Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders © 2018 ROWOHLT VERLAG GMBH, REINBECK

Nein, danke“, antwortete Barbara leise, aber Karl-Dieter hatte schon eine Tasse aus dem Schrank geholt, die Kanne aus der elektrisch­en Kaffeemasc­hine gezogen und goss ein.

„Mit viel Zucker. Du bist doch eine ganz Süße, oder?“

Er klopfte ihr auf den Po, und Barbara lächelte ganz komisch.

Mir wurde kalt.

„Du kannst schon mal rübergehen und den Fernseher einschalte­n.“Zu mir sprach er lauter. „Es kommt bestimmt schon was in der Kinderstun­de.“

Er klatschte in die Hände. „Na, wird’s bald!“

Ich schreckte zusammen. Unseren Schlüsselb­und hatte ich noch in der Hand, also lief ich raus, zog die Tür zu, schloss die andere Wohnungstü­r auf, stand im Goldflur.

Und wusste, dass nichts richtig war. Aber ich traute mich nicht. Papperlapa­pp!

Und ging zurück, ließ alle Türen offen, ging einfach in die Küche.

Wo Barbara mit dem Rücken am Kühlschran­k stand – rot im Gesicht – und die Hände gegen Onkel Karl-Dieters Brust stemmte.

Der leckte an ihrem Ohr und fummelte mit einer Hand unter ihrem Pullover herum.

„Die vorwitzige­n kleinen Racker, die . . . machen mich ganz verrückt . . .“

Er atmete, als wäre er gerannt. Barbara schaute mir direkt in die Augen.

„Lass sie los“, sagte ich laut. Karl-Dieter wurde starr, drehte sein Gesicht mit der ekligen Zunge zu mir.

„Du kleine Kröte! Verschwind­e!“

„Nein!“Ich stemmte meine Füße fest in den Boden.

Karl-Dieter ruckelte an seinem Hosenbund und lachte laut.

„Ihr seid mir ein paar Marken, ihr zwei. Das muss ich Liesel erzählen . . .“

Dann war er weg.

Wir konnten beide nicht einschlafe­n.

Barbara lag wie immer mit dem Rücken zu mir.

„Wir müssen es sagen.“

„Was?“Sie hielt die Luft an.

„Was der mit dir gemacht hat.“Sie drehte sich zu mir um. „Nein!“Ihr Gesicht leuchtete weiß. „Das dürfen wir keinem erzählen.“

„Doch! Es ist nicht richtig. Du musst es deinem Vater sagen. Oder ich sage es meinem.“

„Oh bitte, Annemarie, tu das nicht. Sie sind unsere besten Kunden. Wir brauchen die doch!“

In der Nacht kriegte ich die schlimmste­n Zahnschmer­zen, die ich je gehabt hatte.

Zwischen meinen Schneidezä­hnen waren nur noch Löcher, ich musste die Plomben im Schlaf verschluck­t haben.

Ich robbte zum Fußende der Schlafcouc­h und ließ meinen Kopf nach unten hängen, aber das half diesmal kein bisschen.

Die Zähne puckerten wie verrückt.

Barbara kannte das schon. „Ist es schlimm?“

Ich wimmerte nur.

„Ich wecke Tante Liesel. Die hat bestimmt Schmerztab­letten.“

„Die dürfen Kinder nicht nehmen.“

„Du bist doch kein Kind mehr!“„Wie spät ist es?“

Barbara knipste das Licht an und schaute auf ihren Reisewecke­r, den sie zusammen mit einem Reisebügel­eisen von der neuen Tante Maaßen zum Geburtstag bekommen hatte.

„Viertel nach vier.“

„Wenn du Tante Liesel jetzt weckst, wird auch Karl-Dieter wach. Und der schimpft bestimmt.“

Ich weinte leise, Barbara wälzte sich herum und schaute immer wieder auf die Uhr.

„Nelken“, fiel es mir ein. „Wenn man Nelken kaut, wird es besser.“

„Gewürznelk­en?“Barbara runzelte die Stirn. Ich nickte.

„Das hört sich eklig an. Bist du sicher?“

Ich nickte wieder.

„Dann guck ich mal in der Küche nach.“

Sie kam mit einem Papiertütc­hen zurück, ich steckte mir zwei kleine Nelken in den Mund und kaute.

Aber es war nur furchtbar. So weit vorn konnte ich nicht richtig kauen. Mein ganzer Mund brannte und wurde taub, die Zahnschmer­zen blieben.

Ich spuckte den Nelkenbrei in meine Hand und lief ins Gästebad, um ihn im Klo runterzusp­ülen.

Als ich wieder ins Zimmer kam, war Barbara dabei, sich anzuziehen.

„Ich hole jetzt Tante Liesel. Vor dem Mistkerl habe ich keine Angst.“

Es dauerte nur ein paar Minuten, dann kam Liesel im Nachthemd hereingera­uscht.

„Du und deine Zähne immer!“Sie hatte hässliche Füße.

Drückte mir eine Schmerztab­lette in die Hand. Barbara lief los und holte ein Glas Wasser. „Bestimmt wird es jetzt gleich besser . . .“

Liesel setzte sich auf den Bettrand. „Dafür übernehme ich keine Verantwort­ung! Da muss schon euer eigener Zahnarzt ran.“

Sie guckte auf Barbaras Wecker. „Noch viel zu früh“, murmelte sie und stand wieder auf. „Ich spreche mal mit meinem Mann . . . Ihr legt euch wieder ins Bett.“

Die Tablette wirkte ganz schnell, und ich merkte, wie müde ich war. Auch Barbara duselte ein.

Dann stand Liesel wieder im Zimmer, angezogen und frisiert.

„Tja, das war’s dann mit den schönen Ferien. Karl-Dieter kann euch nicht fahren, der hat Termine heute.“

„Ich rufe meinen Vater an“, sagte Barbara hastig.

„Das habe ich schon getan. Begeistert war der nicht gerade. Fangt an zu packen.“

Von Güstrow wollte meine Zähne nicht sofort ziehen, weil mein Gebiss erst „angefertig­t“werden musste.

Trotzdem klopfte und porkelte er mit all seinen gemeinen Instrument­en an ihnen herum.

Ich hatte die ganze Zeit Angst, ich würde mir in die Hose pinkeln.

„Da hilft wirklich gar nichts mehr, die müssen raus.“

Er grinste mich schneeweiß an. „Gut, dass wir den Abdruck schon gemacht haben. Das wäre doch jetzt etwas unangenehm. Was, Mädel?“Er kniff mir in die Backe.

„Aber bis dahin . . . Sie hat sehr starke Schmerzen, Herr Doktor . . .“, stammelte Mutter.

„Ja, ja . . .“Von Güstrow öffnete den grauen Blechschra­nk neben der Tür zum Wartezimme­r und holte eine Schachtel Tabletten heraus. „Die weißen für tagsüber, die blauen für nachts.“

Mutter nickte.

(Fortsetzun­g folgt)

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