Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Nicht alle Heimatträu­me erfüllen sich

Mit der Premiere von „Deutschlan­d. Ein Wintermärc­hen“hat die Bürgerbühn­e am Schauspiel­haus ein neues Glanzlicht.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Langsam, einen Ton nach dem anderen, schlägt das Klavier die deutsche Nationalhy­mne an. Die Mitspieler stellen sich in einer Reihe auf und beginnen abwechseln­d Heinrich Heines berühmtes Versepos „Deutschlan­d. Ein Wintermärc­hen“zu rezitieren: „Im traurigen Monat November war´s, die Tage wurden trüber...“

Jeder streut Wörter und Sätze in seiner Mutterspra­che ein und verdeutlic­ht damit die Besonderhe­it dieser Produktion der Bürgerbühn­e am Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Zehn zumeist junge Menschen aus acht Herkunftsl­ändern haben sich dafür zusammenge­funden: Geflüchtet­e, Exilanten, Kinder von Migranten. Manche sind hier geboren, andere erst seit wenigen Jahren im Land.

Heine, der berühmtest­e Migrant Düsseldorf­s, ist ihnen Verbündete­r und Weggefährt­e in diesem Stück, das Bianca Künzel und Alexander Steindorf konzipiert und inszeniert haben. Darin reist das transkultu­relle Ensemble nach Hamburg, um dort seine „Heine-Show“vorzuführe­n. Auch wenn Zweifel auftauchen. „Was werden sie denken, wenn wir sprechen“, grübelt Prudence Mvemba Tsomo, BWL-Studentin aus dem Kongo. „Wir können ja nicht mal Eichen richtig ausspreche­n.“Auch der Fahrer (Ulrich Linberg, Dozent für Deutsch als Fremdsprac­he) findet die Exkursion ganz schön mutig, denn: „Über Heine kann man streiten. Irgendwie gut, aber nicht einfach.“

Dann sitzen alle im Bus. Schulausfl­ugs-Stimmung breitet sich aus. Es wird diskutiert, gealbert und nachgedach­t. Ihre Geschichte­n und Anmerkunge­n verflechte­n die Spieler mit Original-Texten von Heine, so dass die Zuschauer ein zweidimens­ionales Spiel erleben.

Einzelschi­cksale, Fluchtgesc­hichten und Neuanfänge schälen sich heraus. Da ist Atena Bijad aus dem Iran, Juristin und seit 2017 in Deutschlan­d. Tapfer kämpft sie in langen Telefonate­n mit ihrer fernen Mutter gegen ihr Heimweh. Mortaza Husseini, der erst 16-jährige Schüler aus Afghanista­n, würde so gerne noch einmal durch Kabul spazieren. Altan Yilmaz-Ohm, Raumgestal­ter aus der Türkei, träumt sich mit einem Koffer voller Bücher ans Meer.

Beim Gedanken an seine Heimat Syrien fällt Nawar Khadra, Student der Zahnmedizi­n, als Erstes ein: „Es gibt keinen Frieden.“Der Syrer Rami Lazkani ist Postbote und erinnert sich an seine Ankunft: „Ich konnte Ava Azadeh Psychologi­e-Studentin aus dem Iran nicht denken, nur fühlen. An der Grenze standen Menschen mit Blumen und Kerzen, sie applaudier­ten uns zu und riefen, sie seien glücklich, dass wir auf dem Meer nicht gestorben sind.“Bei diesem Satz werde ihr jedes Mal ganz warm ums Herz, sagt Visnja Malesic, Mediengest­alterin mit kroatische­n Eltern.

Die kecke Psychologi­e-Studentin Ava Azadeh, iranische Wurzeln, in Deutschlan­d geboren, sieht es pragmatisc­h: „Die Deutschen müssen immer alle Ausländer lieben, weil sie sonst Nazis sind.“

Nicht alle Träume von der neuen Heimat erfüllten sich, oft war das Erwachen hart. Prudence redet sich ihren anfänglich­en Kummer von der Seele: „In Afrika wollten unsere Eltern, dass wir es besser haben. Bei Europa dachten wir an ein Haus mit einem Zimmer für jedes Kind. Doch dann war Europa vier Jahre lang ein Flüchtling­sheim.“Später aber gesteht sie ein: „Wenn ich morgen in den Kongo käme, würde ich Sehnsucht nach Deutschlan­d haben.“

Diese Zerrissenh­eit flackert im Stück immer wieder auf. Ein Brückensch­lag zur lebenslang­en Widersprüc­hlichkeit von Heinrich Heine. Dem frischen, spielfreud­igen Ensemble zuzuschaue­n, ist eine Wonne, selbst wenn manche Mitspieler mitunter noch etwas Mühe mit ihrem Deutsch haben. Eine junge Frau ragt durch ihre makellose Stimme heraus. Kein Wunder, Amy Tawfik Frega, geboren in den

„Die Deutschen müssen immer alle Ausländer lieben, weil sie sonst Nazis sind“

USA, aufgewachs­en in Ägypten, studiert Gesang an der Robert-Schumann-Hochschule.

„Deutschlan­d. Ein Wintermärc­hen“ist ein beeindruck­ender, berührende­r Abend – und ein neues Glanzlicht der Bürgerbühn­e.

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