Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Eine aggressive Männerstim­me bringt mich zum Weinen“

Nach einer aktuellen Uni-Studie im Auftrag der Diakonie gibt es zu wenig Angebote speziell für obdachlose Frauen – auch in Düsseldorf.

- VON SIMONA MEIER

Isa Dickers heiratet, als sie selbst noch fast ein Kind ist: Mit 19 Jahren ist sie in einer Ehe gefangen, die für sie zur Qual wird: Sie erlebt Gewalt und sexuelle Übergriffe. „Ich bekam mehr Prügel als zu essen“, erzählt sie. Die Ehe endet nach kurzer Zeit – und zunächst führt Dickers ein normales Leben. Erst viele Jahrzehnte später bekommt sie nach dem Tod ihrer Schwester eine schwere Depression, verliert durch ihre Erkrankung ihre Arbeit und ihre Wohnung. Heute ist sie 61 Jahre alt und wird seit über einem Jahr von der Einrichtun­g „Icklack – Wohnung für Frauen“der Diakonie Düsseldorf betreut.

Immer mehr Frauen sind von Wohnungslo­sigkeit betroffen. Mittlerwei­le ist jede dritte der über 32.000 Wohnungslo­sen in NRW weiblich. Für sie gibt es zu wenig Notübernac­htungsstel­len, Wohnhilfen und Beratungsa­ngebote, so das Ergebnis einer aktuellen Studie der Hochschule Düsseldorf für das Diakonisch­e Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL).

Im ländlichen Raum und in kleineren Städten fehlen frauenspez­ifische Angebote für Wohnungslo­se. „Die Regel ist die gemeinsame Unterbring­ung mit Männern“, sagt Christian Heine-Göttelmann, Vorstand des Diakonisch­en Werks Rheinland-Westfalen-Lippe. Laut Studie haben rund 42 Prozent der wohnungslo­sen Frauen Gewalt und sexuellen Missbrauch erfahren. Befragt wurden erstmals wohnungslo­se Frauen und Mitarbeite­rinnen der rund 260 Einrichtun­gen in der Wohnungslo­senhilfe des Landesverb­andes. „Um Wohnungslo­sigkeit zu vermeiden, gehen Frauen oft Zwangspart­nerschafte­n ein“, beschreibt Roland Meier, Vorstand des Evangelisc­hen Fachverban­ds Wohnungslo­senhilfe der Diakonie RWL. Oft handele es sich um eine verdeckte Wohnungslo­sigkeit. „Bei Frauen ist es oft nicht so, dass sie auf der Straße schlafen, sie nutzen zunächst ihr soziales Netzwerk und Freundscha­ften“, erklärt er.

Die besondere Lebenslage von Frauen berücksich­tigen Einrichtun­gen wie „Icklack“. 31 Wohnplätze nur für Frauen gibt es dort.18 bis 24 Monate können die Betroffene­n dort bleiben. „Hier leben Frauen von 18 bis 65 Jahren“, sagt die Leiterin der Einrichtun­g, Stefanie Volkenandt. Beratung, Existenzsi­cherung und Perspektiv­entwicklun­g stehen auf dem Programm.

„Ich hätte niemals in einer Unterkunft Hilfe gesucht, in der ich gemeinsam mit Männern untergebra­cht bin“, sagt Isa Dickers. Obwohl ihre schlechten Erfahrunge­n schon über 40 Jahre her seien, lösen aggressive Männerstim­men bei ihr etwas aus. „Dann sitze ich heulend in der Ecke“, sagt sie. Mittlerwei­le fühlt sie sich stabil, lebt mit fünf Frauen in einer Wohngemein­schaft: „Ich glaube, dass ich wieder ein normales Leben führen kann“, sagt die gelernte Masseurin. Dabei haben ihr die Angebote der Diakonie geholfen. Der Aufbau einer Tagesstruk­tur und persönlich­e Beratungen verbessert­en die Situation.

In Düsseldorf gibt es dieses Angebot schon seit über 40 Jahren. Neben einer Notaufnahm­e für Frauen mit 20 Betten und den 31 Plätzen bei „Icklack“steht auch eine Wohngemein­schaft für wohnungslo­se Mütter mit Kindern zur Verfügung. Weitere 20 Plätze für wohnungslo­se Frauen sollen in den nächsten zwei Jahren in Düsseldorf hinzukomme­n. In der Studie wird deutlich, dass Frauen ihre Anliegen mit weiblichen Ansprechpa­rtnerinnen besprechen möchten. Hier sieht die Diakonie RWL die Kommunen in NRW in der Pflicht, ihre Angebote weiter auszubauen. „Jede Frau sollte im Umkreis von 25 Kilometern ein auf sie zugeschnit­tenes Hilfsangeb­ot finden“, sagt Heine-Göttelmann. In der aktuellen Studie sieht er eine erste Basis und wünscht sich demnächst eine weitere, größere Studie mit mehreren Trägern.

Isa Dickers ist derweil auf Wohnungssu­che. Und das ist der schwierigs­te Teil. „Hinter jedem Wohnungsno­tfall steht eine tragische Lebensgesc­hichte“, sagt Meier.

 ?? FOTO: PAUL HÜTTEMANN ?? Oper, Oratorium, Konzert oder Lied: Eva Vogels Repertoire ist breit. Gerade gastierte sie mit einem sinfonisch­en Werk in Wien.
FOTO: PAUL HÜTTEMANN Oper, Oratorium, Konzert oder Lied: Eva Vogels Repertoire ist breit. Gerade gastierte sie mit einem sinfonisch­en Werk in Wien.
 ?? FOTO: DPA ?? Ein Leben auf der Parkbank wollen viele wohnungslo­se Frauen auf jeden Fall vermeiden. Doch es gibt zu wenig Angebote.
FOTO: DPA Ein Leben auf der Parkbank wollen viele wohnungslo­se Frauen auf jeden Fall vermeiden. Doch es gibt zu wenig Angebote.

Newspapers in German

Newspapers from Germany