Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Als Kunst in die Zukunft blickte
Eine Ausstellung im Neusser Clemens-Sels-Museum widmet sich drei Rheinischen Expressionisten. Titel der Schau: „Ihrer Zeit voraus“.
NEUSS Für das Neusser Clemens-Sels-Museum ist die aktuelle Ausstellung eine einzige Superlative. Sechs Jahre dauerte es von der ersten Idee bis zur Präsentationsreife. 125.000 Euro hat das Haus investiert, davon rund 75 Prozent an Drittmitteln einwerben müssen. Vier Kuratorinnen haben sich um die Aufarbeitung gekümmert. Von den rund 150 gezeigten Werken sind – mit Blick auf die unzureichenden klimatischen Verhältnisse des 1975 errichteten Museumsbaus – immerhin 40 Arbeiten als Leihgaben ins Haus gekommen. Rund 300 Seiten umfasst der Katalog, der zum ersten Mal wohl überhaupt die verschiedenen Beziehungen der drei „Rheinischen Expressionisten“Heinrich Campendonk (1889– 1947), Heinrich Nauen (1880–1940) und Johan Thorn Prikker (1868– 1932) beleuchtet. Was einerseits für die Kunstwissenschaft ein Gewinn ist, andererseits aber auch gut verständlich erzählt, wie die Arbeiten und Beziehungen zustande gekommen sind.
Wen also wundert’s, dass das Neusser Haus mit der Ausstellung „Ihrer Zeit voraus!“seine Ressourcen bis zur Neige ausgeschöpft hat und eine Ausstellung präsentiert, die mehr als einen Besuch nicht nur verdient, sondern braucht, um alle Facetten zu erfassen. Sicherlich: „Der heilige Franziskus predigt den Fischen und Vögeln“von Prikker war 50 Jahre lang öffentlich nicht zu sehen; Nauens „Dahlien in blauer Vase“wird zum ersten Mal überhaupt gezeigt, und Campendonks Selbstbildnis von 1912 ist ein wunderbares Beispiel für den Einfluss der Künstlervereinigung „Blauer Reiter“um Klee, Marc und Macke. Dass sie wahre Hingucker sind wie fast alles in dieser Ausstellung, steht außer Zweifel. Aber es gibt eben auch kaum ein Werk, das nicht eine Geschichte erzählt, die gleichzeitig ein Stück (Kunst-)Geschichte Deutschlands ist.
Auch der Zeitpunkt für diese Ausstellung stimmt. Prikker wäre in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden, und 2019 ist es 100 Jahre her, dass seine fast schon legendären Fenster in der Neusser Dreikönigenkirche eingebaut wurden. Außerdem wird 2019 mit „100 Jahre Bauhaus im Westen“eine Kunstrichtung gefeiert, die auch Prikker und Co. geprägt haben. Und alle drei haben zudem in enger Verbindung zu Peter Behrens (dem Mentor von Bauhaus-Gründer Walter Gropius) gestanden, der in Neuss das „katholische Gesellenhaus“gebaut hat, für deren Kapelle wiederum Prikker die Fensterentwürfe lieferte.
Die Ausstellung spiegelt damit gleichermaßen ein Stück Stadtwie auch Kunstgeschichte. Denn der Weg der Künstler Campendonk, Nauen und Prikker zu gesellschaftlicher Anerkennung war lang und steinig, die Neusser Ereignisse verdeutlichen beispielhaft das Ringen um die Moderne im damaligen Deutschland.
Die Bilder und Skulpturen, Mosaike, Möbel und Stoffmotive von Prikker, Campendonk und Nauen waren für deren Zeitgenossen entweder Auswüchse einer höchst umstrittenen Moderne oder eben Ausdruck einer neuen progressiven Formensprache, die sich beim Symbolismus ebenso bediente wie beim Expressionismus und bei der Abstraktion. Die drei Rheinländer waren schlicht ihrer Zeit voraus – was sich heute noch zeigt, weil ihre Werke höchst lebendig und zeitgenössisch wirken. Keiner der Drei machte einen Unterschied zwischen Kunst und Kunsthandwerk (und entsprach damit voll und ganz den Ideen des Bauhauses). Ornamententwürfe für Wanddekorationen (1902) gehören ebenso zu Prikkers OEuvre wie sein Gemälde „Julians Fahrt über den Fluss“(1906). Campendonk entwarf Halsketten (191315) und vereint als Maler Figürliches und Abstraktion in Gemälden wie „Kopf mit Akt – der Kopf (Lebenserinnerung)“um 1948. Der mit beiden Künstlern befreundete Nauen hielt sich zwar in Sachen Angewandter Kunst mehr zurück, aber auch vom Maler der „Tulpen“(1911) stammen Mosaike, etwa für die Tonhalle in Düsseldorf (1926).
Das schließt auch oder gerade jene religiöse Kunst ein, die Prikker und Co. bahnbrechend auf neue Füße stellten. Denn ob es sich um Fenster für Kirchen oder Kapellen, um Gemälde mit biblischen Motiven handelte, um Auftragsarbeiten oder Eigenaktivitäten – Campendonk, Nauen und Prikker blieben sich und ihrer Formensprache treu.
Zum „Schaueffekt“ihrer Werke kommt in diesem Fall die detailreiche Aufarbeitung des jeweiligen Gesamtwerks im Katalog hinzu. Er erklärt nicht nur, wie und warum die Kuratorinnen die Ausstellung nach den vier Feldern, die sie beackerten, aufteilten (Weg zum Gesamtkunstwerk,
Ringen um Anerkennung, Bedeutung ihrer Mäzene und Neuss als kulturelle Keimzelle an Rhein und Ruhr). Er ist auch ein Werkverzeichnis über das Schaffen eines jeden der Drei geworden, denn der Katalog zeigt Abbildungen von Arbeiten, die selten oder noch nie zu sehen, oder sogar gänzlich aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden waren. Wie sagte es die Museumschefin Uta Husmeier-Schirlitz (47) doch so treffend: „Das war die aufwendigste Recherche meiner gesamten Laufbahn.“Sie hat sich gelohnt.