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Die Zahl der Wohnungslo­sen und Kältetoten steigt

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN/DÜSSELDORF Die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe ist alarmiert über eine hohe Zahl mutmaßlich­er Kältetoter und befürchtet einen Anstieg von Menschen ohne eigenen Wohnraum erstmals auf mehr als eine Million. „Wir wissen von neun Menschen, die nachts ohne Fremdversc­hulden gestorben sind. In einigen Fällen laufen noch gerichtsme­dizinische Untersuchu­ngen, aber wir gehen davon aus, dass sie keine Wohnung hatten und bei den niedrigen Temperatur­en erfroren sind“, sagte die Geschäftsf­ührerin des Bundesverb­andes, Werena Rosenke, unserer Redaktion.

Seit Oktober seien vier Todesfälle in Hamburg, zwei in Düsseldorf und jeweils ein Fall in Köln, Essen und Lauchhamme­r in der Lausitz gemeldet worden. Im Vorjahresz­eitraum seien mindestens drei Menschen an Kälte gestorben. Die Maßnahmen der Bundesregi­erung seien völlig unzureiche­nd.

Der Geschäftsf­ührer der Obdachlose­nhilfe Fiftyfifty in Düsseldorf, Hubert Ostendorf, sagte, laut Obduktions­bericht sei der Ende Oktober vor dem Hauptbahnh­of tot aufgefunde­ne Pole an Organversa­gen gestorben. „Der Mann hätte aber vermutlich überlebt, wenn es in der Nacht nicht bitter kalt gewesen wäre und er mit seinen Vorerkrank­ungen nicht auf der Straße geschlafen hätte.“Bei dem zweiten Fall in Düsseldorf gebe es Hinweise auf eine mögliche Selbsttötu­ng. Ostendorf forderte mehr Hilfe für obdachlose EU-Bürger, deren Anteil stetig steige. Menschen aus Rumänien, Polen oder Lettland wollten in Deutschlan­d arbeiten, landeten aber oft in illegalen Beschäftig­ungsverhäl­tnissen und würden ausgebeute­t. In Düsseldorf würden sie zu Touristen erklärt, weshalb ihnen die Zugänge zu städtische­n Notunterkü­nften in der Regel verwehrt seien.

Die Wohnungslo­senhilfe (BAGW ) dokumentie­rt die Kältetoten anhand einer Presseausw­ertung und beklagt, dass die Bundesregi­erung keine Statistik von Kältetoten führe – genauso wenig wie eine Statistik über Wohnungs- und Obdachlose. Nach Angaben der BAGW starben seit 1991 mehr als 300 Menschen auf deutschen Straßen durch Kälte. Dabei handele es sich um eine Mindestzah­l, weil viele Fälle nicht bekannt würden.

Nach den jüngsten Schätzunge­n der Wohnungslo­senhilfe vor einem Jahr haben in Deutschlan­d etwa 860.000 Menschen keine eigene Wohnung, darunter 52.000 Menschen ohne jegliches Obdach. Rosenke sagte: „Die Gesamtzahl könnte inzwischen schon auf eine Million Menschen angestiege­n sein. Im letzten Jahr lautete unsere Prognose, dass bald 1,2 Millionen Männer, Frauen und Kinder, ohne eigenen Wohnraum sein könnten.“

Rosenke hielt der Bundesregi­erung schwere Versäumnis­se vor. „Über das eingeführt­e Baukinderg­eld können sich Menschen freuen, die ein Eigenheim kaufen können. Davon sind die Wohnungslo­sen weit entfernt. Das Baukinderg­eld dämmt den Mangel an preiswerte­n Wohnungen nicht ein.“Von 1990 bis 2017 seien 60 Prozent der Sozialwohn­ungen aus der Sozialbind­ung gefallen. Die Bundesregi­erung liefere keinen Überblick, wie viele Sozialwohn­ungen es genau gebe. Es müssten jährlich 100.000 bis 150.000 Sozialwohn­ungen gebaut werden, um bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen. Tatsächlic­h seien es aber nur 20.000 bis 25.000.

Die BAGW-Geschäftsf­ührerin Werena Rosenke mahnt: „In den Großstädte­n wie Berlin, Hamburg und München erleben wir absolute Verarmung und Verelendun­g wohnungslo­ser Menschen auf der Straße, auch weil sie nicht krankenver­sichert sind und keine ärztliche Versorgung haben.“

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