Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

So klingt eine Welt in Auflösung

Das großartige neue Album von Neneh Cherry heißt „Broken Politics“.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Komische Zeit gerade, kalt geworden, sogar in Brasilien, die Welt ohnehin in Auflösung, und morgen ist auch noch November. Musik hilft, bisschen jedenfalls, diese Musik zumal. Neneh Cherry hat nämlich soeben das zum Lebensgefü­hl passende Album veröffentl­icht. Ein sehr berührende­s Album, „Broken Politics“heißt es, und darauf singt sie diese Verse: „Don’t have anywhere to go / Nowhere to hide / All of me is now“.

Neneh Cherry ist die Stieftocht­er des Jazz-Trompeters Don Cherry, sie hatte Ende der 1980er Jahre ihren ersten Hit, er heißt „Buffalo Stance“, und legendär ist ihr Auftritt mit dickem Babybauch in der Sendung „Top Of The Pops“. „Manchild“, „Inna City Mamma“und „7 Seconds“mit Youssou N‘Dour waren Folge-Singles, und allmählich entwickelt­e sich die heute 54-Jährige zu einer der fasziniere­ndsten Künstlerin­nen. Nur alle Jubeljahre bringt sie eine Platte heraus – mal Jazz, mal Elektro –, immer klingt sie neu, und nun arbeitet sie zum zweiten Mal mit dem englischen House-Produzente­n Kieran Hebden alias Four Tet zusammen.

Oft läuft es bei solchen Koprodukti­onen ja so, dass ein Instrument­al fertig ist und dann darüber gesungen wird, und irgendwie hört man immer, dass parallel gearbeitet wurde, aber nicht gemeinsam. Hier ist es anders, die Arrangemen­ts schmiegen sich an die Stimme Cherrys, sie umspielen ihre Worte, scheinen auf die Emotionen der Sängerin zu reagieren, sich daran auszuricht­en. Und man meint Cherry tatsächlic­h sehr nahe zu kommen: Es ist, als sitze sie am Bett des Hörers und singe zur guten Nacht. Man hört das Atemholen, den Schlag der Zunge gegen die Innenseite der Zähne, das Schlucken.

Die Instrument­ierung ist zumeist leise, Flöte, Harfe, Vibrafon, es gibt nur zwei, drei schnellere Songs. Das ist in einem ursprüngli­chen Sinn schöne Musik. In den Texten offenbart sich jemand; die in Schweden lebende Cherry singt über Empathie, Flüchtling­e und Waffengewa­lt. Sie tut das persönlich, intim, mitunter kontemplat­iv. Manchmal macht ein mächtiger Bass oder ein verschlepp­ter Beat darauf aufmerksam, dass Gefahr im Verzug ist, aber diese Platte ist bei aller Verletzlic­hkeit nie schwermüti­g oder resignativ.

Das Stück „Natural Skin Deep“wurde auf ein Sample des Saxophonis­ten Ornette Coleman gebaut, mit dem Neneh Cherrys Stiefvater zusammenge­arbeitet hat. Im Song verrät Cherry, wie sie auf die Zurichtung­en der Gegenwart reagiert. Und vielleicht ist genau das überhaupt und ohnehin das allerbeste Mittel: „My love goes on and on.“

Info Neneh Cherry: „Broken Politics“, als LP, CD und Download.

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FOTOS: VOLKER DÖHNE. Am Ziel: die Colonia Ulpia Traiana, heute Xanten mit seinem Archäologi­schen Park.
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FOTO: SMALLSOUND Neneh Cherry, fotografie­rt von Wolfgang Tillmans.

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