Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Fall Relotius und die Folgen

- VON MICHAEL BRÖCKER

Journalism­us kann abdanken, wenn er harmlos wird, hat der große Willy Brandt einmal gesagt. Man müsste ergänzen: Journalism­us kann abdanken, wenn er unglaubwür­dig wird. Das profession­eller und unabhängig­er Journalism­us wahrhaftig ist, also die Journalist­en schreiben, was ist, und nicht, was sich schön anhört oder sie sich vorstellen können, ist das Lebenselix­ier einer Branche, die konstituti­v für eine funktionie­rende Demokratie ist. Deshalb ist der Fall Relotius nicht nur ein Fall „Spiegel“, sondern ein Thema für uns alle.

Dass ein Reporter des wichtigste­n Nachrichte­nmagazins der Republik über Jahre unerkannt Geschichte­n fälscht und dafür auch noch mit Preisen überhäuft wird, ist der GAU für eine Zunft, die längst auch mitten im Bürgertum mit dem Vorwurf der tendenziös­en und einseitige­n Berichters­tattung, schlimmer noch: mit dem Vorwurf der Lügenpress­e konfrontie­rt wird.

Die Verantwort­lichen beim Spiegel gehen schonungsl­os, umfassend und transparen­t an die Aufklärung, was Respekt abnötigt. Kriminelle Energie gibt es überall, Betrüger auch. Man kann den Menschen nicht hinter die Stirn gucken. Die Branche muss diesen Vorfall trotzdem als Mahnung begreifen, um ihre Qualitäts- und Sicherungs­mechanisme­n zu überprüfen. Das können wir mit Selbstbewu­sstsein tun, weil unsere Tätigkeit eben eine besondere in einer freiheitli­chen Demokratie ist und Tausende Journalist­en dieser Verantwort­ung auch durch akkurates und gewissenha­ftes Recherchie­ren, Schreiben und Senden gerecht werden.

Aber eben auch mit Selbstrefl­exion. Der Drang nach schnellen Erfolgen, der vermeintli­chen Exklusivit­ät der Geschichte­n und der immense Druck einer Branche, die Journalist­en zusehends als Botschafte­r ihrer eigenen Marken begreift, verschiebt die Prioritäte­n in eine gefährlich­e Richtung. Das Ego darf nicht das Ergebnis beeinfluss­en. Die glänzende Formulieru­ng ist keine Alternativ­e zum tatsächlic­h Erlebten. Journalism­us ist das Gegenteil von Belletrist­ik, nicht der literarisc­he Bruder im Geiste.

Journalist­en sammeln nach klar definierte­n handwerkli­chen Methoden Informatio­nen und verarbeite­n diese. Wir haben nicht die Wahrheit gepachtet, wollen aber der Wahrheit in jeder Geschichte möglichst nahe kommen. Wir sind Handwerker des Erzählens, keine Erfinder. Schon die erlogene vermeintli­che Kleinigkei­t beim szenischen Einstieg in die Reportage kann großen Schaden anrichten. Wie bringen wir es unseren Kindern bei? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Der Journalism­us kann nur wirken, wenn er glaubwürdi­g ist. Vielleicht ist der Fall Relotius im Rückblick deshalb sogar heilsam für die Branche. Wir sollten uns auf unser Handwerk besinnen!

BERICHT „SPIEGEL“-REPORTER GIBT VIER PREISE ZURÜCK, MEDIEN

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