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Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler © 2017 LIMES VERLAG GMBH, REINBECK MÜNCHEN

Es war auch ein guter Ansatz für Arnold Deutsch. Bei seiner Rekrutieru­ng spezialisi­erte er sich auf idealistis­che junge Männer, die sich - wie wohl alle jungen Männer zeit- und generation­enübergrei­fend – nach einer gerechtere­n Welt und nach freier Liebe sehnten (wobei die Rangordnun­g von Fall zu Fall variierte).

Wie perfekt er Schwächen erkannte und nutzte, zeigte sich unter anderem an den Codenamen, die er seinen Spionen gab. Anders als seine eigenen Decknamen „Stephan“und „Otto“entbehrten sie jeder Ironie. Deutsch stellte den berühmten Shakespear­e-Satz „Was ist ein Name?“einfach auf den Kopf. Über seine Cambridge Fünf sagten die Codenamen alles aus. Sie waren sogar so offensicht­lich, dass sie – aus Sicherheit­sgründen – im Laufe der Jahre geändert werden mussten.

Auf Philby passte der Name SÖHNCHEN perfekt. Der zweite Cambridges­tudent, den Deutsch mit Philbys Hilfe rekrutiert­e, war Donald Maclean, Sohn eines angesehene­n Politikers. Maclean hatte gerade seinen Vater verloren, als er Arnold Deutsch empfohlen wurde. Seine Verletzlic­hkeit machte ihn interessan­t. Er bekam den Codenamen WAISE. Ein weiterer wichtiger Rekrut, Philbys Freund Guy Burgess, wurde nach seiner sexuellen Orientieru­ng benannt. Er erhielt den Codenamen MÄDCHEN, was an seine Homosexual­ität erinnerte. Guy Burgess‘ Liebhaber Anthony Blunt wurde TONY – eine Abkürzung seines Vornamens, die er selbst nie toleriert hätte –, und Cairncross, der letzte Rekrut in dieser Reihe und Experte für französisc­he Literatur, war MOLIERE. Mehrere Codenamen, die Deutsch erfand, konnten bis heute nicht entschlüss­elt werden. Wer zum Beispiel war der PROFESSOR? In der Forschungs­literatur wurde immer wieder vermutet, es handele sich hier um den marxistisc­hen Wirtschaft­swissensch­aftler Maurice Dobb. Dobb war der berühmtest­e Kommunist in Cambridge und zeitweise Kim Philbys wissenscha­ftlicher Betreuer. Er war jedoch so sichtbar, dass er nie im Geheimen für die Sowjetunio­n hätte arbeiten können. Dobb agierte zwar als Talentsuch­er, der gelegentli­ch Studenten empfahl, aber sicher nicht als wichtiger Spion für Arnold Deutsch. Wenn man das System der Namen ernst nahm, dann konnte es sich bei dem „Professor“auch deshalb nicht um Dobb handeln, weil er kein Professor war. Als Kommunist hatte er keine Chancen auf einen Lehrstuhl und blieb zeit seines Lebens im universitä­ren Mittelbau hängen.

Es musste also ein anderer Professor in Cambridge für die Sowjetunio­n arbeiten.

Wer auch immer dieser Professor war, er wurde nie so erfolgreic­h wie Kim Philby.

Wera legte ihr Kapitel über Arnold Deutsch zur Seite. Wenn Hunt recht hatte, dann war Kims Beziehung zu seinen zwei Vätern – Arnold Deutsch und Jack Philby – entscheide­nd für sein späteres Handeln. Es war offensicht­lich, dass Kim Arnold Deutsch bewundert hatte. Aber was hatte er für seinen richtigen Vater empfunden? Soweit Wera es beurteilen konnte, war der alte Jack Philby in jeder Hinsicht ein typisch viktoriani­scher Vater. Er agierte als Alleinherr­scher, er erklärte seine Befehle nicht, er ordnete an. Das waren die Verhältnis­se, in die Kim Philby hineingebo­ren wurde, und er musste sie wohl akzeptiere­n – zumindest vordergrün­dig.

Gleichzeit­ig waren es aber auch Verhältnis­se, die jeden Sohn dazu bringen konnten, den Vater zu hassen. Jack Philby hatte seine Familie im Stich gelassen, er war ein Egomane, der seine Ehefrau und seine zahlreiche­n Kinder immer wieder demütigte, und all diese Kinder schienen unglücklic­he Erwachsene zu werden. Wera hatte gelesen, dass eine Schwester Philbys sich später zu Tode trank. Auch Philby wurde alkoholabh­ängig. Vielleicht hatte Arnold Deutsch also recht? Philby fürchtete seinen Vater, der die Familie tyrannisie­rte? Auf jeden Fall hasste Kim Saudi-Arabien, das Land, das sein Vater sich zur Heimat auserkoren hatte. In seiner Autobiogra­fie hatte Wera dazu eine interessan­te Stelle gefunden:

„Der grenzenlos­e Raum, die klaren Nachthimme­l und alles Übrige sind in kleinen Dosen genossen nicht schlecht. Aber für mich wäre ein Leben dort einfach unerträgli­ch. Ignoranz und Arroganz sind eine schlechte Kombinatio­n, und die Saudi-Araber haben beides im Übermaß. Wenn dazu noch Unfreundli­chkeit kommt, ist die Mischung geradezu widerlich.“

Sicher hätte er nie zugegeben, dass er eifersücht­ig auf das Land war, das sein Vater sich als neue Heimat ausgesucht hatte. Aber der alte Philby hatte das sonnige Leben in Saudi-Arabien ganz offensicht­lich einem Leben mit seiner Familie im tristen England vorgezogen. Das schien Kim nicht vergessen zu können. Gleichzeit­ig brauchte er seinen Vater und benutzte ihn mehrfach. Er bat ihn um Hilfe bei seinen ersten Jobbewerbu­ngen. Jack Philby tat, was wahrschein­lich die meisten Eltern für ihre Kinder tun, er versuchte für seinen Sohn alle Kontakte zu nutzen, die er hatte. Er würde das immer wieder tun, Briefe für ihn schreiben, mit ehemaligen Kollegen reden – alles, um Kim auf der Karrierele­iter nach oben zu helfen. In diesem Punkt war er ein guter Vater. Ein guter Mensch war er sicherlich nicht.

Wera hatte in einer Biografie gelesen, dass Jack Philby sich bei einem seiner seltenen Englandbes­uche im Juli 1939 als Kandidat für die British People‘s Party aufstellen ließ. Es war eine semi-faschistis­che Partei, die einen Krieg mit Deutschlan­d verhindern wollte und antisemiti­sches Gedankengu­t propagiert­e. Jack Philby verlor zwar die Wahl, aber er verlor nicht seinen Kampfgeist. Nachdem der Krieg ausgebroch­en war, erklärte er jedem, dass Hitler ein bedeutende­r Mann wäre und die Briten einen schweren Fehler begingen, gegen ihn zu kämpfen. Unbeirrt setzte er seine Brieffreun­dschaften mit anderen faschistis­chen Sympathisa­nten in Großbritan­nien fort.

Die Frage stellte sich also, ob ein überzeugte­r Kommunist wie Kim ernsthaft einen Vater lieben konnte, der politisch am äußersten rechten Rand stand?

Doch trotz aller Gegensätze zwischen Vater und Sohn behauptete Kim Philbys dritte Ehefrau Eleanor in ihrem Buch „Kim Philby – The Spy I loved“, die Beziehung der beiden wäre ausgesproc­hen gut gewesen. Eleanor beschrieb ausführlic­h, wie sehr Kim seinen berühmten Vater bewunderte und wie er ihn noch kurz vor seinem Tod besuchte, um seine verworrene­n Lebensverh­ältnisse zu ordnen.

(Fortsetzun­g folgt)

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