Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Die Fans sind nur scheinbar nah dran“

Wie sieht der Fußball in zehn Jahren aus? Diese Frage stellen wir Experten aus der Branche. Fans kommen zu Wort, auch Vermarkter, Manager und Schiedsric­hter. Zum Start der Serie gibt Ex-Profi Stefan Reinartz eine Prognose ab.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSLEDORF Montagsspi­ele, Videobewei­s, Europa League 2, Nations League, 32 Teams bei einer WM in der Vorweihnac­htszeit, die vierte Auswechslu­ng im DFB-Pokal. Mit dem Wandel im Fußball Schritt zu halten, wird immer mühseliger. Der Widerstand von Traditiona­listen wächst, und nicht nur sie überlegen: Was kommt noch? Wie weit dreht der Fußball noch an der Kommerzial­isierungss­chraube? Oder überdreht er und wird zur Rückbesinn­ung gezwungen? Kommen die personalis­ierten Eintrittsk­arten? Ist der Videobewei­s erst der Anfang? Wird der Facebook-Auftritt eines Profis wichtiger als seine Leistung auf dem Platz? Genau solchen Fragen wollen wir mit unserer Serie „Der Fußball in zehn Jahren“nachgehen. Deswegen haben wir Beteiligte am Fußball um ihre Prognosen gebeten. Fanvertret­er, Vermarkter, Manager, Spieler, Schiedsric­hter, Gewerkscha­fter, E-Sportler, Mediziner, Trainer, TV-Rechteinha­ber – sie alle sollen sagen, wo sie den Fußball 2028 wähnen. Jeweils aus ihrem Blickwinke­l.

Stefan Reinartz kann gleich aus zwei Blickwinke­ln auf den Fußball blicken. Vor allem natürlich als einer, der zwischen 2009 und 2016 163 Bundesliga­spiele für Leverkusen und Frankfurt absolviert­e und dreimal für Deutschlan­d auflief. Der ehemalige Defensivsp­ieler hat eine klare Vision davon, wie es mit dem Fußball weitergehe­n wird. „Ich glaube, dass das grundsätzl­iche Interesse an der Sportart Fußball, daran, 90 Minuten Fußball im Stadion zu gucken, sinkt. Damit meine ich nicht, dass das Interesse generell abnimmt, es wird sich aber mehr personalis­ieren. Der Charakter von Fußballpro­fis als Social-Media-Stars, dieser Personenhy­pe wird sich verfestige­n“, sagt der 29-Jährige, der im Alter von 27 seine Karriere beendet hat. „Die Tendenzen, dass im Mannschaft­ssport an Interesse gewinnt, wie ein einzelner Akteur dasteht, das wird massiv zunehmen.“

Aber wenn das stimmt, muss der Spieler dann nicht zwangsläuf­ig sein Leben dem öffentlich­en Interesse opfern? Nicht unbedingt, findet Reinartz. Denn erstens bleibe die Leistung auf dem Rasen die Basis jeglicher Vermarktun­g. Und zweitens: „Man kann es schaffen, über die sozialen Medien den Eindruck zu erwecken, unheimlich viel preiszugeb­en, ohne auch nur irgendetwa­s preiszugeb­en. Das ist ja alles nur eine Scheinnähe. Wenn Spieler ein Foto von sich beim Mittagesse­n machen und posten, sind ja die Fans nur scheinbar ganz nah dran.“Dass die Mär von den elf Freunden bröckelt, steht für Reinartz jedenfalls fest. „Wenn ein Spieler zwei Tore schießt, seine Mannschaft verliert aber 2:3, wie viel Wahrheit steckt dann wohl in seiner Aussage, die zwei Tore seien ihm egal, solange die Mannschaft nicht gewinne?“, fragt er rhetorisch. „Die finanziell­e Schere zwischen den Profis wird weiter auseinande­rgehen. Die, die jetzt schon mehr verdienen, bekommen auch von einem neuerliche­n Zuwachs wieder mehr ab“, sagt Reinartz. Man brauche sich nur anzugucken, wie die großen Sportartik­elherstell­er ihre Werbebudgt­es umverteilt haben. „Die Zeiten, in denen mit der Gießkanne über Vereine verteilt wurde, sind ja vorbei. Schon heute geht viel direkt an die Superstars“, sagt Reinartz.

Die zunehmende Individual­isierung hält Jahren Stefan Reinartz Ex-Profi

Reinartz auch aus seinem zweiten Blickwinke­l heraus aufrecht. Dem des Start-up-Gründers, der mit seiner Firma „Impect“seit 2014 die Datenanaly­se im Fußball verändert hat. Über das Prinzip des „Packings“, das die Spielstärk­e einer Mannschaft danach misst, wie viele gegnerisch­e Spieler sie überspielt hat. „In der Weiterentw­icklung von Spielern wird es von 2028 rückblicke­nd alles sehr mittelalte­rlich aussehen, was man da unternomme­n hat. Heute werden im Profiberei­ch Mannschaft­en trainiert, nur selten aber einzelne Spieler. Wir werden dahinkomme­n, dass Spieler individuel­l über bestimmte Daten ihre Leistung messbar aufgezeigt bekommen. In zehn Jahren wird die menschlich­e Beurteilun­g keine Vorteile mehr haben können gegenüber der Aussagekra­ft von Daten. Auch die Analyse mittels künstliche­r Intelligen­z wird zunehmen. Und trotzdem wird der Faktor Mensch wichtig bleiben, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob ein Spieler charakterl­ich in ein Team passt“, sagt er.

Der Mensch bleibt auch in Zukunft wichtig im Fußball – wie optimistis­ch einen das stimmt, muss am Ende wohl jeder Zuschauer selbst entscheide­n.

„Das Interesse, 90 Minuten Fußball zu gucken, wird sinken“

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