Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der helfende Hund
Hella hat ein Kind verloren. Eine Krebserkrankung hat sie überlebt. Doch ihre Seele blieb krank. Ihre Hoffnung ruht auf Labrador Nela.
Nela kann Sitz. Und Bleib und Platz. Das ist nicht so ungewöhnlich für einen Labrador ihres Alters. Auch nicht, dass sie manchmal selbst entscheidet, wann sie dem Kommando folgt. Was die fünf Monate alte Hündin besonders macht, sind ihre Einfühlsamkeit und Alexandra Hilgers. Die Hundetrainerin hat Nelas Potenzial erkannt und bildet sie zum Assistenzhund aus.
Auf dem Vierseitenhof in Bedburg ist Nela derzeit eine von neun in Hilgers Rudel. Fünf sind ihre eigenen, drei sind in der Ausbildung und Emily ist zur Probe da. Im Grunde, sagt Hilgers, die eigentlich gelernte Bankkauffrau ist, kann jeder Hund alles lernen. Sogar Henry, der riesige Greyhound, der so zart gebaut ist, dass er sich bei jedem Stoß verletzen könnte, wäre in der Lage, eine Scheckkarte in einen Geldautomaten zu schieben und das Geld herauszunehmen. Aber erstens hatte Henry schon in seinem ersten Leben einen Job auf einer irischen Rennbahn und darf bei Alexandra Hilgers nun endlich einfach nur ein Hund sein. Und zweitens bringt sie die Geldautomatensache nur dann einem ihrer vierbeinigen Schützlinge bei, wenn einer ihrer zweibeinigen Schützlinge das auch tatsächlich braucht.
Hella braucht das nicht. Wenn sie es schafft, aufzustehen und das Haus zu verlassen, dann ist Geld am Automaten holen für sie noch das kleinste Übel. Aus dem Bett kommen, die Schmerzen auszuhalten, und die Ängste, die sie immer wieder quälen – das sind ihre Probleme. Und noch einige andere, zu denen auch die Sorge gehört, ihre Familie könnte davon erfahren. Deshalb nennen wir sie Hella, obwohl sie nicht so heißt, und haben auch ihre Geschichte ein wenig verändert.
Sie ist Mitte 40, ziemlich klein, und ihre Zierlichkeit wirkt nicht nur krankhaft, sie ist das Ergebnis einer Magersucht, die ihr Leben seit dem Teenageralter bestimmt. Missbrauch hat sie als Kind erfahren, immer wieder nur gelernt, sich Liebe und Anerkennung verdienen zu müssen. Sie schien es überwunden zu haben, als sie heiratete und drei Kinder bekam, an deren Liebe für sie es keine Zweifel gibt. Doch dann kam ihr jüngstes Kind todkrank zur Welt. Zwei Jahre lang kämpfte Hella um ihr Baby – und verlor.
Der Tod der kleinen Josi hat die Familie zerrissen. Und bei Hella nicht nur längst vergessen Geglaubtes wieder hervorgeholt. Sie überwandt eine schwere Krebserkrankung, aber ihre Seele wurde nicht mehr gesund. ADHS, Hyperaktivität, ist nur eine der Diagnosen, die ein Psychiater ihr attestierte. Dazu entwickelte sich eine Fibromyalgie, landläufig bekannt als Weichteilrheuma, was in erster Linie unerträgliche Schmerzen bedeutet. Zwar ist jede ihrer Erkrankungen für sich behandelbar. Nur dass die Medikation für die eine sich mit der für die andere Erkrankung nicht verträgt.
„Manchmal bin ich so müde, dass ich beim Autofahren einschlafe, also fahre ich kaum noch“, sagt Hella. Und an anderen Tagen sind es die Schmerzen, die sie kaum aus dem Bett kommen lassen. Einkaufen ist die Hölle, weil sie Nähe schwer erträgt, vor allem keine Menschenmengen. Soziale Kontakte pflegt man so nicht. Was vor allem für Hellas lebende Kinder, von denen das jüngste 14 ist , schwer zu ertragen ist.
Nela kann helfen. Alexandra Hilgers ist sicher dass das sensible Tier, das selbst im Trubel ihres Haushalts, zu dem neben den neun Hunden auch ihr Mann und Sohn gehören, immer spürt, wem es gerade nicht so gut geht und wer ihres Trosts bedarf, Hellas Nöte erkennen wird. Vieles liegt in ihrer Persönlichkeit. Den Rest bringt Hilgers ihr bei. „Nela wird Hella gegen Menschen abblocken, die ihr zu nahe kommen. Das wird eine ihrer Hauptaufgaben sein. Und sie wird erkennen, wenn eine Angstattacke naht, und beruhigend auf Hella einwirken.“
Wenn Alexandra Hilgers das Potenzial eines Hundes und seine Eignung zum Assistenzhund erkannt hat, trainiert sie mit ihm zunächst die Standards. Sozialisierung Hella Patientin mit Menschen, Sitz und Platz, die Rückruf- und die Leinenführigkeit. Danach geht die Ausbildung mit dem Klienten weiter, der den Hund braucht. Nelas Bruder Biscuit zum Beispiel ist schon regelmäßig für ein paar Stunden bei seinem Menschen, einer traumatisierten Frau, die erst wieder spricht, seit der Hund in ihrem Leben ist – und es auch nur dann kann, wenn Biscuit bei ihr ist.
Eigentlich wollte Alexandra Hilgers mit traumatisierten Menschen gar nicht arbeiten. „Ich hatte Angst, dass mich das selbst kaputt machen würde.“Als sie nach einer Erkrankung ihr Leben umkrempelte, sich zur Hundetrainerin und Verhaltensberaterin für Hundehalter ausbilden ließ, hatte ein Rolli-Hund sie auf die Idee gebracht, auch die Assistenzhundetrainer-Ausbildung zu machen. Ihr Plan damals: Hunde für Diabetiker und Rollstuhlfahrer zu trainieren. Hunde, die Diabetespatienten vor Unterzuckerung warnen können, sind aber sehr selten, „nur drei von hundert können das“, und Rollstuhlfahrer waren die wenigsten ihrer Interessenten. „Die meisten Anfragen habe ich von Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen“, sagt Hilgers. Also hat sie sich auch dafür weitergebildet und vor vier Jahren ihr Assistenzhundezentrum in Bedburg eröffnet. Seitdem bildet sie Hunde aus, die Menschen in schlimmsten Situationen helfen. Was sie von ihren Klienten erfährt, geht ihr nah. „Ich hätte nie für möglich gehalten, was Menschen anderen Menschen und vor allem Kindern antun können.“Alexandra Hilgers muss die Geschichten ihrer Klienten kennen, um ihre Bedürfnisse an den Hund zu verstehen. „Aber ich bin keine Therapeutin“, betont sie. Manchmal jedoch sind die Grenzen verwischt.
Thomas Groß, Mitgründer und Geschäftsführer des Vereins „Patronus Assistenzhunde“, kennt das. Sein Verein, der Hunde und Klienten zusammenbringt, achtet deshalb darauf, die Hundeausbilder und die künftigen Halter einander nicht zu nah kommen zu lassen. Das sei wichtig, zum Schutz der Trainer. „Wir haben in unserem Verein Fachleute für die Menschen, Tierschutzexperten für die Hunde und ein Netzwerk von Ausbildern, die die Tiere für die individuellen Ansprüche trainieren,“sagt er. Erst wenn der Hund beim Klienten ist, kommen diese auch mit den Trainern in Kontakt, dann nämlich, wenn es um den Alltag mit dem Hund geht.
Die Nachfrage ist enorm, sagt Groß. 150 Anfragen hat der Verein jedes Jahr, nur 30 können im Schnitt erfüllt werden. Das hängt damit zusammen, dass nicht immer die Wohnverhältnisse eines Klienten für einen Hund auch geeignet sind. „Wir achten natürlich darauf, dass die Tiere artgerecht gehalten werden.“Vor allem aber liegt es am Geld. Seine Aufgabe sieht der Verein deshalb nicht nur in der Vermittlung und Betreuung, sondern vor allem auch in der Finanzierung. Denn die Ausbildung eines Assistenzhundes ist teuer, selten unter 10.000, oft über 15.000 Euro, zumindest bei den seriösen Trainern, die sich ihrer großen Verantwortung für Mensch und Tier bewusst sind. „Mit der steigenden Nachfrage ist auch die Zahl der schwarzen Schafe gestiegen“, bedauert Groß, „und leider ist die Berufsbezeichnung nicht geschützt.“
Alexandra Hilgers erklärt die Kosten: „Der Aufwand ist sehr hoch. Jeder Hund wird einzeln trainiert, auch an besondere Situationen herangeführt. Es dauert rund zweieinhalb Jahre, bis ein Assistenzhund voll leistungsfähig ist.“Vor allem am Anfang der Ausbildung ist die Trainerin 24 Stunden jeden Tag für das Tier da. Und auch im Arbeitsalltag des Assistenzhundes bleibt sie die Ansprechpartnerin für ihre Klienten. Bei Hella beispielsweise wird sie sich auch regelmäßig vergewissern, dass Nela nicht überfordert wird. „Sie lebt ja in der Familie, wird ihrem Charakter entsprechend auch versuchen, für alle Familienmitglieder da zu sein. Aber sie muss wissen, dass ihre Hauptaufgabe Hella ist.“
Weil es schwierig ist, geeignete Hunde für die verantwortungsvolle Aufgabe zu finden, will Alexandra Hilgers eine eigene Zucht aufbauen. Emily ist die Labrador-Mutter künftiger Assistenten. „Labradore gewöhnen sich schnell an andere Menschen, sie halten viel aus,. sind deshalb besonders geeignet“, sagt die Trainerin.
Hella setzt große Hoffnungen auf ihre Hündin. „Weil es für mich keine Therapie mehr gibt, ist Nela meine letzte Chance auf ein normales Leben.“
„Für mich gibt es keine Therapie mehr. Nela ist meine letzte Chance.“
„Mit der Nachfrage ist auch die Zahl der schwarzen Schafe unter den Trainern gestiegen.“
Thomas Groß Patronus e.V.