Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Leuchtende Blätter im Herbst
Der Buchenwald Grumsin in Brandenburg zählt zu den fünf Alten Buchenwäldern Deutschlands, die seit 2011 auf der Unesco-Welterbeliste stehen. Durch einen Teil führen markierte Wanderwege. Vor allem im Herbst lohnt sich ein Besuch.
Sobald die tief stehende Sonne es ein wenig durch die Wolken schafft und die goldgelben Blätter zum Leuchten bringt, darf Wanderführer Hesse schweigen. Dann zücken seine Gäste Kamera oder Smartphone. Jan Hesse hat Zeit. Mehr als drei Stunden für eine Strecke von nicht mal sieben Kilometern – da ist sogar noch die Kaffeepause drin, Fotosessions und Fragen sowieso.
„Was bedeutet der Name Grumsin?“, will eine Besucherin aus Berlin wissen. Das ist so ziemlich die einzige Frage, bei der Hesse dann passen muss, obwohl sie bei fast jeder Führung, die der Natur- und Landschaftspfleger im Auftrag des Naturschutzbundes (Nabu) macht, auftaucht. „Ich habe in all den Archiven und Bibliotheken, die ich dazu befragt habe, keine Erklärung gefunden“, sagt er.
Fest steht, dass die kleine Siedlung Grumsin einst an einem viele Kilometer langen Zaun entstand und nur eine einzige Funktion hatte: die Instandhaltung eben dieses Zaunes, der ein kurfürstliches Jagdgebiet schützen sollte. Auch in der DDR gehörte der Wald zu einem ausgedehnten Staatsjagdgebiet. Und das hatte sein Gutes: Man nutzte ihn forstwirtschaftlich kaum und entfernte nur selten junge Buchen, um freie Sicht auf das Wild zu bekommen. Nach 1989 blieb dann in einer Kernzone jegliche Baumentnahme aus und der Wald sich selbst überlassen. Wie es sich auf der Grenze zum Wildwuchs wandert, davon machen sich an diesem Herbstsonntag rund 20 Besucher ein Bild.
Auf der Freizeitkarte Angermünde ist der Weg als „Urwaldpfad“ausgewiesen, aber Hesse macht unterwegs deutlich, dass man von einem Urwald noch weit entfernt ist: „Der Grumsin ist ein Zwischending zwischen Wirtschafts- und Naturwald. Wir sind erst auf dem Weg und wir brauchen einen langen Atem.“Wer sich wirklich ein Bild machen will, wie Deutschland aussähe, hätte der Mensch nicht eingegriffen, sollte in die Karpaten reisen, deren Rotbuchenwälder schon länger zum Weltnaturerbe zählen.
Aber so weit können und wollen die Besucher nicht fahren. Die meisten kommen aus dem etwa 90 Kilometer entfernten Berlin. Wenn sie unterwegs einige mächtige entwurzelte Bäume oder vom Zunderschwamm zersetzte Stümpfe entdecken, ist ihnen das schon Urwald-Feeling genug.
Die Buche ist anpassungsfähig, schattentolerant, und wenn sie es schafft, schneller zu wachsen als ihre Umgebung, breitet sie ihre Blätter aus und dunkelt alles darunter ab: „Im Buchenwald kommen nur noch zehn Prozent des Sonnenlichtes am Boden an, den meisten Pflanzen reicht das nicht“, erklärt Hesse.
Mit der Strategie, der Konkurrenz das Licht auszuschalten, konnte sich die Rotbuche am Ende des Eiszeitalters vor etwa 15.000 Jahren in Mitteleuropa ausbreiten, inzwischen ist ihre Waldfläche aber sehr stark geschrumpft. Das gilt besonders für die Tiefenlandbuchenwälder,
zu der auch der Grumsin gehört, wie Hesse betont. „Das hat die Unesco auch erkannt und will mit dem Titel Weltnaturerbe über den Wald informieren und für besonderen Schutz und Aufmerksamkeit sorgen.“Letzteres habe auch schon ganz gut geklappt: „Wir machen jede Woche ein, zwei Führungen und wir haben auch sehr viele Gäste, die so durch den Wald spazieren.“
Das freut allerdings nicht alle Einheimischen, und in Altkünkendorf, wo zur Verkündung der Entscheidung der Unesco noch die Kirchenglocken läuteten, macht sich Unmut breit. „Das Dorf macht einen Aufstand gegen die Art und Weise, wie der Grumsin vermarktet wird“, sagt Lutz Köhler. Der 73-Jährige wandert am liebsten den Großen Rundweg von 22 Kilometern zuzüglich der sieben Kilometer, die er vom Stadtzentrum Angermünde noch zurücklegen muss. Aber da ist er in seiner Altersgruppe eher die Ausnahme: „Das sind doch meist keine ausgewiesenen Fußwege.“Wenn sie aber von den Parkplätzen an den Infozentren loslaufen, müssen sie erst einmal mehr als einen Kilometer zurücklegen, bis sie den Wald erreichen. „Das ist nicht attraktiv, man geht Landstraße.“
Also parken manche Gäste die Anfahrtswege zu, hinterlassen bisweilen Dreck und bringen die Ortsansässigen, die ihre Ruhe haben wollen, gegen sich auf. „Man hat bei der Planung vergessen, die Bürger mitzunehmen“, beklagt Köhler. Uwe Graumann, stellvertretender Leiter des Biosphärenreservats in Angermünde, verweist dagegen auf einen Beirat aus Ortsvorstehern, Bürgermeistern und Touristikern, der bereits vor der Anerkennung durch die Unesco gegründet wurde: „Das gemeinsam entwickelte Konzept sieht vor, dass die umliegenden Ortschaften als freundliche Ankunftsorte für die Gäste fungieren, die notwendige Infrastruktur anbieten beziehungsweise ausbauen.“
Graumann verweist auf positive Effekte, macht aber zugleich deutlich: „Das Tourismuskonzept wird in den kommenden Monaten nochmals überarbeitet.“
Bis es so weit ist, schickt das Ehepaar Köhler seine Pensionsgäste für das Erlebnis Buchenwald viel lieber in den Angermünder Stadtwald. „Da darf man sich wenigstens frei bewegen.“Auch dort gibt es die für die Region typische Kombination aus Wasser, Wald und bewegtem Gelände, über das im Herbst mit etwas Glück Wildgänse oder Kraniche hinwegziehen. Ansonsten bleibt man auf dieser zweiten Hälfte des „Urwaldpfades“unter sich, denn die ganzen Gästeführungen zieht es nämlich in den Grumsin.
„Wenn Sie jetzt nach Hause fahren, können Sie sagen, Sie standen am höchstgelegenen See Brandenburgs“, sagt Jan Hesse und zeigt von einer Anhöhe auf den Schwarzen See. Ein magischer Ort aus Sumpf, Moos und Totholz, finden die Gäste und würden gern noch verweilen, als der „Urwaldpfad“kurz darauf in eine offene Heckenlandschaft überführt – wie eng doch Natur und Kultur miteinander verwoben sind.