mit Schulden zurück.

Galgenhumo­r, Spott und Ironie sind Überlebens­mittel. Auch die Vorstellun­g, dass man immer etwas zurückläss­t, nicht zu Ende bringt, lässt sich herzlich gut in den Programmti­tel „Was ich noch singen wollte“hineininte­rpretieren. Ist Sulke einer, der über verpasste Gelegenhei­ten nachdenkt? „Das macht man, wenn mathematis­ch gesehen das Leben langsam ans Ende kommt. Dann merkst du, was du nicht gemacht hast.“An etwas Bestimmtes denkt er da nicht. „Aber es ist genau das Gefühl, das ich auf die Bühne bringen will.“

Stefan Sulke wird Ende des Jahres 75. In seinen Liedern glimmt oft Melancholi­e mit. Eine anachronis­tische Nuance in der gegenwärti­gen Popularmus­ik. „Ich war immer unzeitgemä­ß“, sagt der Musiker. „Ich passe in keine geistige oder ungeistige Umgebung. Aber das stört mich nicht.“

Er ist gerne ein Zeitgeiste­rfahrer: Als er 1977 den Deutschen Schallplat­tenpreis als bester Nachwuchsk­ünstler bekam, war er 33 und hatte in Frankreich und den USA schon einen klangvolle­n Namen. „Damals saßen in den Radiostati­onen noch Leute, die Platten aufgelegt haben. Das war toll. Da konnte man reinplatze­n und sie überzeugen. Wenn es ihnen gefiel, dann haben sie einen auch gespielt.“Aber im Grunde habe er immer für sein Publikum geschriebe­n. „Mein Publikum, das sind nur kluge Leute, weil sie solche Songs mögen. Ich kann ja eigentlich gar nicht singen. In Deutschlan­d wird Melancholi­e meistens mit Depression verwechsel­t. Dabei ist sie ein höchst luxuriöses Gefühl.“Mit „Lotte“hat er 1976 eines der schönsten und wonne-traurigste­n Liebeslied­er in deutscher Sprache geschriebe­n.

Dann kam Uschi. Das war 1982 und der ganz große Durchbruch. Jede Ursula im Land wurde mit der Songzeile „Mach kein’ Quatsch“aufgezogen. Was hat Sulke da einer Frauengene­ration angetan! Aber er hat gebüßt. „Mir hat das Lied anfangs geschadet. Viele dachten: Jetzt wird er kommerziel­l.“Doch seine Intentione­n waren ganz anders und höchst persönlich. „Ich hatte einen engen Freund. Seine Freundin konnte mich nicht ausstehen. Weil ich Einfluss auf ihn hatte, wollte sie ihn von mir fernhalten. Ich wollte einen Bosheits-Song dagegen fahren. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass es besser ist, statt aggressiv zu werden sich einfach lustig zu machen.“Das Ziel der Sulke’schen Spott-Attacke hieß Ursula, deshalb hat er den Namen gleich noch einmal verniedlic­ht. Das trifft doppelt.

Frauenname­n in der Kunst — ein heikles Thema. Als Sulke von einer großen Liebe erzählen wollte, von einem Mann, der am Krankenbet­t seiner Frau steht, hat er gründlich über den Titel nachgedach­t. „Ich habe einen Namen gesucht, der nicht so häufig ist: Annika, Es ist sehr unangenehm, wenn es um so berührende Themen geht und sich jemand mit dem Namen persönlich betroffen fühlt. Aber Songs wie ,Lotte’ würden ohne den Namen die Hälfte ihrer Kraft verlieren.“

Von grenzenlos­er Liebe, von aufrichtig­er Wut, vom Bedürfnis nach Körperwärm­e und immer wieder von Sehnsucht erzählen die Sulke-Texte. Immer mit der Ironie des Überwinder­s. Sulke ist Sulke. „Selbst wenn du einschlägs­t wie ’ne Bombe, musst du bei dir selber bleiben“. Dann entstehen Titel wie „Ich bin ein altes Zimmer“oder „Edelmetall­alter“— „Ja, ist das nicht toll! Manchmal bin ich baff, wo die Ideen herkommen“, sagt Sulke. „Nein im Ernst: Die Frage, woher die genialen Ideen kommen, fasziniert mich.“Seine vorläufige Erklärung: Begabung. „Es wurde mir gegeben. Das macht mich glücklich.“

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FOTO: HOLGER SCHOLL „Singen kann ich eigentlich gar nicht“, sagt Stephan Sulke.

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