Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Typ mit Bart
Der Magdeburger Matthias Musche (26) ist der beste Linksaußen der Handball-Bundesliga. Bei der WM 2019 im Januar könnte er das Gesicht der Nationalmannschaft werden. Wenn da nicht der beste Linksaußen der Welt wäre.
DÜSSELDORF Matthias Musche ist ein bisschen anders. Das geht schon bei der Terminabsprache los: Der 26-Jährige nutzt kein Whatsapp. Zu unpersönlich, findet er. Lieber von Angesicht zu Angesicht mit dem Gegenüber sprechen. Oder direkt ans Telefon gehen. Das macht der Handball-Nationalspieler dann auch und erzählt gleich ganz freimütig, dass er manchmal fixe Ideen hat. Im Vorjahr zum Beispiel hat er sechs Wochen lang Thaiboxen trainiert. Diesen Sommer stand Beachvolleyball ganz hoch im Kurs. Und wenn Musche gerade nicht auf der Spielkonsole Fifa zockt (Lieblingsteam: SC Magdeburg!), radelt er mit seiner Freundin auf den Brocken, geht mit dem Hund spazieren oder gräbt Erde um, in seinem Schrebergarten. Die meiste Zeit aber ist Musche der auffälligste Spieler der Handball-Bundesliga – wegen der unfassbar vielen Tore. Und wegen des Rauschebarts. Da sage noch mal einer, dem deutschen Handball fehle es an Typen.
Stefan Kretzschmar hat genau das kürzlich gesagt. Der ehemalige Nationalspieler ist einer dieser „Typen“, die immer sehr deutlich gesagt haben, wie sie die Dinge sehen. Er hatte das Fehlen solcher Persönlichkeiten jüngst moniert. Dabei ist man schnell bei Kretzschmar, wenn man Musche sieht: Matthias „Matze“Musche spielt seit seinem siebten Lebensjahr für den SC Magdeburg. Auch Kretzschmar war von 1996 bis 2007 beim SCM. Musche spielt auf Linksaußen, genau wie Kretzschmar einst. Und dann die Markenzeichen. Kretzschmars Tatoos, Musches üppiger, blonder Bart.
Nun glaubt man, Musche ein wenig näher zu sein. Aber Pustekuchen. „Ich bin definitiv nicht der neue Stefan Kretzschmar!“, sagt Musche. Er lacht, bekundet großen Respekt vor den Leistungen und der Persönlichkeit Kretzschmars. Sein Idol aber ist Christian Zeitz, Rückraumspieler des THW Kiel. Und Musche ist Musche.
Der 26-Jährige ist wohltuend weit weg von dem, was man als glattgebügelten Medienprofi bezeichnen würde. Das zeigt sich etwa, als er die Geschichte zu seinem Bart erzählt: „Als ich angefangen habe, den Bart stehen zu lassen, war meine Freundin dagegen. Als ich ihn abrasiert habe und ohne Bart zur Mannschaft gekommen bin, haben alle gelacht“, erzählt Musche. „Mein Teamkollege Jens Schöngarth meinte dann: ‚Du siehst aus wie mein Arsch mit acht!‘ Dann habe ich ihn wieder wachsen lassen.“
Der Magdeburger ist maßgeblich am sportlichen Erfolg des SCM beteiligt. Auf Tabellenplatz vier steht der Klub derzeit in der Bundesliga. Mit aktuell 162 Toren ist Musche bester Torschütze der Liga. Zahlreiche Treffer hat er nach Tempogegenstößen erzielt. Ein Spielertyp, der etwa an Ex-Nationalspieler und Weltmeister Torsten Jansen erinnert – schnell und treffsicher. Auch aus sieben Metern. Und das macht Musche auch für die deutsche Nationalmannschaft so wertvoll.
2015 wurde er vom damaligen Bundestrainer Dagur Sigurdsson zur WM in Katar in die A-Nationalmannschaft berufen. Unter Trainer Christian Prokop rückte er erst im Frühjahr 2018 wieder in den Kreis der Auserwählten. Musche darf sich Hoffnungen machen, bei der HeimWM im Januar dabei zu sein. Im Testspiel gegen Polen vor gut zwei Wochen vertrat er den abwesenden Kapitän Uwe Gensheimer (Paris Saint-Germain) glänzend. Musche spielte für den, der sein größter Konkurrent ist –, den der Magdeburger aber regelmäßig und allenthalben zu den „besten Linksaußen der Welt“zählt. Musches Rolle im Nationalteam ist deshalb auch eine andere, als die daheim im Klub. „Ich nehme mich nicht wichtiger, als ich bin und möchte versuchen, der Mannschaft zu helfen und meine Leistung abzurufen. Das ist es. Ich mache mir keinen Kopf. Ich mache einfach mein Ding.“Das sei das Erfolgsrezept, mit dem die deutsche Mannschaft auch bei der WM weit kommen könnte: „Keiner darf sich selbst zu wichtig nehmen, und jeder muss dem Mannschaftserfolg alles unterordnen“, sagt Musche. „Wir haben schon eine coole Stimmung. Jeder akzeptiert den anderen. Es ist keine One-Man-Show.“
17 Nationalspieler hatten nach dem Spiel gegen Polen für einige Tage in Rostock ein Trainingslager bezogen. Bundestrainer Prokop ließ durchblicken, dass sich die Zusammensetzung des Teams im Januar nicht mehr großartig verändert.
Lehrgänge in Barsinghausen (28. bis 30. Dezember) und Hamburg (2. bis 6. Januar) stehen noch aus. Den finalen 16-köpfigen WM-Kader wird Prokop nach dem letzten Testspiel gegen Argentinien am 6. Januar in Kiel und damit vier Tage vor Turnierstart benennen. Der beste Linksaußen der Bundesliga will mit. „Es würde mich absolut glücklich machen, dabei zu sein.“Musche war 14 Jahre alt, als er mit der Familie vor dem Fernseher saß und dabei zusah, wie das deutsche Nationalteam in Köln Weltmeister wurde. „Die HeimWM 2007 hat mir Motivation gegeben, Profi zu werden“, sagt er. Und ist dann doch zu fassen, als er sich selbst beschreiben soll: „Handball war und ist mein Leben.“