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Versteckt im Schäferkarren
Der ehemalige britische Premierminister David Cameron schweigt zum Brexit. Dabei hat er das Referendum über den EU-Austritt erst ermöglicht.
LONDON Tony Blair meldet sich zu Wort, Gordon Brown hält Reden, und John Major wird nicht müde, eine warnende Stimme zu erheben. Die drei britischen Ex-Premierminister halten, wenn es um den Brexit geht, mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Doch was ist mit David Cameron? Der Mann, der das Referendum über den EU-Austritt ermöglicht hat und direkt verantwortlich ist für die Situation, in der die Briten sich jetzt finden, weiß zu der wichtigsten politischen Debatte Großbritanniens nichts beizutragen. Er schweigt. Er taucht auch immer seltener in der Öffentlichkeit auf. Man könnte den Eindruck gewinnen, er versteckt sich.
Als David Cameron nach dem verlorenen Brexit-Referendum im Juni 2016 von seinem Amt als Premierminister zurücktrat, kaufte er sich erst einmal einen Schäferkarren und stellte ihn in seinen Garten. Der handgefertigte, 28.000 Euro teure Schuppen sollte ihm als Schreibwerkstatt dienen. In diesem Sommer kaufte er sich einen zweiten und installierte ihn im Garten seines Ferienhauses in Cornwall. Es hat nichts geholfen. Mit der Abfassung seiner Memoiren will es nicht vorangehen. Das Manuskript, für das ihm der Verlag William Collins umgerechnet rund 900.000 Euro zahlen will, sollte in diesem Monat abgeliefert sein. Jetzt heißt es seitens seines Büros, dass es wohl erst im nächsten Herbst etwas wird.
Man kann nachvollziehen, warum es Cameron schwerfallen muss, sein politisches Testament zu Papier zu bringen. Alles wird dominiert vom EU-Austritt der Briten im kommenden Jahr. Camerons Mission, eine am rechten Rand klebende Konservative Partei in die Mitte zu führen, sein Programm eines „mitfühlenden Konservatismus“, seine historische Koalition mit den Liberaldemokraten nach der gewonnenen Wahl 2010 und das lange Ringen, um die zerrütteten Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen – all das sind Peanuts verglichen mit dem Paukenschlag, mit dem seine Amtszeit endete. Die größte strategische Neuausrichtung, die das Königreich seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu unternehmen hat, überschattet alles, was Cameron in seiner Amtszeit jemals angeschoben hat.
Dabei war die monumentale Entscheidung, ein Referendum über den EU-Verbleib abzuhalten, gewiss nicht dem nationalen Interesse geschuldet. Sie hatte interne Gründe. Cameron beschloss im Frühjahr 2013, eine Volksabstimmung abzuhalten, um den innerhalb der Konservativen Partei tobenden Flügelkampf über Europa zu befrieden. Die Torys hatten sich seit mehr als 20 Jahren über ihre Haltung zur Europäischen Union zerstritten. Der Streit hatte John Major 1997 das Amt gekostet und die Torys danach 13 Jahre lang vor der Macht ausgeschlossen. Cameron selbst hatte, als er 2005 den Parteivorsitz übernahm, erkannt, dass das Europa-Thema für die Torys Wahlkampfgift ist, und es unter den Teppich gekehrt. Umso dümmer dann sein Umfaller, als er den euroskeptischen Hardlinern in der Fraktion schließlich das Referendum gewährte. Sein Manöver war, urteilte der Publizist Nick Cohen, „Taktik vor Strategie, Appeasement statt Konfrontation“.
David Cameron selbst war überzeugt, das Referendum gewinnen zu können. Daraus wurde nichts. Er hatte sich verzockt. Er zog die Konsequenzen und trat zurück, aber viele sehen seinen Abgang als eine Flucht vor der Verantwortung. Vielleicht schweigt Cameron in der jetzigen Brexit-Debatte, weil er sich schämt. Statt seine Partei zu befrieden, hat er seine Nation in zwei verbittert streitende Lager geteilt.