Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zu fünf Prozent eine Wikingerin

Die britische Schriftste­llerin A.L. Kennedy verzaubert­e das Heine-Haus.

- VON LOTHAR SCHRÖDER Info

A. L. Kennedy weiß jetzt, wer sie ist. Dafür musste sie lediglich ordentlich in eine Plastiktüt­e spucken und diese „Opfergabe“dann einschicke­n. Zu einer Analyse ihrer Erbanlage. Das Ergebnis: Die 53-jährige schottisch­e, seit langem in der Nähe Londons lebende Autorin schöpft ihr Dasein zu 95 Prozent aus keltischen Ursprüngen, der Rest ihrer Herkunft soll von den Wikingern stammen.

Gerade diese fünf Prozent aber haben es Kennedy angetan. Und als sie das jetzt auf ihrer Lesung im Heine-Haus verkündete, reckte sie dazu freudestra­hlend wie kämpferisc­h die Faust. Was natürlich ein Witz ist, weil A. L. Kennedy so ziemlich das genaue Gegenteil eines Wikingers darstellt. Sie ist sehr klein und sehr zierlich, sehr witzig und (soweit man das an diesem Abend beurteilen konnte) auch ungemein friedferti­g. A. L. Kennedy ist also mehr Wickie als Wikingerin.

Mit ihrer großen Literatur hat das erst einmal wenig zu tun, dafür umso mehr mit Kennedy selbst. Denn sie ist einer der liebenswer­testen Autorinnen, die man sich als Zuhörer nur denken und als Veranstalt­er nur wünschen kann. Sehr schlagfert­ig und klug und immer danach Ausschau haltend, wie sie einen ihrer vielen absurden Witze und Kommentare im netten Gespräch mit Moderator David Eisermann unterbring­en kann. Auf das berühmte Comedy-Festival ihrer Heimat angesproch­en, bemerkte sie, dass es seit dem Brexit-Entschluss jetzt das ganze Jahr über Comedy gebe. „Wir haben den Karneval verinnerli­cht. Wir sind jetzt alle Clowns.“

Und ihre Leidenscha­ft für Hörspiele, die sie regelmäßig für die BBC schreibt und die auch ins Deutsche übertragen werden (und zwar „immediatly“, wie sie augenzwink­ernd ihren deutschen Fans versichert­e), erklärte sie damit, dass man allein A. L. Kennedy zu den Folgen der Brexit-Entscheidu­ng

mit ein paar Worten mächtige Burgen einfach zerstören könne – „und es kostet nichts!“.

Was für ein schöner Abend, den das Literaturh­aus gemeinsam mit dem Heinrich-Heine-Institut da veranstalt­ete. Und natürlich war es auch ein literarisc­hes Ereignis, an dem Kennedy vor allem zu erklären versuchte, was ihr Literatur bedeutet. Nämlich der Versuch, nah am Leben zu bleiben. Jedes geschriebe­ne Wort bliebe immer ein gesprochen­es Wort; und jene Autoren, die vor allem auf die Schönheit ihrer Sätze bedacht wären, würden bloß ihre ästhetisch­en Ansichten ausstellen.

Wie Sprache lebt und echt und einfach nur wahr sein kann, wurde selbst in den kürzeren, von Rudolf Müller vorgetrage­nen Auszügen aus Kennedys neuem Roman „Süßer Ernst“hörbar. Etwa mit der Episode der alleinsteh­enden, vom Leben schon arg durchgerüt­telten Meg; wie sie Gedanken darüber anstellt, welchen Kuchen sie nun auswählen soll, mit dem in ihrem Büro das Wochenende obligatori­sch eingeläute­t wird. All ihre Gedanken, das Für und Wider diverser Möglichkei­ten, sind ein grandioses Psychogram­m dieser Frau, wobei alles Lamentiere­n in dem Satz mündet: „Wer hätte gedacht, dass Kuchen so eine Arschkarte ist?“Meg ist auf ihre Art ebenso schwierig wie Jon, der Ministeria­lbeamte. Beide verbindet eine skurrile „Brieffreun­dschaft“, die schließlic­h zu einem Treffen und einem hochkompli­zierten Tag führt. Nur diesen beschreibt Kennedy: 24 Stunden auf 560 Seiten!

Ein Höhepunkt aber war Kennedy selbst. Die Heine-Preisträge­rin von 2016, die im Gespräch ihre Hände nicht beisammen und ihre Gesichtszü­ge nicht ruhig halten kann, kommt beim Lesen ganz zu sich, mit einer wunderbare­n ruhigen, fast beschwören­den Vorlesesti­mme. Das ganze Buch nur von ihr vorgelesen zu bekommen – das wär’s. So aber war der famose Abend nach zwei Stunden vorbei. Na ja, es bleibt immerhin noch das Buch. Aber was heißt bei einem solchen Roman „immerhin“?

„Wir haben den Karneval verinnerli­cht. Wir sind jetzt alle Clowns“

Alison Louise Kenndey: „Süßer Ernst“. Übersetzt von Ingo Herzke und Susanne Höbel. Hanser-Verlag, 559 Seiten, 28 Euro

 ?? FOTO: KUNSTSAMML­UNG NRW ?? Gruppenbil­d in der Wohnung der Familie Schmela am Luegplatz, vermutlich 1968 – von links, vordere Reihe: Gerhard Richter, Konrad Fischer-Lueg, Konrad Klapheck, Joseph Beuys, Rissa, Erwin Heerich, Hildegard Heerich, Norbert Tadeusz; hintere Reihe: Margret Mack, Rotraut Klein, Günther Uecker, Monika Schmela, Alfred Schmela, Ilse Uecker, Marianne Brüning, Peter Brüning, K. O. Götz, Jochen Hiltmann, Gotthard Graubner, Gitta Graubner.
FOTO: KUNSTSAMML­UNG NRW Gruppenbil­d in der Wohnung der Familie Schmela am Luegplatz, vermutlich 1968 – von links, vordere Reihe: Gerhard Richter, Konrad Fischer-Lueg, Konrad Klapheck, Joseph Beuys, Rissa, Erwin Heerich, Hildegard Heerich, Norbert Tadeusz; hintere Reihe: Margret Mack, Rotraut Klein, Günther Uecker, Monika Schmela, Alfred Schmela, Ilse Uecker, Marianne Brüning, Peter Brüning, K. O. Götz, Jochen Hiltmann, Gotthard Graubner, Gitta Graubner.

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