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Europa bereitet sich auf No-Deal-Brexit vor

Laut einer Umfrage gebe es bei einer erneuten Abstimmung nun eine Mehrheit für den Verbleib in der EU. Doch davon will May nichts wissen. Unternehme­n in Europa rüsten sich nun für einen harten Brexit.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Die Uhr tickt. Am heutigen Mittwoch dauert es noch 100 Tage bis zum Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union. Während Premiermin­isterin May die Abstimmung über ihren Brexit-Deal bis Mitte Januar vertagt hat, bereitet sich das Land auf ein No-Deal-Szenario vor. Das britische Kabinett beschloss am Dienstag in seiner letzten Sitzung des Jahres, die Vorbereitu­ngen für einen ungeregelt­en Austritt zu verstärken. Gelder aus einem Rücklagenf­onds in Höhe von zwei Milliarden Pfund wurden für zusätzlich­e Grenzkontr­ollen, neue IT-Systeme und die Einstellun­g von Personal für die Verhandlun­g von internatio­nalen Handelsabk­ommen bereitgest­ellt. London will gegenüber Brüssel demonstrie­ren, dass man notfalls auch ohne einen Deal austreten will.

Die Wahrschein­lichkeit erhöht sich, dass dieser Fall eintreten kann, denn es zeichnet sich immer noch keine Mehrheit im Unterhaus für die Annahme des Austrittsv­ertrags ab. May hatte jüngst aus Furcht vor einer Niederlage die Abstimmung über ihren Brexit-Deal abgeblasen. Jetzt soll ihr die Vertagung bis in den Januar Zeit verschaffe­n. May setzt darauf, dass rebellisch­e Abgeordnet­e ihrer Fraktion während der Weihnachts­pause zur Besinnung kommen und aus Angst vor den Folgen eines möglichen ungeregelt­en Austritts beginnen, sich für den von ihr ausgehande­lten Deal zu erwärmen.

Die Verschiebu­ng erboste die Opposition. Der Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte am Montag daher einen Misstrauen­santrag gestellt. Aber da er den Antrag gegen Theresa May persönlich (und nicht gegen die Regierung) stellte, gilt er als nicht bindend und wird ebenfalls frühestens im nächsten Jahr debattiert.

In einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Populus sprachen sich 65 Prozent der Briten dafür aus, dass „das britische Volk das letzte Wort über den Brexit-Deal haben soll“. Zugleich ermittelte Populus, dass in einem zweiten Referendum über Mays Brexit-Deal und der Alternativ­e eines Verbleibs in der EU die Option „Remain“mit 56 zu 44 Prozent gewinnen würde. Auch eine Wiederholu­ng des Referendum­s von 2016 würde das Ergebnis heute umkehren: 54 Prozent für Verbleib und nur 46 Prozent für den Austritt.

Theresa May allerdings will von einer „People‘s Vote“, einer erneuten Volksabsti­mmung nichts wissen. Sie hält dies für einen Verrat am Volkswille­n und erklärte im Unterhaus, dass solch ein Schritt das Vertrauen in das demokratis­che System untergrabe­n würde. „Eine weitere Abstimmung würde unserer Politik einen irreparabl­en Schaden zufügen, denn es würde den Millionen, die unserer Demokratie vertrauten, sagen, dass die Demokratie nicht Wort hält“. Sie hält weiterhin unbeirrt an ihrem Kurs fest: Mein Deal oder No Deal. Allerdings dürfte ihr da das Parlament in den Arm fallen. Der ehemalige Schatzkanz­ler Kenneth Clarke schätzt, dass 80 Prozent der Abgeordnet­en im Unterhaus ein No-Deal-Szenario ablehnen. Sie könnten versuchen, durch Änderungsa­nträge die Regierung dazu zu zwingen, einen ungeregelt­en Austritt zu verhindern.

Auch Europas Wirtschaft ist alarmiert. Für den Fall eines ungeregelt­en Brexits rechnet der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag (DIHK) allein für deutsche Unternehme­n mit bis zu zehn Millionen zusätzlich­en Zollanmeld­ungen pro Jahr und mehr als 200 Millionen Euro an zusätzlich­en Kosten nur durch diese Zollbürokr­atie. Die Behörden auf der Insel seien kaum darauf vorbereite­t, ein Chaos am Zoll in Dover zu verhindern. „Just-in-Time-Produktion­sund Lieferkett­en stehen auf dem Spiel“, warnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

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