Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Werke aus dunklen Stunden

Susanne Hertsch hat schon immer Kunst gemacht. Nun zeigt die 55-Jährige erstmals ihre Werke im Heaven7 in Flingern.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Künstler machen ihre Kunst zunächst mal für sich selbst. Sagen sie jedenfalls. Aber natürlich brauchen die allermeist­en auch das Publikum. Im Auge, Ohr und nicht zuletzt im Hirn des Betrachter­s entwickelt sich das Werk schließlic­h autonom weiter. Und auch der Applaus, der bestenfall­s gespendet wird, spielt eine nicht ganz unwesentli­che Rolle. Für die meisten jedenfalls.

Seit vielen Jahren entwirft die Künstlerin die Bühnengard­erobe für die Toten Hosen

Susanne Hertsch ist, was das und vieles andere angeht, die Ausnahme von der Regel. Die 55-Jährige hat immer kreativ gearbeitet, so lange sie denken kann. Seit vielen Jahren entwirft die Düsseldorf­erin, die auf der Kiefernstr­aße wohnt, die Bühnengard­erobe für die Toten Hosen. Hertsch hat Performanc­e-Kunst-Projekte gemacht. War als Filmaussta­tterin tätig.

Und dann gibt es da noch den anderen, bisher nicht öffentlich­en Teil ihres Werks. Zeichnunge­n, Fotos, Collagen und Objekte, die sie niemandem gezeigt hat. Die sie für sich haben wollte, bis sie irgendwann in Kisten verschwand­en. Die Kisten kamen in den Keller. Oder auf den Speicher. Angerührt hat sie sie nicht mehr. Auch weil vieles davon in den eher dunklen Stunden ihres Lebens entstanden war. Mit Schmerz zu tun hatte. Mit Angst. Oder mit Einsamkeit. „Die dunkle Seite der Menschen interessie­rt mich sehr“, sagt Hertsch, „auch weil sie so häufig versteckt wird.“

Anfang des Jahres beschloss sie, die Kisten, von denen sie selber nicht mehr so recht wusste, was drin war, zu öffnen. Sie ging die alten Arbeiten Stück für Stück durch. Mit manchem, was sie vor langer Zeit geschaffen hatte, konnte sie nichts mehr anfangen. Anderes berührte sie, beschwor Situatione­n und Gefühle herauf, die sie fast vergessen hatte. So begann die Arbeit an ihrer Ausstellun­g „Rococo intim“, der ersten überhaupt in ihrem ganzen Leben.

Drei Tage nach der Vernissage sitzt Hertsch im Flingerane­r Friseursal­on Heaven7 inmitten ihrer Arbeiten. Vor ihr dampft ein heißer Tee. Gut gegen die Kälte vor dem Fenster. Die Anspannung der Eröffnung ist von ihr abgefallen. Hertsch hat keine Rede gehalten, natürlich nicht. Sie hat Prosecco getrunken. Sie hat sich von ihrem Bruder bei der Wahl des Outfits für diesen sehr besonderen Anlass beraten lassen. Eine Kombi aus Jeans und Seidenblus­e ist es letztendli­ch geworden. Als sie noch dabei war, die Preisliste zu schreiben, kamen schon die ersten Vernissage-Gäste. Nun prangen an sieben ihrer Arbeiten rote Punkte, unter anderem an dem Vogel aus Ton, der eine Art Dornenkron­e aus feinen Silberfäde­n trägt und den sie eigentlich gar nicht verkaufen wollte. „Zu persönlich“, sagt sie.

Persönlich sind die Arbeiten von Susanne Hertsch allesamt. Egal ob es nun der riesige Scherensch­nitt ist, der aus einer Telefonkri­tzelei entstanden ist; die Keramikarb­eiten, die winzigen, feinen Zeichnunge­n, die Collagen oder das mit Sticknadel­n versehene Schwemmhol­z aus dem Rhein, das im Heaven7 unter „Seehofers Schwänzche­n“firmiert.

Hertschs Materialie­n sind häufig Fundstücke. Äste, Schuhe ohne Gegenstück, ein verschnörk­elter Bilderrahm­en, Lederbände­r, Schafswoll­e. Und dann sind da noch jene großen Blätter, die sie bei Spaziergän­gen im Volksgarte­n an der Uferböschu­ng der Düssel abgeschnit­ten hat. Gewöhnlich­e Pestwurz, so heißt die Pflanze. Deren Stängel hat sie mit Zahnstoche­rn durchbohrt. Die Blätter mit Lederbände­rn umwickelt. Wie einen Mantel um Pampelmuse­n gelegt. Oder um Schafswoll­e, die dort, wo die Blätter Schneckenf­raß haben, nun herauslugt. „Die Blätter wurden zu meiner Haut“, sagt Hertsch.

Entspreche­nd vorsichtig ertastet der Betrachter die fragilen Objekte – ein Drang, dem man einfach nachgeben muss. Eine Form, die dabei

immer wieder auftaucht, ist die der Vagina. Die Künstlerin weißt explizit darauf hin. „Meine Arbeiten haben viel mit Sex zu tun“, sagt sie. „Das ist ja das, was alle Menschen berührt.“Kurze Pause. „Oder?“

Für ihre Einladungs­karte hat sie ein Foto ausgewählt, das sie aus dem Flugzeug gemacht hat. Über Nepal. Ob der Berg, den sie abgelichte­t hat, der Mount Everest ist? Sie weiß es nicht. Und sie hat nicht versucht, es herauszufi­nden. „Ich habe immer sehr unbewusst gearbeitet, verspielt.“Der intellektu­elle Überbau, den zu konstruier­en man lernt, wenn man eine Kunsthochs­chule besucht, ist Hertsch fremd. Ihre Arbeiten sind ihr Leben. Eine profession­elle Distanz dazu gibt es nicht. Sie weiß das. Deshalb ist sie sehr vorsichtig.

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FOTO: PETER PODKOWIK Künstlerin Susanne Hertsch bei der Arbeit.

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