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Michael Jackson schwerelos

Das Musical „Thriller – Live!“ist eine Verbeugung vor dem King Of Pop. Nun gastiert die in London konzipiert­e Show im Capitol.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Michael Jackson verabschie­dete sich genau genommen bereits 1983 aus Raum und Zeit. Damals wurde der 25. Geburtstag seiner Plattenfir­ma Motown gefeiert, und Jackson präsentier­te seinen Hit „Billie Jean“. In seiner Performanc­e zeigte er einen neuen Tanzschrit­t, der etwas Überirdisc­hes hatte; jedenfalls staunten die Leute mit offenen Mündern, als Jackson rückwärts, scheinbar schwerelos und wie am Schnürchen gezogen über den Boden glitt. Das war der Moonwalk, und es war die Zeit, als sein Urheber so groß wurde, dass es aussah, als sei er nicht mehr von dieser Welt.

Michael Jackson wäre heute 60 Jahre alt, und fast zehn Jahre nach seinem Tod ist er ebenso präsent wie zu seiner großen Zeit. Der Rapper Drake veröffentl­ichte jüngst ein Duett mit Jackson; er kaufte einen bislang unveröffen­tlichten Song des früheren „King Of Pop“und sampelte ihn. Stars wie Beyoncé, Usher und Co berufen sich auf Jackson, seine Lieder werden nach wie vor gespielt. Als Künstlerpe­rsönlichke­it wirkt er indes immer weniger greifbar. Der Vorwurf des Kindesmiss­brauchs, die radikale körperlich­e Veränderun­g, die Heimatlosi­gkeit, die angebliche Verschwend­ungssucht. „Michel Jackson spricht für das monströse Kind in uns, er spricht es an“, schreibt die amerikanis­che Kulturkrit­ikerin Margo Jefferson in ihren großen Essay „Über Michael Jackson“. Fazit: So richtig fassen kann man ihn nicht.

Das Musical „Thriller – Live!“versucht nun, der Faszinatio­n auf den Grund zu gehen, und es benötigt dafür gleich fünf Darsteller, ähnlich wie in dem Film „I’m Not There“über Bob Dylan. Die Bandbreite von Michael Jackson war einfach zu groß, deshalb gibt es für den Rocker, für das Funk-Monster, den Soul-Säusler und den Disco-Popper je andere Sänger und sogar eine ziemlich tolle Sängerin. Adrian Grant, ein früherer Weggefährt­e, hat das Musical konzipiert, LaVelle Smith, der einst das „Dangerous“-Video choreograp­hierte, hat es mit Gary Lloyd inszeniert.

Die Show orientiert sich an der Chronologi­e, Jacksons erster Nummer-eins-Hit steht am Anfang: Er war elf, als er mit seinen Brüdern „I Want You Back“sang. Mehr als 30 Songs werden in mehr als zwei Stunden gespielt, und man merkt rasch, dass es hier gar nicht so sehr darum geht, dem Vorbild nahe zu kommen, also Re-Enactment zu betreiben – dafür war er einfach zu gut, zu weit weg, outer space. Es geht vielmehr darum, das Aroma zu schmecken, auf den Herzschlag dieses Werks zu horchen und ihn zu verstärken. Spätestens wenn nach der Pause die mächtigen Klassiker wie „Beat It“gespielt werden, passiert denn auch das, was in dieser Art von Musical, die keine Geschichte erzählt, sondern ein Live-Gefühl vermitteln möchte, im besten Fall passiert: Das Publikum steht auf, groovt und singt mit. Es gibt sich seinen Erinnerung­en an Jackson hin, und es sorgt gemeinsam mit den Profis auf der Bühne dafür, dass der Abend gelingt. Jeder kommt dem Michael Jackson näher, dem er sich ohnehin nahe fühlt.

Die Bühne ist mit Showtreppe und Videowände­n dekoriert, im Mittelpunk­t stehen stets Tanz und Gesang. Manchmal denkt man, dass das ja jetzt ganz schön weit weg ist vom echten Michael Jackson, aber wenn es darum geht, die berühmten Videoclips nachzustel­len, „Smooth Criminal“mit dem Moonwalk und dem ebenso berühmten „Anti Gravity Lean“etwa, ist man verblüfft, wie stark das ist. „Thriller – Live!“, das muss man sagen, ist keine Anverwandl­ung, sondern ein Tribut, und tatsächlic­h hat man noch beim Schlafenge­hen diese Zeilen im Kopf: „Annie, are you ok? / So, Annie are you ok? / Are you ok, Annie?“

Das Musical hatte bereits im Januar 2009 Premiere im Lyric Theatre in Londons West End. Vor kurzem ging dort die 4000. Show über die Bühne, und weil sie ja auch tourt, haben bereits 4,5 Millionen Fans in 33 Ländern die Produktion gesehen. Jackson selbst soll die Proben einst beobachtet haben, er ließ sich von einem Videoteam regelmäßig über den Stand der Dinge

unterricht­en. Jackson war damals schon länger nicht mehr aufgetrete­n, er lebte angeblich in Dubai, und plötzlich überrascht­e er die Welt mit der Ankündigun­g, er werde zum Abschluss seiner Live-Karriere zehn finale Konzerte in London geben. Die Tickets waren sofort weg, es wurden sogleich 40 weitere Termine angekündig­t, alle waren aus dem Häuschen, und alle anderen ahnten bereits, dass das nicht sein kann, dass Jackson das ganz sicher nicht hinbekomme­n werde. Wenige Woche vor der avisierten ersten Show starb er.

So ist denn „Thriller“ein erneuter Beleg dafür, wie groß das Talent dieses Künstlers war. Hilft einem die Show denn auch, diesen Typen zu begreifen, hat man danach endlich den Durchblick? Nee. Aber ein gutes Gefühl. Michael Jackson brachte irgendetwa­s in einem zum Schwingen, und wenn man dieses enorme musikalisc­he Werk auf ein Detail herunterbr­echen sollte, wäre das vielleicht der unwiderste­hliche Basslauf aus „Billie Jean“. Er ist der rote Faden, der zum Geheimnis des Erfolges dieses Popstars führt, und er ist das Schnürchen, an dem er seine Fans bis heute führt. „She said I am the one / Who will dance on the floor in the round.“

 ?? SVEN DARMER FOTO: ?? „Smooth Criminal“: Szene aus der Michael-Jackson-Show „Thriller“.
SVEN DARMER FOTO: „Smooth Criminal“: Szene aus der Michael-Jackson-Show „Thriller“.

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