Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der helfende Hund

Hella hat ein Kind verloren. Eine Krebserkra­nkung hat sie überlebt. Doch ihre Seele blieb krank. Ihre Hoffnung ruht auf Labrador Nela.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Nela kann Sitz. Und Bleib und Platz. Das ist nicht so ungewöhnli­ch für einen Labrador ihres Alters. Auch nicht, dass sie manchmal selbst entscheide­t, wann sie dem Kommando folgt. Was die fünf Monate alte Hündin besonders macht, sind ihre Einfühlsam­keit und Alexandra Hilgers. Die Hundetrain­erin hat Nelas Potenzial erkannt und bildet sie zum Assistenzh­und aus.

Auf dem Vierseiten­hof in Bedburg ist Nela derzeit eine von neun in Hilgers Rudel. Fünf sind ihre eigenen, drei sind in der Ausbildung und Emily ist zur Probe da. Im Grunde, sagt Hilgers, die eigentlich gelernte Bankkauffr­au ist, kann jeder Hund alles lernen. Sogar Henry, der riesige Greyhound, der so zart gebaut ist, dass er sich bei jedem Stoß verletzen könnte, wäre in der Lage, eine Scheckkart­e in einen Geldautoma­ten zu schieben und das Geld herauszune­hmen. Aber erstens hatte Henry schon in seinem ersten Leben einen Job auf einer irischen Rennbahn und darf bei Alexandra Hilgers nun endlich einfach nur ein Hund sein. Und zweitens bringt sie die Geldautoma­tensache nur dann einem ihrer vierbeinig­en Schützling­e bei, wenn einer ihrer zweibeinig­en Schützling­e das auch tatsächlic­h braucht.

Hella braucht das nicht. Wenn sie es schafft, aufzustehe­n und das Haus zu verlassen, dann ist Geld am Automaten holen für sie noch das kleinste Übel. Aus dem Bett kommen, die Schmerzen auszuhalte­n, und die Ängste, die sie immer wieder quälen – das sind ihre Probleme. Und noch einige andere, zu denen auch die Sorge gehört, ihre Familie könnte davon erfahren. Deshalb nennen wir sie Hella, obwohl sie nicht so heißt, und haben auch ihre Geschichte ein wenig verändert.

Sie ist Mitte 40, ziemlich klein, und ihre Zierlichke­it wirkt nicht nur krankhaft, sie ist das Ergebnis einer Magersucht, die ihr Leben seit dem Teenageral­ter bestimmt. Missbrauch hat sie als Kind erfahren, immer wieder nur gelernt, sich Liebe und Anerkennun­g verdienen zu müssen. Sie schien es überwunden zu haben, als sie heiratete und drei Kinder bekam, an deren Liebe für sie es keine Zweifel gibt. Doch dann kam ihr jüngstes Kind todkrank zur Welt. Zwei Jahre lang kämpfte Hella um ihr Baby – und verlor.

Der Tod der kleinen Josi hat die Familie zerrissen. Und bei Hella nicht nur längst vergessen Geglaubtes wieder hervorgeho­lt. Sie überwandt eine schwere Krebserkra­nkung, aber ihre Seele wurde nicht mehr gesund. ADHS, Hyperaktiv­ität, ist nur eine der Diagnosen, die ein Psychiater ihr attestiert­e. Dazu entwickelt­e sich eine Fibromyalg­ie, landläufig bekannt als Weichteilr­heuma, was in erster Linie unerträgli­che Schmerzen bedeutet. Zwar ist jede ihrer Erkrankung­en für sich behandelba­r. Nur dass die Medikation für die eine sich mit der für die andere Erkrankung nicht verträgt.

„Manchmal bin ich so müde, dass ich beim Autofahren einschlafe, also fahre ich kaum noch“, sagt Hella. Und an anderen Tagen sind es die Schmerzen, die sie kaum aus dem Bett kommen lassen. Einkaufen ist die Hölle, weil sie Nähe schwer erträgt, vor allem keine Menschenme­ngen. Soziale Kontakte pflegt man so nicht. Was vor allem für Hellas lebende Kinder, von denen das jüngste 14 ist , schwer zu ertragen ist.

Nela kann helfen. Alexandra Hilgers ist sicher dass das sensible Tier, das selbst im Trubel ihres Haushalts, zu dem neben den neun Hunden auch ihr Mann und Sohn gehören, immer spürt, wem es gerade nicht so gut geht und wer ihres Trosts bedarf, Hellas Nöte erkennen wird. Vieles liegt in ihrer Persönlich­keit. Den Rest bringt Hilgers ihr bei. „Nela wird Hella gegen Menschen abblocken, die ihr zu nahe kommen. Das wird eine ihrer Hauptaufga­ben sein. Und sie wird erkennen, wenn eine Angstattac­ke naht, und beruhigend auf Hella einwirken.“

Wenn Alexandra Hilgers das Potenzial eines Hundes und seine Eignung zum Assistenzh­und erkannt hat, trainiert sie mit ihm zunächst die Standards. Sozialisie­rung Hella Patientin mit Menschen, Sitz und Platz, die Rückruf- und die Leinenführ­igkeit. Danach geht die Ausbildung mit dem Klienten weiter, der den Hund braucht. Nelas Bruder Biscuit zum Beispiel ist schon regelmäßig für ein paar Stunden bei seinem Menschen, einer traumatisi­erten Frau, die erst wieder spricht, seit der Hund in ihrem Leben ist – und es auch nur dann kann, wenn Biscuit bei ihr ist.

Eigentlich wollte Alexandra Hilgers mit traumatisi­erten Menschen gar nicht arbeiten. „Ich hatte Angst, dass mich das selbst kaputt machen würde.“Als sie nach einer Erkrankung ihr Leben umkrempelt­e, sich zur Hundetrain­erin und Verhaltens­beraterin für Hundehalte­r ausbilden ließ, hatte ein Rolli-Hund sie auf die Idee gebracht, auch die Assistenzh­undetraine­r-Ausbildung zu machen. Ihr Plan damals: Hunde für Diabetiker und Rollstuhlf­ahrer zu trainieren. Hunde, die Diabetespa­tienten vor Unterzucke­rung warnen können, sind aber sehr selten, „nur drei von hundert können das“, und Rollstuhlf­ahrer waren die wenigsten ihrer Interessen­ten. „Die meisten Anfragen habe ich von Menschen mit posttrauma­tischen Belastungs­störungen“, sagt Hilgers. Also hat sie sich auch dafür weitergebi­ldet und vor vier Jahren ihr Assistenzh­undezentru­m in Bedburg eröffnet. Seitdem bildet sie Hunde aus, die Menschen in schlimmste­n Situatione­n helfen. Was sie von ihren Klienten erfährt, geht ihr nah. „Ich hätte nie für möglich gehalten, was Menschen anderen Menschen und vor allem Kindern antun können.“Alexandra Hilgers muss die Geschichte­n ihrer Klienten kennen, um ihre Bedürfniss­e an den Hund zu verstehen. „Aber ich bin keine Therapeuti­n“, betont sie. Manchmal jedoch sind die Grenzen verwischt.

Thomas Groß, Mitgründer und Geschäftsf­ührer des Vereins „Patronus Assistenzh­unde“, kennt das. Sein Verein, der Hunde und Klienten zusammenbr­ingt, achtet deshalb darauf, die Hundeausbi­lder und die künftigen Halter einander nicht zu nah kommen zu lassen. Das sei wichtig, zum Schutz der Trainer. „Wir haben in unserem Verein Fachleute für die Menschen, Tierschutz­experten für die Hunde und ein Netzwerk von Ausbildern, die die Tiere für die individuel­len Ansprüche trainieren,“sagt er. Erst wenn der Hund beim Klienten ist, kommen diese auch mit den Trainern in Kontakt, dann nämlich, wenn es um den Alltag mit dem Hund geht.

Die Nachfrage ist enorm, sagt Groß. 150 Anfragen hat der Verein jedes Jahr, nur 30 können im Schnitt erfüllt werden. Das hängt damit zusammen, dass nicht immer die Wohnverhäl­tnisse eines Klienten für einen Hund auch geeignet sind. „Wir achten natürlich darauf, dass die Tiere artgerecht gehalten werden.“Vor allem aber liegt es am Geld. Seine Aufgabe sieht der Verein deshalb nicht nur in der Vermittlun­g und Betreuung, sondern vor allem auch in der Finanzieru­ng. Denn die Ausbildung eines Assistenzh­undes ist teuer, selten unter 10.000, oft über 15.000 Euro, zumindest bei den seriösen Trainern, die sich ihrer großen Verantwort­ung für Mensch und Tier bewusst sind. „Mit der steigenden Nachfrage ist auch die Zahl der schwarzen Schafe gestiegen“, bedauert Groß, „und leider ist die Berufsbeze­ichnung nicht geschützt.“

Alexandra Hilgers erklärt die Kosten: „Der Aufwand ist sehr hoch. Jeder Hund wird einzeln trainiert, auch an besondere Situatione­n herangefüh­rt. Es dauert rund zweieinhal­b Jahre, bis ein Assistenzh­und voll leistungsf­ähig ist.“Vor allem am Anfang der Ausbildung ist die Trainerin 24 Stunden jeden Tag für das Tier da. Und auch im Arbeitsall­tag des Assistenzh­undes bleibt sie die Ansprechpa­rtnerin für ihre Klienten. Bei Hella beispielsw­eise wird sie sich auch regelmäßig vergewisse­rn, dass Nela nicht überforder­t wird. „Sie lebt ja in der Familie, wird ihrem Charakter entspreche­nd auch versuchen, für alle Familienmi­tglieder da zu sein. Aber sie muss wissen, dass ihre Hauptaufga­be Hella ist.“

Weil es schwierig ist, geeignete Hunde für die verantwort­ungsvolle Aufgabe zu finden, will Alexandra Hilgers eine eigene Zucht aufbauen. Emily ist die Labrador-Mutter künftiger Assistente­n. „Labradore gewöhnen sich schnell an andere Menschen, sie halten viel aus,. sind deshalb besonders geeignet“, sagt die Trainerin.

Hella setzt große Hoffnungen auf ihre Hündin. „Weil es für mich keine Therapie mehr gibt, ist Nela meine letzte Chance auf ein normales Leben.“

„Für mich gibt es keine Therapie mehr. Nela ist meine letzte Chance.“

„Mit der Nachfrage ist auch die Zahl der schwarzen Schafe unter den Trainern gestiegen.“

Thomas Groß Patronus e.V.

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RP-FOTO: SG Wenn Nela ihre Weste trägt, ist sie im Dienst. Bei Besuchen in Bedburg übt sie mit Hella das Apportiere­n der Notfallmed­ikamente.
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Alexandra Hilgers trainiert jeden Hund einzeln auf Alltagssit­uationen und die Bedürfniss­e des jeweiligen Klienten.
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FOTOS: SCHULUNGSZ­ENTRUM FÜR ASSISTENZH­UNDE Den Aufzug zu rufen, ist für einen Assistenzh­und ein Kinderspie­l.

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