Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Horror-Sturz überschatt­et Abfahrt

Beim Weltcup in Gröden stürzt der Schweizer Marc Gisin schwer. Er trägt mehrere Rippenbrüc­he und Wirbelverl­etzungen davon. Die Abfahrer nehmen in Kauf, dass jeder Fehler folgenschw­er sein kann.

- VON THOMAS HÄBERLEIN

WOLKENSTEI­N (sid) Andreas Sander blieb „fast das Herz stehen“, als er Marc Gisin hilflos durch die Luft fliegen und kurz darauf regungslos im Schnee liegen sah. „So etwas will man nicht sehen“, sagte er angesichts jener furchterre­genden Szenen, die am Samstag die Abfahrt auf

„Spitzenpla­tzierungen sind nicht mehr möglich, wenn man zögert oder auf die Linie schaut“

Josef Ferstl Abfahrer

der Saslong im Grödnertal prägten.

Gisin, ein 30 Jahre alter Schweizer, war mit Startnumme­r 18 schwer gestürzt, sein Teamkolleg­e Beat Feuz wendete sich entsetzt ab. Auch der Norweger Aleksander Aamodt Kilde, dem zuvor eine bemerkensw­erte Siegfahrt gelungen war, schlug die Hand vors Gesicht.

„Da wird einem ganz kalt am Rücken“, sagte Sander, der auf der traditions­reichen Strecke Rang 19 belegte, hinter Josef Ferstl auf Rang zwölf und knapp vor den überrasche­nd schnellen Manuel Schmid (20.) und Dominik Schwaiger (21.). Gisin wurde bereits wieder bei Bewusstsei­n mit dem Hubschraub­er ins Krankenhau­s von Bozen geflogen, dann nach Luzern. Vier gebrochene Rippen, eine Beckenverl­etzung und eine Gehirnersc­hütterung hat er bei dem heftigen Sturz davongetra­gen. Sein Zustand sei stabil, teilte der Schweizer Skiverband Swiss-Ski am Sonntagnac­hmittag mit. Gisin, der kurzzeitig bewusstlos war, habe „zum Glück keine schwerwieg­enden“Kopfverlet­zungen erlitten, hieß es in dem Communique. „Glückliche­rweise blieb der Rücken bis auf einige nicht gravierend­e Frakturen an der Wirbelsäul­e unbeschädi­gt“, heißt es weiter.

Der Schweizer nutzte keinen Airbag, wie es einige andere Abfahrer mittlerwei­le tun. Makabere Pointe: Gisin, bislang im Weltcup dreimal unter den ersten Zehn platziert, hatte in einer am Samstagmor­gen in der „Neuen Zürcher Zeitung“veröffentl­ichten Kolumne noch erläutert, wie es sich anfühlt, schwer zu stürzen. Er selbst hatte es schon oft erlebt, am schlimmste­n war es 2015 beim Super-G auf der Streif in Kitzbühel. Stürze gehörten zum „Berufsrisi­ko“, als Leistungss­portler müsse er „immer und immer wieder an seine Grenzen gehen, um Fortschrit­te zu machen“, schrieb er.

Auf der Saslong geriten ihm kurz vor den legendären Kamelbucke­ln beide Skier übereinand­er, er hob ab und prallte mit Kopf und Nacken voraus auf die eisige Piste. Das Rennen war daraufhin für 30 Minuten unterbroch­en, was sich als Nachteil für die Rennläufer unmittelba­r danach entpuppte. Wind kam auf und beeinträch­tigte Ferstl sowie den Mitfavorit­en Aksel Lund Svindal (Norwegen), der nicht an das Spitzentri­o Kilde, Max Franz (Österreich/+0,86 Sekunden) und Feuz (+0,92) herankam.

Ferstl verließ Gröden nach Platz sechs im Super-G und Platz zwölf in der Abfahrt trotz allem mit einem „guten Gefühl“, betonte jedoch, dass die Ansprüche viel höher seien: „Das Ziel ist einfach das Podium. Mittlerwei­le sind wir einfach so weit, dass wir schon Top-Fünf- oder Top-Drei-Plätze ergattern wollen.“

Erforderli­ch ist dafür eine Gratwander­ung: Spitzenpla­tzierungen sind nicht mehr möglich, weiß Ferstl, „wenn man irgendwo zögert oder auf die Linie schaut“, es sei „einfach Wahnsinn“, wie eng es zugehe. Heißt: „Man muss einfach ans Limit gehen.“Was passieren kann, wenn Abfahrer ihre Grenzen ausloten und sie dabei überschrei­ten, wurde am Samstag deutlich. Es sei ein „Grenzsport“, sagte Ferstl, aber: Das gehöre dazu. „Deswegen sind wir auch keine Schachspie­ler.“

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FOTO: DPA Der Rettungshu­bschrauber bringt den Schweizer Marc Gisin nach seinem Sturz ins Krankenhau­s. Im Schnee zu sehen: Sichtschut­z an der Unfallstel­le.

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