Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Den Blick für den Einzelnen wahren
In Kategorien zu denken, ist einfach. Doch es wird dem Menschen nicht gerecht.
Wenn in der Öffentlichkeit über den Zusammenhalt der Gesellschaft diskutiert wird, ist meist von Gruppen die Rede: von den Gering- und den Besserverdienern, von den Alten und den Jungen, von Gutmenschen oder den wütenden weißen Männern.
Natürlich sind solche Verallgemeinerungen bisweilen sinnvoll, damit man Interessenlagen klar erkennen und Forderungen abwägen kann. Doch werden Menschen durch Kategorisierung ihrer persönlichen Geschichte beraubt. Einzelschicksale lösen sich auf in Stereotypen, die bald keiner mehr hören mag. Gruppen haben keine Schicksale. Wenn also gewisse Menschen nicht mehr als Individuum behandelt werden, sondern nur noch als Kategorie vorkommen, dann gehen ihre wahren Bedürfnisse niemanden mehr an.
Darum ist es so wichtig, sich den Blick auf den einzelnen Menschen zu bewahren. Auch wenn es anstrengt. Auch wenn das Empathie fordert. Das Christentum spricht nicht umsonst von Nächstenliebe – der Einzelne in seiner persönlichen Bedürftigkeit ist gemeint, nicht die Armen, Obdachlosen oder Flüchtlinge. Und auch nicht die Reichen, die mit ihrer Verantwortung unterschiedlich umgehen und natürlich auch bedürftig sein können, wenn auch nicht ökonomisch. Wir leben in einer Zeit, die viele Menschen als zu komplex empfinden. Da ist die Versuchung groß, jenen Gehör zu schenken, die nur in Kategorien sprechen, und in ähnliche Denkmuster zu verfallen. Das Leid der anderen lässt sich dann leichter abtun. Doch damit geht nicht nur der Reichtum verloren, der in jeder einzelnen Lebensgeschichte steckt, sondern am Ende die Menschlichkeit. An Weihnachten feiert die Christenheit den Beginn eines ungewöhnlichen Lebensweges. Es ist ein Fest gegen alle Kategorien.