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Frankreich reißt die Maastricht-Latte

Die Neuverschu­ldung wird im kommenden Jahr vermutlich bei 3,2 Prozent der Wirtschaft­sleistung liegen. Die Zugeständn­isse von Präsident Macron an die „Gelbwesten“haben schwerwieg­ende Folgen.

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PARIS/ROM (rtr) Nach dem teilweisen Einlenken der französisc­hen Regierung an die Demonstran­ten in Paris wird Frankreich im kommenden Jahr wohl die EU-Obergrenze für das Haushaltsd­efizit reißen. Die Neuverschu­ldung werde 2019 voraussich­tlich bei rund 3,2 Prozent der Wirtschaft­sleistung liegen, sagte Ministerpr­äsident Edouard Philippe der Zeitung „Les Echos“. Erlaubt sind in der Europäisch­en Union drei Prozent. EU-Wirtschaft­skommissar Pierre Moscovici hatte zwar vergangene Woche signalisie­rt, dass eine „einmalige und begrenzte“Überschrei­tung toleriert werden würde. Besonders die italienisc­he Regierung dürfte jedoch die französisc­he Ankündigun­g mit Argusaugen verfolgen: Sie streitet sich mit der EU-Kommission über ein geplantes Defizit im Bereich von etwa zwei bis 2,4 Prozent. Die Brüsseler Behörde droht Italien deshalb mit einem Strafverfa­hren.

Die französisc­he Regierung hatte noch Ende September ein Haushaltsd­efizit von 2,8 Prozent für 2019 in Aussicht gestellt, nach 2,6 Prozent in diesem Jahr. Allerdings werden Zugeständn­isse von Präsident Emmanuel Macron nach wochenlang­en und teils gewaltsame­n Protesten gegen seine Steuer- und Reformpoli­tik ein Milliarden­loch in die Staatskass­e reißen. Macron will die Demonstran­ten in gelben Warnwesten unter anderem mit einem höheren Mindestloh­n, Steuererle­ichterunge­n für Rentner und einer geringeren Steuer auf Überstunde­n -3,1

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-2,4 -2,2 -1,8 -1,4

Maastricht-Kriterium max. 3% Defizit -0,9

-0,8

-0,8

-0,7

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-0,4 -0,2 besänftige­n. Zudem wurde die Ökosteuer gekippt. Die steigende Neuverschu­ldung kommt bei Anlegern am Anleihemar­kt nicht gut an. Sie trennten sich zu Wochenbegi­nn von Staatspapi­eren, die Rendite der zehnjährig­en Titel stieg im Gegenzug auf 0,72 Prozent.

Italiens Vize-Regierungs­chef Matteo Salvini von der rechten Lega forderte Spanien Portugal Rumänien Frankreich Italien Ungarn Großbritan­nien Polen Belgien Österreich Slowakei Finnland Lettland Estland Irland Slowenien Litauen Griechenla­nd Kroatien Deutschlan­d Bulgarien Dänemark Niederland­e Luxemburg Tschechien Schweden Zypern Malta 0,1 0,5 bereits, dass die EU beide Länder gleich behandeln müsse. Er sei es leid, dass beim Haushalt mit „zweierlei Maß“gemessen werde. Falls sich daran nichts ändere, würden andere Saiten aufgezogen. Moscovici erklärte dagegen, die Situatione­n seien nicht vergleichb­ar. Italien verletze mit seinem Haushalt bereits das dritte Jahr in Folge die EU-Regeln. In Prozent des Bruttosozi­alprodukts Defizit 0,8

0,9

1,0

1,1

1,1

1,2

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1,5

1,6 1,8 Überschuss 3,5

Der CSU-Finanzpoli­tiker Hans Michelbach widersprac­h dem französisc­hen EU-Kommissar. Die Situation in dessen Heimat sei „nicht anders als im Fall Italien und darf auch nicht anderes behandelt werden“, erklärte er. Michelbach warf Moscovici eine „falsche Rücksichtn­ahme“auf die Regierung in Paris vor. „Frankreich verstößt seit zehn Jahren ständig gegen die Defizitreg­el des Maastricht-Vertrages“und habe sich 2017 nur mit Sondereffe­kten unter die Drei-Prozent-Grenze retten können.

Die italienisc­he Regierungs­koalition verständig­te sich inzwischen auf die Einzelheit­en eines neuen Haushaltse­ntwurfs für das kommende Jahr. Mit diesem solle verhindert werden, dass die EU-Kommission Disziplina­rmaßnahmen wegen Verletzung der Haushaltsr­egeln verhänge, sagte eine Lega-Sprecherin. Wirtschaft­sstaatssek­retär Massimo Garavaglia erklärte, die Regierung sei optimistis­ch, dass die EU kein Disziplina­rverfahren eröffnen werde. Der Dialog gehe weiter, sagte ein Sprecher der EU-Kommission, die die bisherigen Etat-Pläne Italiens abgelehnt hatte. Zwar liegt die populistis­che Regierung in Rom mit ihrem Haushaltse­ntwurf trotz der Pläne für eine Umsetzung kostspieli­ger Wahlverspr­echen noch deutlich unter der EU-Obergrenze. Doch hatte die Vorgängerr­egierung der EU-Kommission einen Sparkurs und eine Neuverschu­ldung von nur 0,8 Prozent zugesagt. Die EU-Kommission sorgt sich vor allem wegen Italiens Schuldenbe­rgs, der nach Griechenla­nd mit einer Quote von mehr als 130 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) der höchste in der Euro-Zone ist. In Frankreich liegt dieser Wert auch bei fast 100 Prozent. Die EU-Regeln sehen eine Obergrenze von 60 Prozent vor. Deutschlan­d dürfte sie 2018 nach längerer Pause wieder einhalten.

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* Für 2018 erwartet Frankreich ein Defizit von 3,2%. QUELLE: EUROSTAT | FOTO: DPA | GRAFIK: DPA,

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