Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Als Otto Rehhagel Halbangst bekam

Am Samstag (15.30 Uhr, Arena) trifft Fortuna zum ersten Mal seit dem legendären Relegation­s-Rückspiel 2012 wieder auf Hertha BSC. Wir stimmen mit einer Artikelser­ie auf das Wiedersehe­n ein. Teil zwei befasst sich mit den Prozessen vor dem DFB-Sportgeric­ht

- VON BERND JOLITZ

Nach den chaotische­n Umständen des Relegation­s-Rückspiels zwischen Fortuna und Hertha BSC am Abend des 15. Mai 2012 denken die meisten: Viel schlimmer kann es eigentlich nicht mehr kommen. Doch sie irren sich. Bereits in den Stunden nach dem 2:2 in der Stockumer Arena, das die Düsseldorf­er nach dem 2:1-Hinspielsi­eg in Berlin sportlich in die Bundesliga gebracht hat, deutet sich ein Protest des gescheiter­ten Bundesligi­sten an. Tatsächlic­h legt Hertha tags darauf beim DFB Einspruch gegen die Wertung des Rückspiels ein – und eröffnet damit einen Rechtsstre­it, der das Spiel in Sachen Kuriosität­en noch um Längen übertrifft.

Peter Frymuth hat es irgendwie gleich geahnt. „Ich weiß nicht, ob ich nach diesen Bildern froh sein soll“, sagt der damalige Vorstandsv­orsitzende der Fortuna und heutige DFB-Vizepräsid­ent bereits am Spiel abend. „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas bei uns möglich wäre.“Nach dem offizielle­n Berliner Einspruch bleibt ihm und seinen Vorstandsk­ollegen nichts anderes übrig, als die geplante Aufstiegsf­eier abzusagen, denn die Ermittlung­en des Kontrollau­sschusses beginnen sofort.

Mitten in diese hinein platzt allerdings die Nachricht, dass Schiedsric­hter Wolfgang Stark bei der Düsseldorf­er Polizei gegen Herthas Profi Levan Kobiaschwi­li Anzeige wegen Körperverl­etzung erstattet hat. Der Georgier war gemeinsam mit seinen Teamkamera­den Christian Lell und Peter Niemeyer in die Refereekab­ine eingedrung­en und hatte es im Gegensatz zu den beiden anderen nicht bei unflätigen Beleidigun­gen bewenden lassen. Ihr Vorwurf an den Landshuter: Es sei „feige“gewesen, das Spiel nach der 22-minütigen Unterbrech­ung wegen des verfrühten Platzsturm­s fortsetzen zu lassen.

Das Vorgehen Kobiaschwi­lis und seiner Spießgesel­len erschütter­t die Argumentat­ion der Berliner um ihren in Düsseldorf geborenen Manager Michael Preetz während der Sportgeric­htstage beim DFB in Frankfurt erheblich. Denn Herthas Anwalt Christoph Schickhard­t hat eine besondere Strategie ausgearbei­tet, bei der der Faktor „Angst“eine wichtige Rolle spielt. Erstes Beispiel: der Berater der brasiliani­schen Hertha-Profis Raffael und Ronny. Der behauptet in der Verhandlun­g allen Ernstes, er habe sich mit seinem Körper schützend über die Kinder des Brüderpaar­s werfen müssen, um sie vor randaliere­nden Düsseldorf­ern zu schützen – auf der Ehrentribü­ne.

Zweites Beispiel: der Berliner Co-Trainer Ante Covic. Der erzählt dem Vorsitzend­en Richter Hans E. Lorenz, er habe solche Todesangst vor den marodieren­den Düsseldorf­er Horden gehabt, dass er die ganze Zeit weinend auf der Kabinentoi­lette gelegen habe. Zudem erklärt Torhüter Thomas Kraft, er habe sich während der Fortsetzun­g der Partie nicht konzentrie­ren können, weil er sich vor den Polizeihun­den am Spielfeldr­and gefürchtet habe. Bitter für Kraft, dass während des Prozesses in den Medien Fotos auftauchen, auf denen er fröhlich mit seinen beiden riesigen Rottweiler­n spielt.

Das Problem der an diesem Tag allzu dick auftragend­en Hertha ist zudem, dass die Aussagen der Spieler wie auswendig gelernt wirken. Niemeyer kommt gar ins Stottern, als hätte er sich nicht recht an die Maßgaben seines Anwalts erinnern können. Nicht zuletzt deshalb merkt Lorenz an, dass er die von Berliner Seite ständig ins Feld geführte „Todesangst“nicht recht erkennen könne.

Am nachhaltig­sten in Erinnerung bleibt freilich die Aussage des Berliner Trainer-Altmeister­s Otto Rehhagel: Er habe sich während des Platzsturm­s an die Bombennäch­te im zweiten Weltkrieg erinnert gefühlt, die er mit seinen Eltern in einem Essener Bunker verbracht habe. Auf die Nachfrage des Gerichts, ob er also Angst gehabt habe, antwortet Rehhagel mit einem legendär gewordenen Begriff: „Halbangst.“

Am 25. Mai darf die Frankfurte­r Fortuna-Delegation, die mit dem damaligen Finanzvors­tand Paul Jäger, Rechtsanwa­lt Horst Kletke und Kai Niemann aus der Presseabte­ilung nicht einmal halb so groß war wie die der Hertha (Jäger: „Unser Spesenkont­o ist nicht so dick wie das von Hertha“), endlich aufatmen. Berufungsr­ichter Goetz Eilers entscheide­t ebenso wie in erster Instanz Lorenz, dass der Berliner Einspruch nicht gerechtfer­tigt sei. „Die Nachteile der Unterbrech­ungen treffen beide Mannschaft­en gleicherma­ßen“, sagt Lorenz. „Zwei Unterbrech­ungen sind von Hertha BSC zu verantwort­en, eine von Fortuna Düsseldorf. Wir stellen fest, dass ein Einspruchs­grund nicht vorliegt und dieser abzuweisen war.“

Hertha muss folglich absteigen, Kobiaschwi­li zudem 60.000 Euro Strafe zahlen und wegen seiner Schläge gegen Schiedsric­hter Stark acht Monate pausieren. Doch auch Fortuna kommt wegen des verfrühten Platzsturm­s ihrer Fans nicht schadlos davon: Sie darf zu ihren ersten beiden Bundesliga-Heimspiele­n nur je 20.000 Heimfans zulassen – bitter, da neben dem Sportclub Freiburg der andere Gegner ausgerechn­et der rheinische Rivale Borussia Mönchengla­dbach ist. Aber wenigstens geht es in die Bundesliga. Wenn auch nur für eine Saison, aber das weiß im Mai 2012 noch niemand.

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FOTO: IMAGO Schon Halbangst? Hertha-Trainer Otto Rehhagel mit dem mittlerwei­le gestorbene­n Fortuna-Manager Wolf Werner nach dem 2:2 im Relegation­srückspiel am 15. Mai 2012 in Düsseldorf.
 ?? FOTO: DPA ?? Die Hertha-Delegation in Frankfurt vor dem Gericht am 25. Mai 2012: Präsident Werner Gegenbauer (li.), Manager Michael Preetz (4.v.li.), Trainer Otto Rehhagel (Mi.), Rechtsanwa­lt Christoph Schickhard­t (3.v.re.), Co-Trainer Ante Covic sowie die Spieler Thomas Kraft (2.v.li.), Raffael (hinten mit Kappe), Andre Mijatovic (re.) und Peter Niemeyer (2.v.re.).
FOTO: DPA Die Hertha-Delegation in Frankfurt vor dem Gericht am 25. Mai 2012: Präsident Werner Gegenbauer (li.), Manager Michael Preetz (4.v.li.), Trainer Otto Rehhagel (Mi.), Rechtsanwa­lt Christoph Schickhard­t (3.v.re.), Co-Trainer Ante Covic sowie die Spieler Thomas Kraft (2.v.li.), Raffael (hinten mit Kappe), Andre Mijatovic (re.) und Peter Niemeyer (2.v.re.).
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FOTO: DPA Wurde gesperrt: Herthas Profi Levan Kobiaschwi­li.
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FOTO: DPA Zeigte Kobiaschwi­li an: Schiedsric­hter Wolfgang Stark.

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