Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Das Haselnuss-Problem
Viele Jahre war Hassels-Nord in den Händen von Spekulanten. Das Ergebnis: Probleme, mit denen die Mieter und der neue Eigentümer bis heute kämpfen.
Haselnuss-Siedlung – das klingt nach buntem Herbstlaub, Kindern in selbstgestrickten Pullovern und dem Duft frischen Gebäcks.
Die Realität zwischen Potsdamer, Fürstenberger und Altenbrückstraße sieht anders aus. Das Laub liegt grau im Rinnstein, die Kinder tragen Anoraks vom Textildiscounter und auf der Straße riecht es bestenfalls neutral. Kurz: Ganz normaler Großstadtrand. Der Reichtum ist anderswo zuhause. Die Menschen wollen keine Probleme.
So ging es auch Yamina E. Die gebürtige Marokkanerin betreibt mit ihrem Mann ein Reisebüro. Bis September lebten sie in einer Wohnung an der Potsdamer Straße. Die E.s haben am eigenen Leib gespürt, was passieren kann, wenn Wohnraum in die Hände von Spekulanten fällt. Probleme? Die gab es jede Menge. „Ich bin ausgezogen“, sagt E. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Nicht noch einen Winter.“Die heute 51-Jährige hat jahrelang ohne funktionierende Heizung gewohnt.
Die Siedlung in Hassels-Nord hat eine bewegte Geschichte. Erst gehörte sie der Landesentwicklungsgesellschaft NRW, kurz LEG – einem Zusammenschluss gemeinnütziger Wohnungsunternehmen. Dann wurde sie verkauft. Fragt man die Menschen, die damals wie heute in Hassels leben, an wen, heißt es: „Scheichs aus Abu-Dhabi“. Tatsächlich besaß zuletzt eine luxemburgische Investmentfirma die Siedlung. Sie hatte selbst keinen Kontakt mit Mietern. Das übernahmen Verwaltungs-Firmen.
Das erste Unternehmen nach der LEG gab dem Viertel einen hübschen Namen: „Wohnpark Fürstenberg“. Anfang des Jahrtausends gab es in diesem „Wohnpark“immer wieder Brandstiftungen. Das lenkte die Aufmerksamkeit auf die Zustände im „Wohnpark“: defekte Aufzüge, ausfallende Heizungen, ein verwahrlostes Umfeld. Die Firma reagierte lange nicht – bis von Modernisierungen die Rede war.
Die Hausverwaltungsfirma wurde aufgespalten. Ein Nachfolgeunternehmen verwaltete nun die Häuser in Hassels. In dieser Zeit wurde umfangreich saniert. Und für einige Mieter begann der Ärger damit erst recht.
Richard Rybak ist einer dieser Mieter. Er wohnt seit 1996 in einer 42-Quadrameter-Wohnung an der Potsdamer Straße. Der Diplom-Ökonom ist aktuell auf Jobsuche. Seine Miete bezahlt das Amt. Rybak könnte also egal sein, wie hoch sie ist und welchen Gegenwert er dafür bekommt. Aber dazu ist er nicht der Typ.
2016 habe die Verwaltung mit den Modernisierungen begonnen, erzählt der 58-Jährige. „Die Fenster wurden ausgetauscht – auch dort, wo sie tipptopp waren. Das Heizungssystem wurde geändert – von einem Ein- auf ein Zwei-Rohr-System. Die Badezimmer wurden saniert – neue Kacheln, neue Badewannen.“Rybak war skeptisch: „Das Neue unterschied sich kaum vom alten“, sagt er. „Ich konnte keine Verbesserungen erkennen.“
Dieser Punkt ist entscheidend. Denn im deutschen Mietrecht sind Mieterhöhungen streng geregelt. Wenn sie mit Modernisierungen begründet werden, muss der Wohnstandard durch die Maßnahmen tatsächlich erhöht werden. Der Vermieter muss außerdem vorher genau erklären, inwiefern diese Maßnahmen eine Verbesserung darstellen.
In Hassels erhöhte die Wohnungsverwaltungsfirma die Mieten – letztendlich auf 9,20 Euro pro Quadratmeter. Manche Mieter klagten. Andere akzeptierten.
Einen anderen Weg ging Yamina E. – einen extremeren Weg. Sie widersprach nicht nur der Mieterhöhung – sie widersprach allen Maßnahmen, die die Verwaltungsfirma durchführen wollte.
„Vorher wurde nie etwas instand gesetzt“, sagt E. „Jetzt kamen die Handwerker, hinterließen überall Dreck und Löcher in den Wänden.“Es habe keine ausreichenden Informationen gegeben: „Die Handwerker tauchten einfach irgendwann auf, verursachten Chaos und gingen wieder.“Ein Ansprechpartner vor Ort? Nicht vorhanden. Laut Richard Rybak sollten die Arbeiten zwei bis drei Wochen dauern. „In meinem Fall waren es sieben Monate“, sagt er. „mit geräumigen Pausen.“
Was Frau E. besonders schockte: Für die Überholung der Heizungsanlage musste das Wasser im Badezimmer abgeklemmt werden. Die Firma stellte den Mietern Container auf die Straße – zum Duschen und zur Verrichtung der Notdurft. „Ich kann doch nicht um drei Uhr morgens raus auf die Straße gehen“, sagt sie heute.
E. und ihr Mann widersprachen also den Maßnahmen und der sich daraus ergebenden Mieterhöhung von 300 Euro. Vorher waren es 829 Euro Miete für 81 Quadratmeter gewesen. Der Firma teilte E. mit, sie stimme nur dann zu, wenn sie für die Dauer der Modernisierung eine Ersatzwohnung bekomme und ihr zugesichert werde, dass alle Schäden beseitigt würden, die durch die Bauarbeiten entstehen. Das Ergebnis: Bei ihr wurde lediglich die Gegensprechanlage erneuert.
Ist Yamina E. eine Querulantin? Oder war es ihr gutes Recht als Mieterin, auf bestimmte Bedingungen zu bestehen, bevor in ihrer Wohnung umfangreich saniert wird?
Die Folgen jedenfalls waren gravierend. Als in den anderen Wohnungen die Maßnahmen umgesetzt wurden, wurden auch bei Frau E. Heizung und Wasser abgestellt. Das Wasser kam zurück. Die Heizung nicht. Um nicht zu frieren, musste E. Heizlüfter aufstellen. So lebte sie seit 2016 – mit einer gigantischen Stromrechnung und jeder Menge Mahnungen. Denn weil sie keine Heizung und zeitweilig kein Wasser hatte, kürzte E. nach einer gewissen Zeit die Miete auf Anraten ihres Anwalts um die entsprechenden Nebenkosten. Das akzeptierte die Hausverwaltungsfirma nicht. „Ständig haben die gemahnt, gemahnt, gemahnt“, sagt Yamina E.
Im Sommer 2017 übernahm ein anderer Eigentümer die Siedlung in Hassels – die LEG. Mittlerweile war die alte Landesentwicklungsgesellschaft privatisiert worden. Heute ist die LEG ein börsennotiertes Immobilienunternehmen mit um die 130.000 Bestandsimmobilien.
Die LEG hat – so könnte man sagen – die Probleme in Hassels vom Voreigentümer geerbt und muss jetzt irgendwie mit ihnen umgehen.
Im Fall von Yamina E. verfolgt sie die Forderungen weiter, die bereits die Vorgänger-Firma stellte. Frau E. sagt, die LEG fordere bis heute die Mitrückstände. Die LEG weigere sich anzuerkennen, dass die Sanierungsmaßnahmen bei ihr nicht stattgefunden hätten, dass ihre Wohnung heizungs- und zeitweilig auch wasserlos war und deswegen nicht vertragsgemäß nutzbar. Im Januar habe ihr die LEG fristlos gekündigt, es habe auch eine Räumungsklage gegeben. Allerdings sei die LEG nicht aktiv geworden, um sie aus der Wohnung zu werfen. Im September sei sie dann umgezogen, weil sie nicht noch einen Winter ohne Heizung wollte. Bis in den November hinein kamen Mahnbriefe der LEG. Die Forderung, die laut Yamina E. mal bei 10.000 Euro gelegen hat, beläuft sich nun bei etwas über 5.000 Euro.
Die LEG sieht die Sache anders. Die Familie habe sich gegen die Modernisierung gewehrt – das sei korrekt, und der Voreigentümer der Siedlung habe das auch akzeptiert. Ein Sprecher der LEG zitiert aus einem Aktenvermerk des Vorgängers:„Richtig ist, dass die Beklagten seit September 2015 verlangten, die Beheizung der Wohnung wiederherzustellen. [Die Vorgängerfirma] hatte den Beklagten (also der Familie E., Anm. der Red.) deutlich gemacht, dass die Beheizung lediglich wiederhergestellt werden könne, wenn die Heizrohre und Heizkörper an das Zwei-Rohrsystem angeschlossen werden, mit dem die Liegenschaft zwischenzeitlich ausgestattet ist.“Yamina E. habe gegen den Anschluss ihrer Heizung an das neue System protestiert – und dann beklagt, dass die Heizung nicht mehr funktioniere. „Im nächsten Schritt haben E.s die Miete gekürzt, weil sie keine Heizung hatten (deren Einbau sie selbst verhindert hatten).“Laut LEG kürzte die Familie die Miete monatlich um rund 248 Euro, zahlte im Juli und August 2018 nicht und behielt im September etwa 712 Euro
ein. Das bestätigt Yamina E. Es handele sich um zu viel gezahlte Nebenkosten aus der Zeit ohne Heizung und Wasser sowie um die Kaution, die ihr nach dem Auszug zustehe.
Insgesamt habe die LEG im Fall der Familie E. keine Gelegenheit gehabt, „hier noch positiv einzuwirken, da die Auseinandersetzung bereits auf juristischem Wege geführt wurde“, so der Sprecher. Man bedaure, dass die Familie die wöchentliche LEG-Mietersprechstunde nicht in Anspruch genommen habe, um die Sache zu klären. Für Yamina E. kam das nicht in Frage. Zu zerrüttet war das Verhältnis zu ihrem Vermieter. Was über Jahre – und durch Dritte – in die Brüche gegangen war, konnte eine Mietersprechstunde nicht mehr kitten. In Bezug auf die Mieterhöhungen gibt es mittlerweile erste Urteile für die, die geklagt hatten. Mehrere Gerichte haben festgestellt, dass die Modernisierungs-Miethöhungen nicht rechtens waren – weil die Firma die Erhöhung nicht ausreichend begründet habe. Ob ein positives Urteil für einige Mieter sich auf andere, die nicht geklagt haben, übertragen lässt – daran scheiden sich die Geister. Das Risiko einer Klage trägt weiterhin der einzelne Mieter.
LEG verteidigt auf Anfrage die Mieterhöhungen. Man werde sie weiter verfolgen. „Denn durch die umfassenden Modernisierungsmaßnahmen wurde für unsere Mieter in Hassels bereits ein Mehrwert geschaffen – ihre Wohnqualität wurde deutlich erhöht.“Wenn sich Mieter die Erhöhung nicht leisten können, suche man das Gespräch, um eine Lösung zu finden. Aber: „Wir können nicht aufgrund von Einzelfällen auf Mieterhöhungen verzichten.“Man riskiere damit, die Bestände nicht weiterentwickeln zu können. „Das wäre nicht wirtschaftlich und nicht im Sinne der Mieter.“
Wie geht es weiter mit Hassels? Richard Rybak ist pessimistisch. Er führt eine Liste von Mängeln am Viertel: Vandalismus im Hausflur, eine Ratten- und Taubenplage vor der Tür, kaputte Aufzüge, Müll im Vorgarten, geklaute Einkaufswagen stehen herum. Nicht an allem sei die LEG schuld, räumt er ein. Aber er sieht das Unternehmen in der Verantwortung, das Viertel in Ordnung zu halten. Zumindest dann, wenn die LEG Mieten von über neun Euro pro Quadratmeter verlange. „Eine Unverschämtheit“, findet er. „Mieten wie in Oberkassel – aber man wohnt hier wie im Ghetto.“Dass nicht alles zum Besten stand in Hassels, als die LEG übernahm – das sieht auch das Unternehmen selbst so. Allerdings habe sich, das teilt ein Sprecher schriftlich mit, bereits einiges getan. „Generell wollen wir Hassels als attraktiven Düsseldorfer Stadtteil etablieren.“Dazu arbeite man beispielsweise mit Awista, Diakonie und Polizei zusammen und habe „u.a. bei den Themen Sperrmüll, Gartenpflege, Winterdienst, Hausreinigung und Schädlingsbekämpfung sehr positive Resultate erzielt.“Man habe Hecken und Büsche zurückgeschnitten, um Angsträume zu eliminieren. Man habe große Hausnummern auf die Häuser gemalt, um „zusätzliche Transparenz für Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei“zu schaffen. Anfang nächsten Jahres würden drei Spielplätze gebaut. Man feiere regelmäßig Mieterfeste. „Zudem haben wir der Siedlung einen neuen Namen gegeben (’Haselnuss-Siedlung’), um sie und ihr öffentliches Image auch auf diesem Wege flankierend aufzuwerten.“
Haselnuss-Siedlung – das klingt richtig nett.