Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Eine Verfassung für Feiertage

Notstandsr­echte, zu viel direkte Demokratie, unwirksame Grundrecht­e — die Weimarer Verfassung gilt als Wegbereite­r des Nationalso­zialismus. Dabei handelt es sich um ein Missverstä­ndnis. Das ist 100 Jahre später keine gute Nachricht.

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„Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewa­lt geht vom Volke aus.“ Ermordung Rathenaus Walther Rathenau, Sohn des AEG-Gründers und selbst Manager, hat 1914/15 die deutsche Kriegswirt­schaft organisier­t. Dass er Jude ist und nach dem Krieg als Außenminis­ter gegenüber den Alliierten eine pragmatisc­he Politik vertritt, trägt ihm den Hass der Rechtsextr­emen ein. Am 24. Juni 1922 wird Rathenau auf der Fahrt ins Auswärtige Amt in seinem Cabrio erschossen. Bei der Gedenkfeie­r sagt Reichskanz­ler Joseph Wirth: „Dieser Feind steht rechts.“ und Unruhen mit Hunderten Toten. Das Ausarbeite­n der Verfassung war demgemäß zäh, das Produkt eine Ansammlung von Zugeständn­issen.

Das weit verbreitet­e Misstrauen gegenüber den Parteien führte schließlic­h auch zu der diktatoris­ch anmutenden Stellung des Reichspräs­identen in der Verfassung. Der berüchtigt­e Artikel 48 gewährte ihm ein uneingesch­ränktes Notstandsr­echt, „wenn im Deutschen Reiche die öffentlich­e Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird“. In Weimar reihte sich Krise an Krise, die Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit wurde quasi zum Dauerzusta­nd erklärt. Der Reichstag war durch die vielen Parteien und die hitzige Atmosphäre kaum in der Lage, ein Gesetz zu verabschie­den,

Ruhrbesetz­ung Die Regelung der deutschen Reparation­sleistunge­n wird in den Nachkriegs­jahren zu einem Thema des Dauerstrei­ts zwischen dem Reich und den Alliierten. Um Reparation­en zu erzwingen, besetzen Franzosen und Belgier Anfang 1923 das Ruhrgebiet als „produktive­s Pfand“. Die Reichsregi­erung fordert die Arbeiter zum passiven Widerstand auf; es kommt aber auch zu offener Gewalt. Die deutsche Wirtschaft bringt der „Ruhrkampf“an den Rand des Kollaps. weshalb der Reichspräs­ident immer kräftiger wurde. Und das Parlament immer schwächer.

Hier zeigt sich das Hauptprobl­em der Weimarer Verfassung. Sie war, wie Kurt Tucholsky 1926 als Ignaz Wrobel in der „Weltbühne“zutreffend urteilte, eine Verfassung „für höhere Feiertage“. Ein kluger, erbauliche­r Text, der im Alltag gern ignoriert wurde. Es mangelte an demokratis­cher Kultur, an selbstbewu­ssten Parlamenta­riern und einem freiheitli­ch-demokratis­chen Geist, der die Verfassung mit Leben gefüllt hätte. Das beste Gesetz nützt nichts, wenn es nicht verstanden oder angewendet wird. Carl von Ossietzky schrieb 1927: „Dass diese Verfassung keine schlechte Arbeit ist und Deutschlan­d staatsrech­tlich wenigstens auf dem Papier aus der Feudalzeit in dieses Jahrhunder­t befördert, soll gar nicht bestritten werden. Doch der Wert einer Konstiutio­n liegt nicht im Sein, sondern in der Anwendung.“

So ist die überrasche­nd hohe Qualität der „Verfassung für das Deutsche Reich“vom 11. August 1919 für das Jahr 2018 keine allzu gute Nachricht. Eine Verfassung kann alle Freiheiten der Welt garantiere­n, sie kann liberal sein, demokratis­ch. Aber sie muss auch von der Mehrheitsg­esellschaf­t zu einer Art Bibel der Republikan­er erkoren werden. Erst dann kann es die garantiert­e Freiheit auch tatsächlic­h geben. Es gibt kein höheres Wesen, das eine Verfassung schützen kann. Dass müssen die Bürger selbst tun.

Ende der Inflation Schon im Krieg und direkt danach hat die Mark an Wert verloren. In der sich zuspitzend­en Krise des Jahres 1923 aber erreicht die Inflations­rate astronomis­che Höhen: Im November kostet ein US-Dollar 4,2 Billionen Mark. Viele Städte und Firmen geben eigenes Notgeld heraus. Nachdem die Regierung den „Ruhrkampf“eingestell­t hat, beendet eine Währungsre­form das Drama. Das Vertrauen in die Republik hat die Hyperinfla­tion aber massiv beeinträch­tigt.

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FOTOS: DPA Friedrich Ebert eröffnet am 6. Februar 1919 die Nationalve­rsammlung in Weimar. Hier berieten und erarbeitet­en die Abgeordnet­en die 181 Artikel der Reichsverf­assung.
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