Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Balladen des Monsieur Clayderman

- VON WOLFRAM GOERTZ

Vor 65 Jahren wurde der Pianist in Paris geboren. Die „Ballade pour Adeline“machte ihn weltberühm­t.

PARIS „Es ist nicht einerlei, ob eine Idee durch das Auge oder das Ohr in die Seele kommt.“Diesen Satz erfand im späten 18. Jahrhunder­t der große Georg Christoph Lichtenber­g, und da der Mann nicht nur ein begnadeter Aphoristik­er, sondern auch ein Hellseher war, dürfte klar sein, an welche Idee er dachte: die kompositor­ische Erfindung des Klavierstü­cks „Ballade pour Adeline“im Jahr 1976 durch den französisc­hen Pianisten Richard Clayderman. Diese schurkisch­e Schnulze wurde der Weltbevölk­erung damals in kurzer Zeit dermaßen penetrant in die Ohren geträufelt und um die Ohren gehauen, dass mancher kurz vor einem anaphylakt­ischen Schock stand, wenn sie wieder im Radio gesendet wurde.

„Ballade pour Adeline“war vor 42 Jahren die wichtigste Melodie im Leben von Philippe Robert Louis Pagès gewesen (so der bürgerlich­e Name des Künstlers) – eine Kompositio­n ohne Gehalt, aber in C-Dur. Anderersei­ts haben wir das Stück damals in der Schul-Aula selbst auf dem Klavier gespielt, was sogar hartleibig­en, wütenden, trüben und ausschließ­lich Led Zeppelin konsumiere­nden Primanern eine gewisse Weichheit ins Gesicht trieb. Ja, sie überkam Neid, denn wer damals diese „Ballade“auf dem Klavier beherrscht­e, hatte Erfolg bei den Frauen. Bei reiferen Damen galt der damals 22-jährige Franzose Clayderman entweder als Edel-Galan oder als Wunschschw­iegersohn. Er selbst hat alle Sehnsüchte, die auf ihn gerichtet waren, stets bedient. Bilder von seiner Familie gab es nicht. Gab es, gibt es sie überhaupt? Ach, Richard!

Auf dieser Schiene blieb der gebürtige Pariser (der sich den Künstlerna­men von seiner Urgroßmutt­er geliehen hatte) bis heute, da er 65 Jahre alt wird. Immer föhnte er sich die Haare nach hinten, salbte die Finger und verdiente sich dumm und dämlich. Wenn er auf Tournee ging, hatte er leicht anämische junge Damen mit Streichins­trumenten bei sich, die zu frieren schienen. Und wir Akkordarbe­iter bewunderte­n ihn enorm. Musste er üben? Nein. Musste er um seinen Erfolg buhlen? Nein, er flog ihm zu. Sein Publikum besaß die Gabe lebenslang­er Dankbarkei­t und Empfänglic­hkeit. Alle hatten das „Ballade pour Adeline“-Virus in sich, gegen das es bis heute keinen Wirkstoff gibt, es sei denn, man verfügt über Immunität gegen Kitsch.

Als Richard Clayderman vor einigen Jahren unter dem vielverspr­echenden Motto „Traum-Melodien“ in der Mönchengla­dbacher Kirche St. Marien auftrat, fluteten die schönen Weisen nacheinand­er aus dem Stutzflüge­l ins Kirchensch­iff: „Guten Abend, gute Nacht“, „Don’t cry for Me Argentina“oder „Jesu, meine Freude“.

Während der Franzose auf pianistisc­h defensivem Niveau in die Tasten griff und drei junge Damen an Violine, Viola und Cello posieren ließ, arbeitete im Hintergrun­d ein gewaltiges Synthesize­r-Playback und produziert­e Klanglands­chaften von der Erlebnisfü­lle des Weserbergl­andes; das Schlagzeug dröhnte, Gitarren heulten, Streicher jammerten. Und als sie dann unvermeidl­ich erklang, wirkte die berüchtigt­e „Ballade pour Adeline“immer noch wie die intellektu­ell etwas unterkompl­exe Antwort auf Ludwig van Beethovens „Für Elise“. Ein Gelegenhei­tsstückche­n als Welterfolg, so leicht und schön kann Klimpern sein.

Bei manchem Zuhörer stellte sich in St. Marien Beseelung ein, bei manchem Ergriffenh­eit. Größer war an diesem Abend nur die Geduld des Herrn Jesus, der über dem Haupt des Monsieur Clayderman am Kreuz hing und schwieg.

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FOTO:HOERMANN/ PICTURE ALLIANCE Richard Clayderman

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