Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Kein Bollywood aus Indien
„Die Schneiderin der Träume“stellt die indische Klassengesellschaft infrage.
(dpa) Eine unterhaltsame Liebesgeschichte, extravagante Kleidung und zahlreiche Musical-Elemente: Das sind nach wie vor die Zutaten für die meisten erfolgreichen Bollywood-Filme. Der indisch-französische Film „Die Schneiderin der Träume“hingegen erzählt leise, fast sacht. Mit viel Fingerspitzengefühl erforscht er eine Welt, die sonst fast nie auf der Leinwand erscheint: Wie die Millionen von Hausangestellten in Indien leben. Was sie bewegt und wovon sie träumen.
Im Zentrum des Films steht Ratna (Tillotama Shome). Sie wurde schon mit 19 Jahren Witwe und zieht aus ihrem Dorf in die Metropole Mumbai, um ein unabhängiges Leben zu führen, welches ihr die Gesellschaft in ihrer Heimat verwehrt hätte. In einem Luxus-Apartment arbeitet sie für Ashwin (Vivek Gomber), während sie sich nebenbei zur Schneiderin ausbilden lässt, weil sie eines Tages gerne Mode designen würde – auch wenn das in der indischen Klassengesellschaft, die auf dem Kastenwesen basiert, völlig unrealistisch erscheint.
Regisseurin Rohena Gera zeigt in ihrem Spielfilmdebüt, wie Hausangestellte Tag und Nacht für ihre Arbeitgeber zur Verfügung stehen. Sie reichen jedes einzelne Glas Wasser und kochen auch noch mitten in der Nacht, wenn die Herrschaften spät nach Hause kommen. Ratna wohnt in einer Kammer, in die kaum mehr als ein Bett und ein kleiner Schrein mit Götterstatuen passten. Das Essen nimmt sie nach allen anderen und nicht am Tisch ein, sondern auf dem Boden kauernd. Ein anderes Hausmädchen stellt fest: „Wir werden nur herumgeschubst.“
Ashwin, dessen arrangierte Ehe gerade geplatzt ist, fühlt sich unwohl in der Stadt und in der Rolle, in die ihn seine familiären Verpflichtungen drängen. Mehr und mehr vertraut er Ratna seine Probleme an, und irgendwann soll sie ihn nicht mehr „Sir“nennen, sondern beim Vornamen. Aus der Vertrautheit der beiden wird irgendwann Anziehung.
Doch in der Gesellschaft, in der die beiden leben, ist diese Beziehung undenkbar. Eine Verbindung würde einen Bruch mit ihren Familien und gesellschaftliche Ausgrenzung mit sich bringen. Ein Freund Ashwins bekommt Wind von der Affäre und versucht, ihm zu erklären, wie unmöglich eine feste Beziehung wäre. „Deine Mutter setzt sich nie mit ihr an einen Tisch.“Ratna wisse ja nicht einmal, wie man mit Besteck umgehe. „Lass sie in Ruhe“, rät er.
In Indien ist „Die Schneiderin der Träume“bisher nicht erschienen. „Wir haben in Bezug auf dieses Thema einen blinden Fleck, wir beschäftigen uns nicht damit“, sagt Regisseurin Gera. Dabei hätten auch viele Familien der Mittelschicht Hausangestellte, die oft in der Küche schlafen müssten und kaum Geld verdienten. Diese Ungleichheit sei tief verwurzelt in der Struktur der indischen Gesellschaft. „Dieser Film wäre für viele Zuschauer in Indien unbehaglich“, glaubt sie. Deswegen hofft sie umso mehr, dass er im kommenden Jahr auch in Indien anläuft.
Die Schneiderin der Träume, Frankreich/Indien 2018, von Rohena Gera, mit Tillotama Shome, Vivek Gomber, 99 Minuten