Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Erdogan verschiebt Syrien-Offensive
In einem Telefonat mit Trump sichert der türkische Präsident zu, mit dem IS fertig zu werden.
ANKARA Regierungsnahe türkische Medien feiern den angekündigten Abzug der US-Soldaten aus Syrien als großen diplomatischen Erfolg für Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er sei es gewesen, der US-Präsident Donald Trump in einem Telefonat Mitte Dezember davon überzeugt habe, die amerikanischen Truppen aus Syrien abzuziehen. Erdogan bekommt damit freie Hand für seinen geplanten Feldzug gegen die syrischen Kurdenmilizen. Aber der amerikanische Rückzug könnte der Türkei in Syrien neue Konflikte bescheren.
Die Türkei habe entschieden, mit ihrer geplanten Militäroffensive im Norden Syriens „ein wenig zu warten, bis wir die konkreten Resultate des amerikanischen Rückzugsplans sehen“, sagte Erdogan. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Am Wochenende setzte die türkische Armee ihren Truppenaufmarsch in der Region fort: Ein Konvoi von etwa 200 Fahrzeugen überquerte nach Augenzeugenberichten die syrische Grenze und rollte auf die Stadt Manbidsch zu, eine Hochburg der Kurdenmiliz YPG.
Für die USA war die YPG bisher der wichtigste Verbündete im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Das sorgte für ständige Spannungen mit der Türkei, denn aus deren Sicht ist die YPG als syrischer Ableger der verbotenen PKK selbst eine Terrororganisation. Die Rolle der Amerikaner und der YPG im Kampf gegen den IS soll nun die Türkei übernehmen.
Sie könne mit dem IS, oder was davon in Syrien noch übrig sei, leicht fertigwerden, versicherte Erdogan in dem Telefonat mit Trump. Aber die Haltung der Türkei gegenüber den Dschihadisten wirkte oft ambivalent, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der engen Beziehungen Erdogans zu radikal-islamischen Gruppen wie der Hamas und den Moslembrüdern. Priorität hatte für ihn stets der Kampf gegen die Kurdenmiliz. Wenn Außenminister Mevlüt Cavusoglu jetzt ankündigt, die türkische Armee werde Syrien östlich des Euphrat „von Terroristen säubern“, dann dürfte er damit nicht den IS, sondern die YPG meinen.
Die Türkei nimmt sich viel vor. Die Kurden stellen in Syrien 15 Prozent der Bevölkerung, kontrollieren aber 30 Prozent im Norden und Osten des Landes. Die YPG hat dort, zusammen mit lokalen arabischen Gruppen, eine Art Selbstverwaltung installiert. Will die Türkei dieses Gebiet erobern, müsste sie einen langen und wahrscheinlich verlustreichen Feldzug führen. Es ist eine offene Frage, ob sich die Regierung angesichts der heraufziehenden Rezession ein solches militärisches Unternehmen politisch und finanziell leisten kann.
Erdogan riskiert überdies Konflikte mit dem Iran und Russland. Beide Länder werden mit dem amerikanischen Rückzug mehr denn je zu Schlüsselmächten in Syrien.