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Habeck und die Angst der Grünen vor Freibier

Der Parteichef will Hartz IV durch eine großzügige­re, bedingungs­lose „Garantiesi­cherung“ersetzen. Auch Parteifreu­nde hadern damit.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Dieser Coup ist gelungen: Als Robert Habeck Mitte November sein „Strategiep­apier“zur Überwindun­g des Hartz-IV-Systems lancierte, war der Grünen-Vorsitzend­e seinem Ziel, die SPD zu marginalis­ieren, wieder ein Stück nähergekom­men. Habecks Pläne zum Umbau der sozialen Grundsiche­rung waren radikal genug, um die Unruhe bei den angeschlag­enen Sozialdemo­kraten deutlich zu steigern. Die SPD will nun rasch nachziehen, doch die Grünen sind ihr schon einen Schritt voraus – ausgerechn­et auf ihrem angestammt­en Feld der Sozialpoli­tik. Was strategisc­h klug angelegt war, stößt aber in der eigenen Partei nicht uneingesch­ränkt auf Begeisteru­ng: Habeck hat auf seiner gedanklich­en Reise hin zu einer auskömmlic­hen und bedingungs­losen „Garantiesi­cherung“noch nicht alle Grünen mitgenomme­n.

Sein „Strategiep­apier“war daher ausdrückli­ch als Debattenbe­itrag gedacht. Die Grünen sollten sich daran reiben, am Ende solle ein geeintes Konzept ins Grundsatzp­rogramm einfließen, sagt Habeck. Doch wenn es der schillernd­e Parteivors­itzende ist, dem sie einen Gutteil der erfreulich­en Umfragewer­te verdanken, wagen auch die größten Realpoliti­ker keinen offenen Widerspruc­h mehr: Niemand bei den Grünen will jetzt noch – anders als vor dem Führungswe­chsel Anfang 2018 – infrage stellen, dass Hartz IV durch großzügige­re Garantien ersetzt werden soll. „Wer bedürftig ist, soll nach unseren Vorstellun­gen eine Garantiesi­cherung erhalten, die eine echte gesellscha­ftliche Teilhabe ermöglicht. Hierfür muss die Leistung deutlich höher sein als heute“, bekräftigt Fraktionsc­hef Anton Hofreiter. „Kürzungen des Existenzmi­nimums wollen wir abschaffen, denn sie demotivier­en und führen im schlimmste­n Fall in die Obdachlosi­gkeit.“

Im Detail allerdings finden sich zwischen Habeck und Wirtschaft­sund Sozialpoli­tikern seiner Partei durchaus Unterschie­de. Habeck will den Arbeitszwa­ng für Langzeitar­beitslose abschaffen und stellt damit das Prinzip des Förderns und Forderns infrage. Sie sollen stattdesse­n durch Belohnunge­n animiert werden, sich dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung zu stellen. Damit droht aber das Ziel der schnellen Wiedereing­liederung hinter dem der sozialen Absicherun­g aus dem Blick zu geraten. „Unser Ziel muss bleiben, die Menschen aus der Grundsiche­rung herauszube­kommen und wieder in Erwerbsarb­eit zu bringen“, betont daher die wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin, Kerstin Andreae. „Soziale Teilhabe funktionie­rt über Arbeit, nicht über staatliche Transfers. Die Arbeitsför­derung muss auf den einzelnen Menschen fokussiert bleiben.“

Da Habeck auch alle Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher streichen will, die sich nicht an die Regeln halten, würde das Solidarpri­nzip ausgehöhlt, wonach es keine staatliche Leistung ohne Gegenleist­ung geben kann, warnt Grünen-Sozialpoli­tiker Markus Kurth. „Wer das Sozialstaa­tsprinzip mit dem Ausschank von Freibier verwechsel­t, bewirkt genau das Gegenteil dessen, was eigentlich Absicht ist: Der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt wird geschwächt statt gestärkt“, schrieb er in einem Beitrag für die linke Tageszeitu­ng „Taz“. Er wolle damit aber nicht als Speerspitz­e der Habeck-Kritiker gesehen werden, betont Kurth. Er finde es gut, dass endlich eine grundsätzl­iche Hartz-IV-Debatte geführt werde. Robert Habeck Parteivors­itzender der Grünen Im Übrigen müssten sich alle daran halten, dass ein Parteitag Anfang 2018 für die Abschaffun­g der Hartz-IV-Sanktionen votiert habe, wenn auch mit knapper Mehrheit.

Ohne Arbeitszwa­ng und ohne Sanktionen rückt Habecks „Garantiesi­cherung“gefährlich nahe an das Konzept des bedingungs­losen Grundeinko­mmens für alle Bürger, das viele Grüne strikt ablehnen, weil es den Fokus weglenke von den Hilfebedür­ftigen. Habeck dagegen hatte sich in der Vergangenh­eit stets als Unterstütz­er des Grundeinko­mmens geoutet. Er steht deshalb unter dem Verdacht, es nun durch die Hintertür in der Light-Version doch zu propagiere­n. Da Habeck nun die Bedarfsprü­fung erhalten will, die bedeutet, dass nur Bedürftige die Garantiesi­cherung erhalten können, macht er sich weniger angreifbar.

Trotz des Parteitags­beschlusse­s halten Politiker wie Andreae und Kurth die geforderte Sanktionsf­reiheit für problemati­sch. „Wenn der Staat die Bedürftigk­eit eines Menschen prüft, muss der sich ja auch kooperativ zeigen und seine Einkommens­und Vermögensv­erhältniss­e offenlegen. Insofern kann die Grundsiche­rung gar nicht bedingungs­los sein“, argumentie­rt Andreae. Und Kurth ergänzt: „Ich persönlich halte Sanktionen als letztes Mittel, als ultimative­s Stoppschil­d durchaus für sinnvoll, wenn diese erstens nicht die Existenz gefährden und zweitens die ALG-II-Beziehende­n zuvor die Wahl zwischen qualitativ guten Angeboten hatten.“

Habeck will das Arbeitslos­engeld II, Sozialhilf­e, Wohngeld und Bafög zudem zu einer einzigen Sozialleis­tung zusammenfa­ssen, der Garantiesi­cherung. Auch hier sehen Fachleute einen falschen Ansatz. „Die Zusammenfa­ssung von mehreren Sozialleis­tungen zu einer allgemeine­n Garantiesi­cherung sollte man sich gut überlegen. Wir sollten im Gegenteil lieber die einzelnen Gruppen in Hartz IV besser trennen: Von den insgesamt 5,9 Millionen Menschen in Hartz IV sind nur 1,4 Millionen arbeitssuc­hend, alle anderen gehören gar nicht in Hartz IV hinein“, sagt Sozialexpe­rte Kurth.

Nicht zuletzt will Habeck die Hartz-IV-Regelsätze und die Hinzuverdi­enstmöglic­hkeiten kräftig verbessern, so dass etwa vier Millionen Haushalte zusätzlich Anspruch auf die Grundsiche­rung bekämen. Insgesamt, so schätzt er, würde sein Konzept etwa 30 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich kosten.

Grünen-Finanzexpe­rte Dieter Janecek sorgt sich daher um die Finanzierb­arkeit, schließlic­h verfolgten die Grünen auch noch andere Ziele, vor allem beim Klimaschut­z. „Mit der Garantiesi­cherung wollen wir Menschen mit niedrigen Einkommen entlasten, Leistungen vereinfach­en und bessere Zuverdiens­tmöglichke­iten schaffen. Arbeit muss sich endlich wieder lohnen“, sagt auch Janecek. „Gleichzeit­ig wollen wir aber mit einer fairen CO2-Bepreisung den Klimaschut­z voranbring­en. Das wird aber nur dann auf Akzeptanz stoßen, wenn wir die Menschen im Gegenzug entlasten. Beide Ansätze zusammenzu­bringen, wird eine Herkulesau­fgabe.“

„Das Garantieve­rsprechen des Sozialstaa­ts muss erneuert werden“

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