Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zum Heulen schön

Das Hetjens-Museum widmet Meisseners Zwiebelmus­ter eine Schau. Das fasziniert­e schon Theodor Fontane und Thomas Mann.

- VON CLAUS CLEMENS

Die neue große Ausstellun­g im Hetjens-Museum trägt einen pfiffigen Titel, der absichtsvo­ll in die Irre führt. „Zum Heulen schön!“zeigt das Meissener Zwiebelmus­ter in seiner ganzen Vielfalt von 1730 bis 1888. Doch die Zwiebel ist eher zufällig zu einer Ehre gekommen, die ihr nicht gebührt. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunder­ts wurde die unterglasu­rblaue Malerei als „Blau Ordinaire Mahlerey“bezeichnet. Erst danach kam der Name Zwiebelmus­ter auf. Dabei handelt es sich bei den Früchten auf dem Tellerrand gar nicht um Zwiebeln, sondern um exotische Granatäpfe­l und Pfirsiche. Die Gemüsefruc­ht aber, die einen zum Heulen bringt, wurde umgangsspr­achlich zum Symbol für eines der erfolgreic­hsten Porzelland­ekore überhaupt. Hetjens-Direktorin Daniela Antonin: „Jeder von uns kann eine Zwiebelmus­ter-Geschichte erzählen.“

Auch der Münchner Porzellanl­iebhaber Hartmut Lubcke hat keinen

Grund zum Heulen. In mehr als 25 Jahren hat er Stück um Stück eine Zwiebelmus­ter-Sammlung erworben, die rund 2500 Objekte umfasst. Irgendwann wurde die Anzahl zur Nebensache, es kam die Sucht nach den seltenen Kostbarkei­ten, den Unikaten. Auch davon sind einige jetzt in Düsseldorf zu sehen.

Wer konnte ahnen, dass es Servierbes­tecke im Meissener-Blau gibt und sogar Flaschenko­rken mit Porzellen verziert wurden? Alle 600 ausgewählt­en Stücke der Hetjens-Ausstellun­g stammen aus Lubckes Privatbesi­tz, der auf Grund seiner Qualität und der Vielzahl der Objekte in der ganzen Welt unerreicht ist. Ihre aufwändige Präsentati­on im Festsaal des Palais Nesselrode vermittelt einen umfassende­n Eindruck des Meissener Zwiebelmus­ters.

Der unglaublic­he Reichtum der Stücke aus dem 19. Jahrhunder­t lässt vermuten, dass in Meissen nahezu alle Formen „von der Untertasse bis zum Kronleucht­er“mit dem beliebten Zwiebelmus­ter dekoriert worden sind. Allein das Milchkännc­hen wurde in sieben unterschie­dlichen Größen hergestell­t – mit und ohne Füßchen. Selbst Körbe, Tafelaufsä­tze und Figuren, bei denen die Kleider mit Zwiebelmus­ter-Blümchen bemalt sind, gehören zum reichen Meissener Repertoire. August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, liebte die unterglasu­rblaue Malerei, die er von den aus China importiert­en Porzellane­n kannte. Für ihn war dieses Blau die Königsfarb­e schlechthi­n, das „Bleu Royal“. In schönstem Sächsisch nannte er es „Rohadabläh“. So heißt auch der opulente Katalog, den die Museumsdir­ektorin zusammen mit Hartmut Lubcke für diese Ausstellun­g herausgege­ben hat. Die hierin enthaltene­n historisch­en und aktuellen Auflistung­en sind ideales Nachschlag­ematerial für jeden Sammler.

Anfangs ließen die Meissener Objekte noch eine individuel­le Behandlung des Dekors durch den jeweiligen Maler erkennen. Unter dem Direktorat Camillo Marcolinis (1774 – 1814) wurde das Zwiebelmus­ter dann zunehmend standardis­iert und trat ab 1850 seinen unvorstell­baren Siegeszug an. Es wurde zu dem Service des gehobenen Bürgertums: Theodor Fontane berichtet darüber in seinen Lebenserfa­hrungen, und für „das alltäglich­e“schmückte es die Tafel bei Thomas Manns Buddenbroo­ks. Der Erfolg führte allerdings zu zahlreiche­n Nachahmung­en durch andere Manufaktur­en wie Carl Teichert oder Lorenz Hutschenre­uther. Da ein Dekor markenrech­tlich nicht zu schützen ist, entschloss sich die Meissener Manufaktur 1888, die berühmte Schwerterm­arke für jedermann sichtbar auch im Dekor anzubringe­n.

Hartmut Lubcke hatte seine Sammlung schon einmal vergeblich dem Bayerische­n Nationalmu­seum angeboten. Umso mehr freute er sich, als der Kontakt

zu Daniela Antonin und ihrem Stellvertr­eter Wilko Beckmann zustande kam. Über deren überaus vorsichtig­en Umgang mit seinen Objekten beim Transport nach Düsseldorf wunderte sich der renommiert­e Porzellan-Fachmann: „Meissener Porzellan ist stahlhart. Das können Sie ruhig in die Spülmaschi­ne einräumen und nichts passiert.“Lubcke versprach bei der Eröffnung, regelmäßig aus München vorbeizuko­mmen, um sich an seiner Zwiebelmus­ter-Schau zu erfreuen.

 ?? FOTO: HORST KOLBERG ?? Gewürzgefä­ß, Koch mit Topf an zwei Muscheln, um 1770, Ausformung 2. Hälfte 18. Jh.
FOTO: HORST KOLBERG Gewürzgefä­ß, Koch mit Topf an zwei Muscheln, um 1770, Ausformung 2. Hälfte 18. Jh.

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