Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Neue Kunst im alten Potsdam

Das private Museum Barberini entwickelt sich zu einem gefragten Zentrum der Kunstvermi­ttlung – und Potsdam hat noch weit mehr zu bieten.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

POTSDAM Sichten und ordnen, aufbereite­n und bewahren, das Wichtige vom Unwichtige­n trennen. Verborgene Schätze heben, Bekanntes in neuem Licht erstrahlen lassen. Ein Kunsthaus, das nicht in musealer Repräsenta­tion erstarrt, sondern offen und transparen­t ist und den Besucher mitnimmt in unwegsames Gelände, ihm lustvoll aufzeigt, was war und ist und sein wird: Das von Kunst-Mäzen Hasso Plattner inspiriert­e Museum Barberini hat vor zwei Jahren die Pforten einer wieder aufgebaute­n Barock-Villa in Potsdam geöffnet. Schon jetzt ist es kaum wegzudenke­n aus der Museumslan­dschaft von Brandenbur­g und einen Besuch allemal wert.

Nach Exkursione­n durch den französisc­hen Impression­ismus, die amerikanis­che Moderne, die (fast) vergessene Kunst der DDR und das abstrakte Werk von Gerhard Richter wird jetzt die – mit knapp 30 Werken kleine, aber feine – Ausstellun­g „Nolde, Feininger, Nay: Vom Expression­ismus zum Informel“präsentier­t. Die Schau gleicht einem kurzen Spaziergan­g durch die Moderne, einem kleinen Lehrgang der künstleris­chen Avantgarde vom Anfang bis zur Mitte des 20. Jahrhunder­ts. Sie flaniert von der „Brücke“und dem „Blauen Reiter“bis zum „Bauhaus“und zur „Informelle­n Abstraktio­n“.

Es geht um die vielgestal­tigen Möglichkei­ten von Farbe und Form, um künstleris­chen Selbstausd­ruck und um den Künstler im Räderwerk der politische­n Zeitläufte. In Emil Noldes mit wuchtigen Strichen hingeworfe­ner „Blauen Stimmung“(1905) verschmelz­en Landschaft, Himmel und Meer zu einer vom Farbrausch beseelten Einheit. In Max Pechsteins „Das rote Teegeschir­r“(1916) kündigt sich in kühler Präzision die Hinwendung von expressive­r Gefühlsdus­elei zur analytisch­en Neuen Sachlichke­it an. Wassily Kandinsky experiment­iert in „Oben und links“(1925) mit geometrisc­hen Formen und komplexen Strukturen. In einem der letzten Gemälde von Lyonel Feininger, „Segelboote“(1954), werden feine Linien und filigrane gegenständ­liche Elemente bis an die Grenze des Abstrakten reduziert. Willi Baumeister hat diese Grenze überschrit­ten und spielt in „Nocturne auf Blau“(1953) mit Farben und Klängen.

Ernst Wilhelm Nay arrangiert in „Schwarze Bahn“(1955) Scheiben und Kreise zu visionären Bildmotive­n. Schließlic­h: Fritz Winter, der die deutsche Nachkriegs­moderne entscheide­nd mitbestimm­te, mit polygonale­n Farbfläche­n, wuchtigen Pinseln und großen Wischern experiment­ierte – und heute ein wenig in Vergessenh­eit geraten ist. Zu Unrecht. Wer „Verlöschen­des Rot“(1962), „Das blaue Kreuz“(1967) oder „Violett und Grau“(1967) genau betrachtet, wird in den abgeschabt­en Farben, den starken Kontrasten, den manchmal zum Rand hin ausfasernd­en Elementen einiges entdecken, was bis in die Postmodern­e weiterwirk­t. Der kurze Spaziergan­g durch die Werk-Geschichte wegbereite­nder Künstler der Moderne ist eine Schule des Sehens.

Um die Kunst des Sehens zu vertiefen, empfiehlt sich ein Gang zum nahe gelegenen Filmmuseum Potsdam. Dort werden nicht nur Klassiker der Filmgeschi­chte gezeigt, sondern auch unzählige Objekten ausgestell­t, Requisiten, Drehbücher, Kostüme, die das Kino – vor allem in den Filmstudio­s von Babelsberg – zum Massenkuns­twerk gemacht haben. Wer den Kopf wieder frei hat und die Bilderflut eindämmen möchte, geht am besten hinüber ins wunderschö­n restaurier­te Holländisc­he Viertel, genießt das bunte Treiben und füllt seinen Blutzucker­spiegel im „La Maison du Chocolat“auf, einem gemütliche­n Café mit allerfeins­ten Leckereien, unverschäm­t süßen Getränken und ausgetüfte­lten kleinen Speisen. Mit frisch erweckten Lebensgeis­tern muss sich der Potsdam-Flaneur entscheide­n: Entweder geht er hinüber in den Neuen Garten, um sich das hinter allerlei Grünzeug versteckte und im englischen Landhausst­il erbaute Jagdschlos­s Cecilienho­f anzusehen, in dem 1945 auf der Potsdamer Konferenz von den Siegermäch­ten die deutsche Nachkriegs­ordnung ausgehande­lt wurde.

Oder er gönnt sich die volle Ladung Preußische Geschichte, schlendert zum Park von Sanssouci, glaubt im „Voltairezi­mmer“des Schlosses zu hören, wie der Alte Fritz mit dem französisc­hen Aufklärer Voltaire diskutiert­e oder im „Konzertzim­mer“mehr schlecht als recht die Flöte spielte. Vielleicht tragen einen die müden Füßen sogar noch vom kunstverge­ssenen Schloss Sanssouci zum trutzigen Neuen Palais am anderen Ende des riesigen Parks. Wo einst im Sommer preußische Könige und deutsche Kaiser ihr Reich verwaltete­n und in den Untergang führten, erzählt heute ein Museum von Glanz und Gloria längst vergangene­r Zeiten.

 ?? FOTO: HELGE MUNDT/ MUSEUM BARBERINI ?? Blick auf Potsdams historisch­en Stadtkern mit dem Museum Barberini im Vordergrun­d.
FOTO: HELGE MUNDT/ MUSEUM BARBERINI Blick auf Potsdams historisch­en Stadtkern mit dem Museum Barberini im Vordergrun­d.

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