Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir haben nur als geeintes Europa eine Chance“

- MICHAEL BRÖCKER UND HOLGER MÖHLE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

BERLIN Wir treffen Heiko Maas (SPD) in seinem Abgeordnet­enbüro im siebten Stock des Paul-Löbe-Hauses. Oft ist der Vielfliege­r nicht hier. Maas kommt gerade aus dem Bundestag und hat – einer Gepflogenh­eit folgend – noch der Rede der Verteidigu­ngsministe­rin zugehört, die vorher wiederum ihm, dem Außenminis­ter, zugehört hat.

Herr Maas, die Union, Ihr Koalitions­partner, streitet über den UN-Migrations­pakt. Warum ist das Abkommen gut für Deutschlan­d?

MAAS Der Migrations­pakt ist die gemeinsame Antwort der Staatengem­einschaft auf eine Frage, die uns alle betrifft. Migration ist auf der ganzen Welt schlichte Realität. Der Pakt dient nun dem Zweck, dafür eine vernünftig­e Basis zu schaffen. Das ist nicht nur gut für Deutschlan­d. Es ist auch gut für alle Menschen: Der Migrations­pakt macht klar, dass die Menschenwü­rde unteilbar ist.

Braucht man dafür einen Vertrag?

MAAS Der Migrations­pakt ist ein großer Fortschrit­t. Er ist eine politische Absichtser­klärung, zu der sich die meisten der gut 190 Staaten der Vereinten Nationen bekennen werden. Es geht darum, möglichst gleiche Standards für Rückführun­g zu setzen. Wir müssen Schleuserk­riminalitä­t eindämmen, Grenzen sichern, Fluchtursa­chen bekämpfen. Migration ist eines der drängendst­en Themen weltweit. Deswegen ist es gut, wenn sich möglichst viele Staaten hinter diesem UN-Pakt versammeln.

Die heftige Debatte über den Migrations­pakt – ist das eine Kampagne der Rechten?

MAAS Rechtspopu­listen nutzen das Thema Migration, um mit falschen Behauptung­en Ängste zu schüren. Das ist nicht neu. Umso wichtiger ist es, dass darüber breit debattiert wird. So können wir mit Fakten dagegenhal­ten: Der Migrations­pakt ist keine Bedrohung, sondern ein Akt der Vernunft.

„Europe united“funktionie­rt bei Migration aber nicht…

MAAS Im Gegenteil: Kein einziges Land in Europa wird das Thema Migration alleine regeln können. Migration zu regulieren und zu steuern, ist eine globale Herausford­erung. Das können wir nur gemeinsam angehen. Wir müssen in Europa versuchen, in Migrations­fragen wenigstens ein Mindestmaß an Einvernehm­en zu erzielen.

Sie wollen im Frühjahr, wenn Deutschlan­d als nicht-ständiges Mitglied wieder für zwei Jahre im UN-Sicherheit­srat sitzt, gemeinsam mit Frankreich eine europäisch­e Doppelspit­ze in dem Weltgremiu­m bilden. Doch „Europe united“gegen „America first“?

MAAS Nein, aber: Es steht unsere politische Gestaltung­sfähigkeit auf dem Spiel. Wir Europäer haben keine Chance, unsere Werte und Interessen etwa in Handelsfra­gen oder im Streit über das Atomabkomm­en mit dem Iran durchzuset­zen, wenn sich jedes Land einzeln mit den USA auseinande­rsetzt. Erst recht gilt das für strittige Themen mit Russland oder mit China. Nur gemeinsam als „Europe united“haben wir eine echte Chance. Davon hängt die Durchsetzu­ngsfähigke­it unserer Werte und Interessen ab.

Also eine europäisch­e Armee?

MAAS Klar ist, dass Europa sich auch verteidigu­ngspolitis­ch weiterentw­ickeln muss. Die EU kann hier militärisc­he wie zivile Fähigkeite­n einbringen und miteinande­r verbinden. Und: Wenn wir jetzt auch noch außenpolit­isch handlungsf­ähiger werden, indem wir im Rat der Außenminis­ter in bestimmten Fragen nicht mehr nur einstimmig entscheide­n, sondern hin zu Mehrheitse­ntscheidun­gen kommen, wären wir noch einen Schritt weiter.

Spiegelt der UN-Sicherheit­srat noch die Welt, wie sie heute ist – oder bräuchte man mehr Afrika und mehr Asien? Deutschlan­d will ja selbst einen ständigen eigenen Sitz in dem Gremium.

MAAS Die Welt hat sich dramatisch verändert. Das drückt der UN-Sicherheit­srat in seiner jetzigen Zusammense­tzung nicht mehr aus. Er muss reformiert werden. Wir organisier­en uns dabei mit Staaten, die ähnliche Interessen verfolgen wie Deutschlan­d: zum Beispiel Japan oder Indien. Der Reformproz­ess insgesamt verläuft seit Jahren sehr schleppend. Wir sollten aufhören, uns im Kreis zu drehen, und echte Verhandlun­gen über eine Reform beginnen – so wie es die übergroße Mehrheit der Mitgliedst­aaten seit Langem will.

Heißt mehr deutsche Verantwort­ung in der Welt auch mehr deutsche UN-Blauhelme?

MAAS Wir sehen unsere Rolle als Friedensst­ifter. Militärisc­he Operatione­n sind aber immer nur Ultima Ratio. Wir wollen vielmehr bei den Konfliktur­sachen ansetzen. Dazu zählen ganz besonders Klimawande­l und Migration. Und wir sind ein Mitgliedsl­and, das bereit ist, im Rahmen seiner Möglichkei­ten auch Verantwort­ung zu übernehmen.

Auch in der Ostukraine?

MAAS Wir wollen unsere Zeit im UN-Sicherheit­srat auch dazu nutzen, über einen UN-Friedensei­nsatz in der Ostukraine zu reden. Die Präsidente­n Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenk­o, schließen eine solche UN-Mission im Grundsatz nicht aus. Aber sie haben noch völlig unterschie­dliche Vorstellun­gen der Ausgestalt­ung einer solchen UN-Mission. Fortschrit­te sind nur sehr schwer zu erzielen. Das Friedensab­kommen von Minsk aus dem Frühjahr 2015 ist bis heute weitgehend unerfüllt. Trotz aller Schwierigk­eiten dürfen wir nichts unversucht lassen, um dem Friedenspr­ozess neue Impulse zu geben.

Eine UN-Mission mit dem Segen Russlands bei schrittwei­sem Verzicht auf die Sanktionen gegen Moskau – ist das denkbar?

MAAS Das sind ja Sanktionen der Europäisch­en Union gegenüber Russland. Unser unmittelba­res Ziel bleibt, die Ukraine zu stabilisie­ren und einen echten Waffenstil­lstand durchzuset­zen. Gelingt dann die Umsetzung des Minsker Abkommens, können wir über den Abbau der Sanktionen verhandeln. Aber erst dann.

Putin-Versteher Gerhard Schröder hat Sie wegen Ihrer deutlichen Worte über Russlands Politik der Abgrenzung zum Westen kritisiert. Eine alte Fehde unter Genossen?

MAAS Meine Haltung zu Russland hängt allein davon ab, wie die russische Regierung agiert. Wir brauchen den Dialog mit Russland für die Lösung internatio­naler Konflikte. Hierfür müssen wir aber auch unsere eigenen Erwartunge­n glasklar formuliere­n. Das gilt nicht nur für Russlands Rolle in der Ukraine, sondern auch für den Syrien-Krieg.

Wann reisen Sie wieder nach Saudi-Arabien?

MAAS Ich muss nicht vor Ort sein, um unsere Haltung klar zu machen: Wir verlangen Transparen­z und wollen eine vollständi­ge Aufklärung des abscheulic­hen Mordes an Jamal Khashoggi. Die Täter und die Hintermänn­er müssen zur Verantwort­ung gezogen werden. Rüstungsex­porte haben wir komplett gestoppt. Das gilt auch für bereits genehmigte Lieferunge­n.

Zur Innenpolit­ik: Stühlerück­en in der CDU, Unruhe in der CSU, keine stabile Lage in der SPD. Wie lange hält die Groko?

MAAS Die Menschen erwarten von uns, dass wir das Land vernünftig regieren – zu Recht! Darum sollten wir uns kümmern und nicht um uns selbst kreisen.

Welchen Einfluss hat es auf die Stabilität der Groko, wer künftig an der Spitze der CDU steht?

MAAS Die große Koalition hat eine Grundlage: Das ist der Koalitions­vertrag. Der gilt. Und dieser Vertrag hängt nicht davon ab, wer künftig Vorsitzend­e oder Vorsitzend­er der CDU ist.

Der Saarländer Maas ist nicht für die Saarländer­in Kramp-Karrenbaue­r?

MAAS Weil ich Annegret Kramp-Karrenbaue­r in der CDU nicht schaden will, gebe ich dazu lieber keinen Kommentar ab. Meine Sympathien dürften sowieso bekannt sein.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Heiko Maas Ende September im Deutschen Haus in New York. Der Außenminis­ter war zur Generalver­sammlung der Uno in der Stadt.
FOTO: IMAGO Heiko Maas Ende September im Deutschen Haus in New York. Der Außenminis­ter war zur Generalver­sammlung der Uno in der Stadt.

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