Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Merkel weicht in Polen dem Streit aus
Die Kanzlerin besucht Warschau. Sorgen um die Weltpolitik bestimmen die Tagesordnung.
WARSCHAU Wann immer Angela Merkel als Kanzlerin Polen besuchte, schlugen ihr Zuneigung und Ablehnung gleichermaßen entgegen. Ein halbes Dutzend Mal kürten die Polen Merkel zur beliebtesten ausländischen Politikerin. Besonders aus der rechtsnationalen PiS-Partei, die seit 2015 in Warschau regiert, gab es aber auch offene Anfeindungen. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski suggerierte einst, die ostdeutsche Kanzlerin sei mithilfe alter Stasi-Seilschaften an die Macht gelangt.
Es hätte also niemanden verwundern können, wenn der Besuch der Kanzlerin und etlicher Minister am Freitag wieder emotionale Wellen geschlagen hätte. Doch wer ihr und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki (PiS) bei ihrem Auftritt zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, dass sich hier ziemlich beste Freunde ihrer Partnerschaft versicherten.
Die Regierungschefs listeten die Themen auf, bei denen man an einem Strang ziehe, bei den Brexit-Verhandlungen zum Beispiel, in der Ukraine- und Russland-Politik, in der Nato sowieso und vor allem in Wirtschaftsfragen. Der Handel zwischen beiden Ländern blühe, jubelte Morawiecki, und Merkel verwies auf die rekordverdächtig niedrige Arbeitslosigkeit in beiden Ländern. Selbst bei altbekannten Streitthemen wie dem deutsch-russischen Pipelineprojekt Nord Stream II und in der Flüchtlingspolitik war kaum ein kritischer Unterton zu hören, ganz zu schweigen von dem Dauerzwist um die polnischen Justizreformen. Das EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Polen fand keine Erwähnung.
Für die neue Sanftmut gibt es zahlreiche Gründe. Da sind zunächst die Sorgen um die Weltlage, die beide Regierungen teilen. Von einer neuen Eskalation in der Ukraine etwa wäre Polen, das schon mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen hat, am stärksten betroffen. Ein Scheitern der Brexit-Verhandlungen würde beide Länder in Turbulenzen stürzen. Und über allem schweben die Ungewissheiten, die mit US-Präsident Donald Trump verbunden sind.
Aber auch innenpolitisch werden in beiden Ländern die Weichen neu gestellt. In Polen wird 2019 ein neues Parlament gewählt. Die Frage lautet dann: Kann die PiS ihre Machtstellung zu einer ähnlichen Dauerherrschaft ausbauen wie Viktor Orbán in Ungarn? In Deutschland wiederum hat Angela Merkel ihren Rückzug aus der Politik angekündigt. Die Entscheidung über die neue CDU-Führung wird zweifellos auch die deutsche Außenpolitik beeinflussen.
Die konservative polnische Tageszeitung „Rzeczpospolita“brachte es am Freitag auf die Formel, Deutschland und Polen befänden sich an einer historischen Weggabelung: „Entweder bauen die beiden Länder eine Partnerschaft nach deutsch-französischem Vorbild auf, oder sie werden Rivalen in einer immer schwächeren EU.“