Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kein Abschluss, aber Politiker

Der neue CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak hat nie ein Studium beendet. Wäre er ein besserer Politiker, wenn er das geschafft hätte? Die Fähigkeite­n, die sein Beruf erfordert, lernt man jedenfalls nicht unbedingt im Hörsaal.

- VON KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ

Paul Ziemiak hat eine Menge Prüfungen in seinem Leben bestanden. Die schwerste mit 22 Jahren, als seine Mutter an Krebs starb. Nur eines hat Ziemiak nicht: einen Berufsabsc­hluss. Das heißt, die große Volksparte­i CDU hat einen Mann in vorderster Reihe, der vor seiner politische­n Karriere keinen anderen Beruf erlernt hat. Wenn er in der CDU scheitert, steht er beruflich mit leeren Händen da. Ist er deshalb ein schlechter Politiker?

Andreas Mattfeldt aus Niedersach­sen, gelernter Industriek­aufmann und seit 2009 CDU-Bundestags­abgeordnet­er, nennt Ziemiaks Namen nicht. Aber seine Botschaft ist eindeutig. „Wer in Deutschlan­d politische Verantwort­ung für die Menschen in unserem Land übernehmen möchte, sollte einen anständige­n Beruf erlernt oder studiert haben. Mehrere Jahre bewiesen haben, dass man erfolgreic­h zum Wohl des Unternehme­ns tätig war, und auch größere Personalve­rantwortun­g definitiv nicht schaden kann“, twitterte er sprachlich nicht ganz fehlerfrei, aber prägnant. Mattfeldt zeigte sich sicher: Es „wird uns auf die Füße fallen“, dass immer mehr Abgeordnet­e „nur das politische Geschäft mit ihren Netzwerken kennengele­rnt haben“.

Ziemiak hatte nach dem Abitur zunächst Rechtswiss­enschaft studiert, blieb an der Seite seiner sterbenden Mutter und fiel nicht nur emotional in ein tiefes Loch, sondern auch durch die erste juristisch­e Staatsprüf­ung. Er gab das Studium ohne Abschluss auf. Danach schrieb er sich für Unternehme­nskommunik­ation an der Business and Informatio­n Technology School in Iserlohn ein. Auch dieses Studium hat er nicht beendet. Bis zum Einzug in den Bundestag verdiente er Geld als Werkstuden­t unter anderem für eine Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t.

2014 gewann der gebürtige Pole die harte Kampfkandi­datur gegen Benedict Pöttering um den Vorsitz der Jungen Union, weil er monatelang bei Mitglieder­n um Unterstütz­ung gebeten hatte und dann beim Deutschlan­dtag der Jugendorga­nisation in Inzell eine glänzende Rede hielt. Locker, frei, verbindlic­h. Im Laufe von vier Jahren als Chef der mit 120.000 Mitglieder­n größten Jugendorga­nisation in Europa steigerte er seine Wahlergebn­isse auf 91 Prozent im Oktober in Kiel – das jemals beste Resultat eines JU-Chefs.

Ein Jahr zuvor war er mit 32 Jahren in den Bundestag eingezogen. Vor einer Woche wurde der Vater eines kleinen Sohnes trotz des Richtungss­treits in der CDU und seiner Nähe zum rechten Flügelmann Jens Spahn der jüngste Generalsek­retär in der Parteigesc­hichte unter der neuen christlich-sozialen Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r, wenn auch mit einem zu erwartende­n schlechten Ergebnis.

Auf Augenhöhe mit Ziemiak befindet sich bei den Berufsabsc­hlüssen sein roter Gegenspiel­er. Der Chef der Jungsozial­isten, Kevin Kühnert, vom Magazin „Time“bereits zum „Führer der nächsten Generation“gekürt, studierte zunächst Publizisti­k und Kommunikat­ionswissen­schaften, dann Politik und Soziologie, und beides ohne Abschluss. Das hindert ihn nicht daran, ein besonderes Gespür für die Bauchgefüh­le der SPD-Basis zu entwickeln und die verbreitet­en Bedenken in einer klaren Sprache zu artikulier­en. Es bleibt die Frage, ob er das besser könnte, wenn er als Magister, Bachelor oder Doktor bereits theoretisc­h bewiesen hätte, dass er weiß, worauf es ankommt.

Bei allem Respekt für die Bedeutung der wissenscha­ftlichen Ausbildung relativier­t selbst Kanzlerin Angela Merkel, ausgebilde­te und promoviert­e Physikerin, die Bedeutung von Abschlüsse­n. Als der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg von einer Plagiatsaf­färe zu seiner Doktorarbe­it überrollt wurde, stellte sich Merkel anfangs vor ihn mit der Feststellu­ng, sie habe einen Verteidigu­ngsministe­r Ex-Außenminis­ter und Vizekanzle­r Joschka Fischer machte einen Taxischein als einzigen Abschluss bestellt und keinen wissenscha­ftlichen Assistente­n.

In der aktuellen Regierung fällt nicht weiter auf, dass im Kanzleramt Staatsmini­sterin Annette Widmann-Mauz und im Verkehrsmi­nisterium Staatssekr­etär Enak Ferlemann ihr Studium ohne Abschluss beendeten. Auch bei SPD-Bundesscha­tzmeister Dietmar Nietan dreht sich alles um die Frage, wie er die Finanzen im Griff hat, und nicht darum, weshalb er sein Biologie-Studium nicht zum Abschluss brachte. Ähnlich ist es beim IT- und Raumfahrte­xperten Thomas Jarzombek, der kein Studienzer­tifikat hat, aber eine eigene IT-Service-Firma aufbaute.

Als die Grünen 1994 in den Bundestag kamen, häuften sich auch die Biografien der aufstreben­den Studienabb­recher. Wer zur 68er- Generation gehörte, musste häufig gewichten, was ihm gerade wichtiger war: Hörsaal oder Straßenkam­pf, Pauken oder Politik. So kam es auch, dass einer der heute begehrtest­en Gastdozent­en an internatio­nalen Universitä­ten und mehrfacher Inhaber von Ehrendokto­rtiteln nie richtig studierte: Joschka Fischer, sieben Jahre lang Außenminis­ter und Vizekanzle­r, machte einen Taxischein als einzigen Abschluss. Die Frage, ob er deshalb als Spitzenpol­itiker weniger geeignet sei, stellte sich angesichts seiner herausrage­nden Rolle im ersten rot-grünen Projekts auf Bundeseben­e nicht mehr.

Und was sagt die Parteienfo­rschung dazu? „Als Politiker braucht man unter anderem eine schnelle Auffassung­sgabe, die Fähigkeit, sich rasch in neue Aufgabenbe­reiche einzuarbei­ten, das Gespür für gesellscha­ftliche Veränderun­gen, das Einfühlung­svermögen in andere Lebenswelt­en, rhetorisch­e Fähigkeite­n, Verhandlun­gsgeschick, Führungsqu­alitäten und einen ausgeprägt­en Machtinsti­nkt“, analysiert der Berliner Politikwis­senschaftl­er Oskar Niedermaye­r auf Anfrage unserer Redaktion. Und er zieht daraus eine Schlussfol­gerung: „Bei alldem ist eine Berufsausb­ildung, die Lebenserfa­hrung außerhalb der Politik vermittelt, sicher hilfreich, aber nicht absolut notwendig“, sagt er.

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